Nachdem die letzten Fackeln verlöscht waren, hatte sich alles nach Nantes zur Versammlung der Generalstände der Bretagne begeben. Und dort geschah es, daß eines Morgens ein obskurer Musketier namens d’Artagnan auf Fouquet zutrat, als dieser eben im Begriff stand, in seine Kutsche zu steigen.
»Nicht hier sollt Ihr einsteigen, Monsieur«, sagte d’Artagnan, »sondern in jenen Wagen mit den vergitterten Fenstern, den Ihr da drüben seht.«
»Was denn? Was bedeutet das?«
»Daß ich Euch im Namen des Königs verhafte.«
»Der König ist freilich der Gebieter«, murmelte der sehr blaß gewordene Oberintendant, »aber ich hätte um seines Ruhmes willen gewünscht, daß er auf offenere Weise vorginge.«
Langmut, Verstellung, schließlich der vernichtende Schlag aus heiterem Himmel - der ganze Fall trug wiederum das Siegel des königlichen Schülers Kardinal Mazarins. Einen analogen Fall hatte ein Jahr zuvor die Verhaftung des Grafen Peyrac gebildet, doch in der Verblüffung und Angst, die den Hof ob des Mißgeschicks des Oberintendanten erfaßte, kam niemand auf den Gedanken, eine Parallele zu ziehen. Die Großen dachten wenig nach. Man wußte nur, daß man in Fouquets Abrechnungen nicht nur die Spur seiner Veruntreuungen auffinden würde, sondern auch die Namen all jener Männer - und Frauen -, deren Gefälligkeiten er reich honoriert hatte. Man sprach sogar von furchtbar kompromittierenden Schriftstücken, durch die sich Edelleute von hohem Rang, ja sogar Fürsten von Geblüt während der Fronde dem durchtriebenen Finanzmann verkauft hatten.
Nein, niemand erkannte in dieser neuerlichen Verhaftung, die noch aufsehenerregender und be-stürzender war als die erste, dieselbe autoritäre Hand. Nur Ludwig XIV. seufzte, nachdem er eine Depesche erbrochen hatte, die ihn von den durch einen gaskog-nischen Edelmann namens d’Andijos angestifteten Unruhen im Languedoc in Kenntnis setzte: »Es war höchste Zeit!«
Das auf dem Wipfel vom Blitz getroffene Eichhörnchen stürzte von Ast zu Ast. Es war höchste Zeit: Die Bretagne würde sich nicht seinetwegen empören, wie sich das Languedoc des andern wegen empört hatte, jenes seltsamen Mannes wegen, den man lebendigen Leibes auf der Place de Grève hatte verbrennen müssen. Was Fouquet betraf, so würde man vermutlich genötigt sein, einen sehr langwierigen Prozeß einzuleiten. Man würde das Eichhörnchen in einer Festung einsperren. Man würde es vergessen .
Angélique hatte nicht die Muße, über diese neuen Ereignisse nachzusinnen. Das Schicksal wollte es, daß der Sturz desjenigen, dem Joffrey de Peyrac insgeheim geopfert worden war, nur zu bald seinem traurigen Siege folgte.
Aber es war zu spät für Angélique. Sie bemühte sich nicht, sich zu erinnern, zu begreifen. Sie war nur noch eine namenlose Frau, die ihre Kinder ans Herz drückte und dem Herannahen des Winters mit Schrecken entgegensah, während die Gaunerwelt in fieberhafter Erregung den Ausbruch einer Schlacht erwartete, die fürchterlich zu werden versprach.
Diese Schlacht des Jahrmarkts von Saint-Germain, die den Tag seiner Eröffnung mit Blut befleckte, verwirrte in der Folgezeit diejenigen, die sich über ihren Anlaß klarzuwerden bemühten. Niemand fand heraus, wer eigentlich die erste Brandfackel geworfen hatte.
Auch in diesem Fall ließ sich nur ein einziger nicht täuschen. Es war ein Bursche namens Desgray, ein gebildeter Mann mit bewegter Vergangenheit. Desgray hatte soeben die Stelle eines Polizeihauptmanns im Châtelet erhalten. Von allen gefürchtet, begann man von ihm als einem der geschicktesten Polizisten der Hauptstadt zu reden. In der Folgezeit sollte sich dieser junge Mann auch tatsächlich einen bedeutenden Namen machen, indem er die Verhaftung der größten Giftmischerin seiner Zeit und vielleicht aller Zeiten vornahm, nämlich der Marquise de Brinvilliers, wie er auch im Jahre 1678 als erster den Schleier der Gifttragödie lüftete, deren Enthüllung selbst die Stufen des Throns mit Kot bespritzen sollte.
Desgray verfolgte seit langem die Rivalität der beiden mächtigen Bandenführer Calembredaine und Rodogone, die sich um den Besitz des Geländes stritten, auf dem der Jahrmarkt von Saint-Germain stattzufinden pflegte. Er wußte, daß sie außerdem Rivalen auf dem Gebiet der Liebe waren, da sie sich um die Gunst einer Frau mit smaragdgrünen Augen stritten, die Marquise der Engel genannt wurde.
Kurz vor Eröffnung des Jahrmarktes kam er strategischen Vorbereitungen innerhalb der Gaunerzunft auf die Spur, und obwohl er nur ein subalterner Polizeibeamter war, gelang es ihm am Morgen der Jahrmarkteröffnung, sich die Ermächtigung zu verschaffen, alle Polizeikräfte der Hauptstadt am Rande des Vororts Saint-Germain zusammenzuziehen. Er konnte damit zwar den Ausbruch des Kampfs nicht verhindern, der sich mit außerordentlicher Geschwindigkeit und Heftigkeit ausbreitete, aber er dämmte ihn immerhin mit gleicher brutaler Plötzlichkeit ein, indem er rechtzeitig die Feuersbrünste löschte, die am Ort befindlichen degentragenden Edelleute einen Sperriegel bilden ließ und Massenverhaftungen vornahm. Als der Morgen zu dämmern begann, waren bereits zwanzig Strolche von »Rang« aus der Stadt zum Galgen von Montfaucon geführt und gehenkt worden.
Freilich rechtfertigte die Berühmtheit des Jahrmarkts von Saint-Germain in mehr als einer Hinsicht das erbitterte Treffen, das die Spitzbuben von Paris einander lieferten, um sich das Monopol auf die »Beerenlese« zu sichern.
Von Oktober bis Dezember und vom Februar bis zur Fastenzeit traf sich hier ganz Paris. Sogar der König hielt es nicht für unter seiner Würde, sich an gewissen Abenden mit seinem Hofstaat hierher zu begeben - ein wahres Geschenk des Himmels für die Taschendiebe und Mantelmarder.
Im 16. Jahrhundert hatten die Mönche der Abtei Saint-Germain-des-Pres, denen der Jahrmarkt unterstand, ihn durch eine mit Toren und Wachhäuschen versehene Mauer einschließen lassen. Jedoch konnte man ihn betreten, ohne eine Gebühr zu entrichten. Im Innern fand man vierhundert Krambuden vor, die in Laubengängen untergebracht waren und ein riesiges, von Straßen durchzogenes Schachbrett bildeten. Ringsherum erlaubte ein geräumiger Wiesenstreifen die Unterbringung von Schaustellerbühnen und die Durchfahrt der Kutschen. Indessen herrschte hier gewöhnlich solches Gedränge, daß man nur mühsam vorwärtskam.
Alles nur mögliche und unmögliche wurde feilgeboten. Schlemmerlokale, mit Spiegelglas und vergoldeten Ornamenten geschmückte Schenken und Spielhöllen reihten sich dicht aneinander, und alles war dazu angetan, die Sinne zu beglücken. Kein vom Dämon der Liebe besessenes Pärchen, das hier nicht die Erfüllung seiner Wünsche gefunden hätte.
Doch zu allen Zeiten bildeten die Zigeuner die größte Attraktion des Jahrmarkts. Mit ihren Akrobaten und Wahrsagern waren sie seine Fürsten.
Schon im Hochsommer sah man Karawanen klapperdürrer Pferde mit geflochtenen Mähnen ankom-men, auf denen in buntem Durcheinander Frauen und Kinder mit ihren Küchengeräten, gestohlenen Schinken und Hühnern saßen. Indem sie sie anstaunten, fanden die Pariser zur lüsternen Neugier ihrer Väter zurück, die im Jahre 1427 zum erstenmal die ewig Ruhelosen mit der kupferfarbenen Haut vor den Mauern von Paris hatten auftauchen sehen. Man hatte sie Ägypter genannt. Man sagte auch: Böhmen oder Zigeuner. Die Strolche erkannten ihren Einfluß auf die Gesetze der Gaunerzunft an, und beim Narrenfest schritt der Herzog von Ägypten neben dem König der Bettler, und die hohen Würdenträger des Galiläischen Reichs zogen den Erzgehilfen des Großen Coesre voraus.
Rodogone dem Ägypter, selbst dem Zigeunerstamm angehörend, kam unter den Fürsten der Unterwelt von Paris rechtens eine hohe Stellung zu. Es war nicht mehr als recht und billig, daß er sich den Zutritt zu jenen zauberumwobenen, mit Unken, Skeletten und schwarzen Katzen dekorierten Heiligtümern vorbehalten wollte, welche die Wahrsagerinnen, die braunen Hexen, wie man sie nannte, im Herzen des Jahrmarkts errichteten.