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Geborene und Ungeborene

Eine riesige schimmernde Blase, vielleicht einen Kilometer im Durchmesser, lag vor uns auf der graubraunen Ebene.

„Das also ist Szadeths geheimnisvolles Projekt“, sagte ich zu Gamma, die turnusmäßig den Kopter steuerte. Gamma nickte. Wir flogen sehr niedrig. Der Kopter wirbelte feinen Staub auf, der unsere Spur durch eine weithin sichtbare Wolke markierte.

„Ich bin gespannt, was sich unter der Plastkuppel verbirgt. Zeths Beispiel, Baustellen auf diese Weise zu schützen, hat offensichtlich Schule gemacht.“

Wir versuchten, mit unseren Augen die Hülle zu durchdringen, doch irisierende, schillernd bunte Reflexe verwehrten uns den Blick. Undeutliche Schemen am Boden, mehr war nicht zu erkennen.

Eigentlich wollte ich von Szadeth nur erfahren, mit welchem Erfolg er den Parasiten bekämpft hatte. Der wäre längst vergessen, meinte Szadeth, aber wir sollten ihn unbedingt besuchen kommen, er würde uns in ein neues, Andymon veränderndes Projekt einweihen.

Nein, ich war nicht blind damals. Ich hatte Szina und Szadeth, die mit den Geschwistern aus der fünften und sechsten Gruppe in der zweiten Siedlung lebten, lange nicht getroffen, nur dann und wann über das Videofon gesprochen. Aber selbst wenn sie vor mir gestanden hätten… Ich war es einfach nicht gewohnt, die Anzeichen zu sehen, und mein Verstand hatte noch nicht gelernt, sie zu deuten.

Über Funk meldete sich Alfa. „Zeth und ich kommen nach. Szadeths Einladung gilt doch auch für uns. Wir sind jetzt fertig.“

„Ja, weshalb nicht! Wir sehen uns dann bei ihm.“

Alfa, unsere Alfa., Sie war so leicht in Panik zu versetzen. „Niemand hat mehr den Überblick, was auf Andymon alles geschieht. Das geht bestimmt nicht gut!“ unkte sie. — Der Tadel galt mir.

Jetzt, aus der Nähe, sah die Kuppel gewaltig und zugleich zart aus wie eine überdimensionale Seifenblase. Ich hatte gerade noch Zeit, ein paar grüne Flächen und einige niedrige Gebäude in ihrem Inneren zu erspähen, da landete Gamma den Kopter absolut exakt in der Mitte der planierten Fläche am Fuß der Kuppel.

„Na, komm schon, worauf wartest du noch?“ rief sie ungeduldig. Ich verstehe bis heute nicht, weshalb die Gurte ihr stets besser gehorchten als mir.

Wir stiegen aus und gingen durch die Schleuse ins Innere der Kuppel, die unter leichtem Überdruck stand. Ich schaute mich um und war enttäuscht, nirgendwo stand eine Maschinerie, die den Aufwand der Plastblase gerechtfertigt hätte. Auf dem vielerorts steinigen, aber hier und da mit größeren Grasflächen überzogenen Boden wuchsen in verstreuten Gruppen Bäume. Die höchsten auf Andymon. Sie reckten sich bis zu zehn Metern auf, ganz eindeutig waren sie aus dem Naturpark des Schiffs geholt worden.

„Vielleicht wollen sie Mimosen züchten?“ Gamma war augenscheinlich genauso ratlos wie ich.

Szadeth lief uns in kurzen elastischen Sprüngen entgegen. Er trug nur Shorts, die hell von seinem schwarzen Körper abstachen.

„Hallo, Szadeth“, begrüßte ich ihn, „wenn ich dich so sehe, schaust du wirklich wie deine australischen Vorfahren aus.“

Er lachte, und wir gingen gemeinsam auf dem schmalen Trampelpfad über grob eingeebnete Geröllfelder mit ersten Grasbüscheln zu den wenigen Häusern im Zentrum der Kuppel.

Szadeth erklärte knapp: „Hier leben wir jetzt.“

Im hufeisenförmigen Gemeinschaftshaus war die Küche untergebracht. In seinem Innenhof standen Tische und Bänke für gemeinsame Mahlzeiten und Versammlungen.

„Es ist gut, daß ihr kommt“, sagte er plötzlich. „Resth meint zwar, ihr würdet uns sowieso nicht verstehen, aber..

Er brach ab, denn Szina kam uns entgegen. Ihr sonst so weiches, fast noch kindliches Gesicht war härter geworden, und trotz des lose fallenden himmelblauen Kleides schien sie mir dicker.

Gamma war es auch aufgefallen, denn sie fragte: „Szina, wie geht es dir? Du siehst krank aus.“

„Nein, ich bin schwanger, Gamma.“ Ihre Augen glänzten.

„Was, nein, das ist unmöglich, wie konnte das nur passieren?“ Ich war total durcheinander, dachte an die Hormone in unserer Nahrung und musterte dabei unwillkürlich immer wieder ihren Körper.

Gamma erriet die Wahrheit. „Ihr habt das gewollt?“

„Aber das ist verrückt!“ Ich schüttelte abwehrend den Kopf.

Sie lachten beide über meine Verwirrung. Um überhaupt zu reagieren, flehte ich Gamma an: „Sag doch was, Gamma!“ Da mußte auch sie lachen.

Szadeth klopfte mir beruhigend auf die Schulter. „Aber Beth, was hast du? Kinderkriegen ist die natürlichste Sache auf der Welt…“

„Auf der Erdwelt vielleicht, nicht auf Andymon. Wozu haben wir die Inkubatoren?“

„Beth, beruhige dich erst mal, gehen wir ein wenig spazieren.“ Szadeths Stimme klang fast amüsiert. Aber er schien auf unsere Meinung zu warten und auf unsere Zustimmung Wert zu legen.

„Wir zeigen euch unsere Oase, einverstanden?“ fragte Szina. „Hier sollen unsere Kinder spielen können, ungestört, ungefährdet, frei wie im Naturpark, verstehst du…?“

Ich nickte, doch meine Gedanken wirbelten durcheinander. Ich versuchte, meine Gefühle zu analysieren, es war nicht nur eine Überraschung für mich, es war ein Schock. Szina und Szadeth hatten ebensowenig wie ich Vater und Mutter vermißt, wie kamen sie darauf, Kinder in die Welt zu setzen? Hatte sie der Schiffscomputer dafür ausgebildet, darauf programmiert? Vater zu sein, sich um eigene Kinder zu sorgen, das war so unwirklich wie ein Totaloskoptraum…

„…deshalb brauchen wir die Kuppel unbedingt, wir können nicht das Risiko eingehen, daß unsere Babys die stinkende Luft Andymons atmen, vielleicht ist sie trotz aller Tests schädlich. Außerdem werden wir hier ein voll kontrolliertes Ökosystem aufbauen, etwas, das uns kein Sturm wegbläst, keine Sturzflut wegschwemmt, eben unsere Oase.“

Es war einfach irrational. Aber was war schon rational? Ich ging nur von anderen Voraussetzungen aus, anderen Vorstellungen, die waren nicht rationaler, begründeter als ihre. Es war ihre Entscheidung, ich würde mich damit abfinden müssen.

„… und hier werden wir einen kleinen See anlegen, schon nächste Woche, dazu werden wir eine künstliche Quelle schaffen, der Grundwasserspiegel pendelt sich allmählich ein. Schließlich sollen unsere Kinder auch baden können wie im Naturpark. Und wir ebenfalls.“ „Und die Schiffskinder? Wird es da nicht Zank und Streit und Feindschaft geben?“ fragte Gamma.

„Wir werden eine Versammlung aller einberufen“, sagte nun Szadeth, „schließlich geht es nicht nur um unsere persönliche Zukunft. Und wir werden beantragen, die Inkubatoren im Schiff auslaufen zu lassen.“

Das war nur die logische Konsequenz. Ich blickte über die Wiese vor uns, es gab bereits Blumen auf Andymon. Ein Sprenger beregnete sie.

„Ich bin dagegen“, hörte ich Gamma murmeln.

„Szadeth, sind wir denn schon genug Individuen für eine genetisch stabile Population?“ fragte ich. „Sicher werden sich nicht alle wie ihr verhalten.“

„Der Genpool reicht nach meiner Berechnung aus, er ist äußerst heterogen. Und wenn nicht? Nichts ist leichter, als die genetischen Reserven des Schiffs anzuzapfen. Aber das ist nicht unser Problem und auch nicht das der nächsten Generation.“

„Es stimmt natürlich, daß vor uns jetzt die Aufgabe, hm, einer gezielten Bevölkerungsexplosion steht“, sagte Szina lächelnd, „ich bin jedenfalls bereit, meinen Anteü beizutragen. Und Pea, Kafa und Tawa ebenfalls. Es werden sich nicht viele ausschließen, nein, unsere Kinder werden Andymon bewohnen, nicht Inkubatorengeschöpfe.“