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Ich steuerte den Kopter noch einmal über den Wald, das Grün der wenigen gesunden Blätter ging unter im Ocker des Bodens, im Dunkelbraun der toten Bäumchen. Wenn wir nur ein Viertel retten konnten!

Eine Bewegung hinter mir, ein ungewohntes Geräusch. Szina war ohnmächtig geworden. Szadeth kümmerte sich um sie, öffnete ihre blaue Jacke und fächelte ihr Luft zu.

„Was?“ fragte ich besorgt, „verträgt sie das Fliegen nicht mehr? Die Anstrengung?“

„Ja, ja“, sagte Szadeth kurz, da kam sie schon wieder zu Bewußtsein.

Wenn das so weitergeht, dachte ich, schafft Andymon uns noch alle, vielleicht haben wir uns wirklich übernommen. Doch gleichzeitig wußte ich, daß wir durchhalten würden, unbedingt.

Szinas Ohnmacht hatte allerdings eine ganz andere Ursache.

Die erste Jahreszeit

Teth rief Gamma und mich an, etwas Wunderbares sei geschehen, er habe eine Bergregion entdeckt, in der Schnee falle.

Drei Stunden lang jagte unser Kopter aus der zurückweichenden Nacht in den anbrechenden Tag, drei Stunden, in denen Gamma alle Augenblicke beteuerte: „Ich habe die Wetterkarte überprüft, es schneit bestimmt immer noch.“

Unseren Satelliten, die seismische Aktivität und Wetter registrierten, war der winzige Flecken erhöhter Reflexion nicht entgangen: Schnee. Die Funksignale der Satelliten lotsten nun den Kopter durch die schüttere Wolkendecke. Wir spähten hinab, um das Wunder zu entdecken. Und tatsächlich: Die Abhänge der Berge waren weiß, das Land strahlte gleißend hell an jenen Stellen, wo ein paar Sonnenstrahlen die Wolkendecke durchbrachen.

Wir landeten als letzte. Die Geschwister liefen uns entgegen.

„Das ist Schnee, Beth“, sagte Teth aufgeregt, „echter Schnee. Den gibt’s im Schiff nicht, den hat nur Andymon.“ Er rieb ihn zwischen seinen Händen. „Echter Schnee wie auf der Erde. Das ist der erste Schnee von Andymon, ihr wißt doch, was das heißt. Die Zeit der großen Stürme und Unwetter geht vorüber, stabile Klimazonen bilden sich aus, Himmel, wird Andymon schön! Vivat Andymon!“

Wir lachten über seine Begeisterung, scharrten mit den Füßen in der dünnen Schneedecke, bis wir auf den dreckigbraunen Boden stießen. Unsere Schritte rissen Löcher in die gleichmäßig weiße Fläche. Ich ging in die Hocke und kratzte aus der dünnen Schicht einen Ball zusammen. Zwischen meinen Fingern tropfte Tauwasser herunter. Der Schnee war nicht sehr kalt, meine Hände brannten trotzdem — und auch mein Gesicht im Wind.

Teth lief hin und her, rempelte Zeth an, gab Ilona unversehens einen Kuß auf die kalte Wange. „Ach, was wißt ihr, was der Schnee für Andymon bedeutet. Zwei Milliarden Jahre war der Planet eine glühende, flüssige Kugel, Hunderte Millionen Jahre schwammen erste Kontinentschollen in Magmaozeanen, und dann hüllte eine stickige, giftige Atmosphäre die brennende Oberfläche ein. Und jetzt, jetzt hat es geschneit, es wird Winter geben und Sommer, Frühling und Herbst. Das alles bedeutet es für Andymon.“

„Wir wissen vielleicht nicht, was der Schnee für Andymon bedeutet, aber wir wissen genau, was er für dich…“

Ilona vollendete ihren Satz nicht. Wie auf ein geheimes Kommando warfen wir unsere Schneebälle auf Teth. Ich traf ihn vor die Brust, noch bevor er sich drehte, hinter einem Felsen Deckung suchte. Kaum war er verschwunden, bewarfen wir uns gegenseitig, jeder gegen jeden. Eine volle Ladung landete in meinem Genick, rutschte mir unter die Jacke, daß ich am ganzen Körper Gänsehaut bekam.

Ich schwor, Gamma den hinterhältigen Treffer heimzuzahlen. Sie schrie laut um Hilfe und suchte zuerst hinter Alfa, dann hinter Zeths breitem Rücken Schutz. Im Zickzack rannte ich hin und her, schleuderte dabei einen vorfabrizierten Ball nach dem änderen. Der verschneite Boden war tückisch. Ich glitt aus und landete schmerzhaft auf einem kantigen Stein. Unter dem Gelächter der anderen erhob ich mich, klopfte Schnee und Dreck vorsichtig ab und visierte aus den Augenwinkeln Gamma an. Ehe sie sich’s versah, hatte ich mich gerächt.

Dann zog eine schwere Wolke auf, und ein nicht enden wollendes Gewimmel großer flaumiger Flocken begann sich auf uns herabzusenken. Wir jubelten aufs neue, sprangen umher, versuchten, Schneeflocken mit dem Mund zu erhaschen. Gamma rutschte, ruderte heftig mit den Armen und hielt sich an mir fest. Flocken saßen überall, in ihrem Haar, auf ihrer Nase. Langsam zerschmolzen sie auf der Haut oder im heißen Atem. Wir tollten ausgelassen wie vor Jahren im Naturpark. Nach Mühsal, Ernst und Arbeit auf Andymon hatten wir nicht verlernt, uns mit ganzem Körper zu freuen.

Wir hielten noch lange aus, bis die Erschöpfung uns Ruhe finden ließ. Hände und Gesicht brannten, die Lachmuskeln schmerzten, hier und da ein blauer Fleck, dreckig und verschwitzt waren wir - und glücklich. Ich hatte die Koptertür offengelassen, die Instrumente waren kalt, und auf dem Boden hatte sich eine Lache gebildet. Im Schiff hatten wir jede neue Entdeckung voll ausgekostet, die Seen, Wälder, die Beregnung des Naturparks. Nur geschneit hatte es dort nie. Welche Freude, nun ein aufgespartes Wunder zu erleben!

Selten, sehr selten schneit es nach den letzten Herbststürmen in der noch unbenannten Staubwüste im Nordgebirge sogar rot. Ein exotisches Schauspiel. Und doch, es wird mich nie so sehr bezaubern können wie damals der erste weiße Schnee, der das Kommen der Jahreszeiten ankündigte.

Teil III

Und mehr als Andymon

Eine Frage der Perspektive

Eine Handvoll Menschen, halbe Kinder noch, gegen einen Himmelskörper, einen Milliarden Jahre alten Planeten. Uns kam es vor, als würde unser verbissener, nimmermüder Ansturm ihn aus der Bahn werfen, Andymon.

Wie sehr hatte unsere Tatkraft den Planeten in den letzten Monaten verändert! Wir rissen seinen harten Boden auf, um nach Erzen zu schürfen, säten und pflanzten. Wir errichteten lange Reihen von Gewächshäusern und hatten längst die ersten auf Andymon produzierten Geräte in Betrieb genommen.

Und Andymon-City wuchs trotz aller unterschiedlichen architektonischen Vorstellungen. Der zentrale Platz unserer Stadt, die vorerst kaum Straßen, geschweige denn weitere Plätze hatte, am liebsten hätte ich ihn umzäunen und aus den Karten streichen lassen, soviel kostbare Zeit fraßen die Diskussionen um seine Gestaltung. Zeth, immer bedacht auf glatte und großzügige Lösungen, hielt Betonplatten für das einzig Rationale. Nun, über einen Springbrunnen ließe sich allenfalls reden… Doch Alfa und Teth waren bereits dabei, überall, kreuz und quer, Blumenrabatten anzulegen. Kein Roboterwagen hatte mehr freie Fahrt. Gamma vermittelte zum Schluß so geschickt, daß sie ihr Lieblingsprojekt, einen Aussichtsturm an zentraler Stelle, durchsetzen konnte, ein Wahrzeichen, alles überragend und den Charakter unserer Siedlung bestimmend.

Aber nicht nur wir veränderten das Angesicht Andymons. Wir? Ja, aus dieser Zeit stammt auch die erste Unterscheidung von „wir“ und „sie“. Im Schiff hatten wir geplant, zusammen zu siedeln, alle an einem Ort zu wohnen. Doch von Anfang an errichteten die Jüngeren, die fünfte und sechste Gruppe, ihren eigenen Stützpunkt. Weit über hundert Kilometer von Andymon-City entfernt, jenseits des Hochplateaus in einer — so hofften wir alle — künftig fruchtbaren Ebene. Noch vor Jahresfrist hatten gewaltige Schlammassen sie überflutet.

Wir krempelten den Planeten um. — Wirklich? Hielt ich die Aufnahmen aus dem Schiff in der Hand, sah ich verstreut und vereinzelt Punkte, winzige Flecken menschlicher Aktivität. Ringsumher ein Ozean toter Steine, schier grenzenlos, ohne Ende. Nur vom Turm aus mit der Kurzsichtigkeit menschlicher Augen ließ sich sagen: Schaut, wie wir die Wüste besiegen! Vivat Andymon! Aber behält die subjektive, menschliche Sicht nicht doch recht? Es ist nur eine Frage der Perspektive. Räumlich — und zeitlich.