„Psith!“ rief ich. „Psith! Ich will mit dir reden. Ich weiß, daß du mich hörst! Du darfst dich nicht aufgeben! Psith! Antworte mir!“
Ein Crescendo. Die Farben explodierten in einer gleißenden Nova. Da spürte ich mit allen Fasern meines Leibes ihre Gegenwart. Ich roch ihr Parfüm, fühlte ihre Wärme. Sie flüsterte berauschende Worte, ihre geschmeidigen Arme umschlangen mich, meine Kleidung löste sich in ein Nichts auf. Ungeübt, zu widerstehen, erlag ich der Verzauberung. Ich war verführt, ehe ich mich besinnen konnte. Mein Körper fieberte, und ich wartete auf die Ernüchterung, doch auf unerklärliche Weise wuchs neue Kraft in mir, und das Spiel begann von vorn. Ich war gefangen in einem Zyklus der Wollust.
Ich weiß nicht, wie und nach wie vielen Höhepunkten es mir gelang, mich zu lösen. Ich rief: „Psith! Psith! Laß die Scherze. Ich will mit dir reden. Du mußt zurückkehren! Hier gehst du doch nur kaputt! Ich spiele nicht mehr mit!“
Schon griffen Dutzende von Händen wieder nach mir. Ich wehrte mich, schrie nach Psith. Die Illusion, mit der er mich nicht länger fesseln konnte, geriet ins Wanken. Der Geruch verflog, ihr Körper wurde weicher, löste sich auf, als hätte es sie nie gegeben. Ein tiefes Schwarz blieb.
In meinen Ohren hallte Stille. Ich versuchte meine Gliedmaßen zu bewegen. Kein Muskel reagierte. Kein Herzschlag war zu spüren. Ich war in Nichts und Leere aufgegangen. Psiths Vorstellung vom Tod? Ein Nirwana? Meine Gedanken verhallten belanglos und unnütz, fielen von mir wie abgestorbene Zweige. Als ein körperloser Geist in dämmerndes Wohlgefallen gehüllt, löste ich mich langsam auf, wurde eins mit der großen Leere. Fallen in traumlosen Schlaf. Ohne Raum, ohne Zeit. Aber nicht einmal das Nichts kann vollkommen sein. Die Reizschwelle meiner ungebrauchten Sinne sank, sie wurden so sensibel, daß sie das Quantenrauschen des Totaloskops einfangen konnten. Ein gleißender Blitz durchjagte das Nirwana, mein Ich ballte sich nach Ewigkeiten wieder zu einer kleinen, festen, abwehrbereiten Kugel.
„Psith! Psith!“ schrie ich mundlos, „Psith, gib es auf. Rede mit mir.“
Psith gab auf.
Wir spazierten nebeneinander über eine abstrakte Ebene. Er beugte seinen Kopf nach vorn und sagte: „Gut, ich höre.“
„Psith, wir brauchen dich, du gehörst zu uns. Wie soll, wenn du vor den Problemen fliehst, je Andymon in unsere Welt verwandelt werden?“
„Spuck nicht so große Töne, Beth, niemand braucht mich, nehmt doch einen Roboter, der kann alles besser erledigen als ich.“
„Wir wollen aber, daß Andymon auch nach deinen Vorstellungen und Wünschen gestaltet wird. Nur von Maschinen beackert, bleibt er immer ein toter Planet.“
„Ach was. Ihr seid genug und kommt nur zu gut ohne mich aus. Und was ist eure großartige Planetenumgestaltung schon mehr als ein übertriebenes Totaloskop spiel. Ihr seid es, die sich wie Kinder benehmen. Was kann euch Andymon, diese sogenannte Realität, schon bieten? Ihr schuftet jahrelang, und falls ihr je fertig werdet, habt ihr nur das gewonnen, was ich mir schon jetzt völlig mühelos im Totaloskop besorgen kann.“
„Vielleicht wollen wir nichts mühelos erreichen, vielleicht wollen wir alles selbst schaffen.“
„Ich erdenke mir meine Welten auch selbst.“
„Vielleicht wollen wir die Realität, unbedingt die Wirklichkeit, das volle, widerspenstige Leben, es mit Taten verändern, nicht nur mit Gedanken.“
„Feine Unterschiede! Eure Realität da draußen ist um nichts realer als meine sogenannte Totaloskopillusion. Ich kann nur Diogenes’ Beweis wiederholen.“ Er stellte sich vor mir in Positur, ging auf und ab. Damit hatte einst der antike Philosoph Diogenes dem Skeptiker Zeno die Realität der Bewegung bewiesen.
„Siehst du, alles real, was ich fühle. Wer sagt euch denn, daß eure langweilige Welt da draußen nicht nur in einem Totaloskop höherer Stufe existiert? Daß nicht eine unendliche Verschachtelung von Totaloskopen das Universum ausmacht!“ Psith griente, der Gedanke der Irrealität erfreute ihn, und er glaubte, er habe mich verwirrt.
„Diese Hypothese ist von Gamma längst aufgestellt worden“, sagte ich, „wir haben sie nicht weiterentwickelt, weil sie unser Handeln nicht beeinflussen kann. Indem du ernsthaft mit mir diskutierst, gibst du ja auch zu, daß ich realer bin als die Geschöpfe deiner Einbildung.“
Ich fragte mich, ob man Psith überhaupt noch mit Worten zurückgewinnen konnte. Da mir die Argumente fehlten, wurde ich beredt. Ich schilderte Psith die Größe dessen, was wir taten. Die kosmische Bedeutung der Besiedlung von Planeten, der Ausbreitung des Lebens im All. Die Notwendigkeit, nie bei dem Erreichten stehenzubleiben.
Er lächelte nur, sagte: „Das ist deine Wertung. Glaubst du, sie gilt universell?“
Ich lobte die Gemeinschaft, in der wir lebten, verwies auf die gegenseitige psychologische Abgestimmtheit der Gruppen, und falls er schon nicht um seiner selbst willen, um sich selbst zu retten, mitkam, so doch vielleicht um Psilas und der anderen willen. Dann fragte ich: „Wenn schon alles irreal ist, warum tust du mir dann nicht den Gefallen und probierst wieder einmal die Unwirklichkeit Andymons? Warum verkriechst du dich in diese Weltchen hier? Hast du Angst vor Andymon, daß du flüchtest?“
„Wie sollte ich mich fürchten?“
Psith kam mit.
Wir legten die sensorischen Adapter ab, verließen die Totaloskope. Jetzt sah ich den wirklichen Psith, seine Augen wirkten angestrengt und gehetzt.
Gamma trat zu uns, sagte: „Ich habe ganz schön gewartet.“
„Jetzt brauche ich was zu trinken und ein anständiges Essen“, erwiderte ich. Wir gingen ins Freie.
Andymon stank stärker als sonst, und der Boden bebte sanft unter meinen Füßen. Erst in Jahrhunderten würden die von uns ausgelösten tektonischen Bewegungen zur Ruhe kommen. Niedrig flohen die Wolken über unseren Köpfen hinweg.
Teth kam mit einer schlimmen Nachricht. „In unserer Pflanzung breitet sich eine Virusseuche aus. Vielleicht gehen alle Setzlinge ein.“
Endlich bekam ich mein Erfrischungsgetränk. Es schmeckte nach dem darin gelösten Staub, den der böige Wind aus der nahen Wüste heranwehte. Der Boden bebte stärker. Die Atmosphäre war heute besonders düster, doch konnte ich die Vulkankette am Horizont deutlich sehen. Die rauchenden Kegel erschienen mir steiler als sonst. Inzwischen verkohlten die Mikrowellen programmwidrig mein Steak, und Gamma flirtete ganz offensichtlich mit Psith.
„He!“ wollte ich sagen, doch der Laut blieb mir im Halse stecken. Ein Rudel mutierter Hasen mit überlangen Stoßzähnen jagte aus der Südsteppe heran. Die Tiere waren zwei Meter groß. Das Aufschlagen ihrer überdimensionalen Hinterläufe war kilometerweit zu hören. Auf ihrem Fell tanzten Funken, so schnell rasten sie. Der Schreck bannte mich fest. Sie würden alles hier zertrampeln!
Stärker grollte der Boden und riß dann unter schrecklichem Knirschen genau vor meinen Füßen auf. Alfa und Psila verschwanden mit markerschütternden Schreien in der Spalte.
„Evakuieren“, rief ich, „in die Kopter!“
Neben mir stürzte Psith über den von Rissen durchzogenen Boden. „Da hast du deinen Andymon! Ruhigste Gegend im Universum, was?“
„Im Totaloskop könntest du dich jetzt nicht retten!“ brüllte ich ihn an.
„Doch!“ schrie er.
Und plötzlich begriff ich, das war nicht mein, der reale Andymon, das war Psiths Wahnvorstellung davon. Ich blieb stehen.
„Du hast mich betrogen, Psith. Das ist nicht Andymon.“
„Das ist der wahre Andymon“, rief er erregt, „du kannst ja hierbleiben, wenn du es partout nicht einsehen willst!“