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»Das ist der Hauptmann der Wache«, flüsterte Angéliques Nachbarin. »Oh, er ist schrecklich! Man nennt ihn den Menschenfresser.«

Der Menschenfresser schritt an ihrer Reihe entlang, wobei er seine Sporen auf den Fliesen klirren ließ.

»Hoho, ihr Frauenzimmer, man wird euch eine Tracht Prügel verabfolgen! Los, runter mit dem Kram. Und wehe denen, die zu laut schreien: Für die gibt es einen Extrahieb.«

Einige Frauen, die bereits die Peitschenhiebe erduldet hatten, zogen fügsam ihr Mieder aus. Diejenigen, die ein Hemd trugen, ließen es über die Arme gleiten und stülpten es über ihren Rock. Den Zögernden halfen die Büttel ohne viel Federlesens nach. Einer von ihnen zerrte Angéliques Mieder herunter und zerriß es dabei. Sie beeilte sich, ihren Oberkörper selbst zu entblößten, aus Angst, man könne den Gürtel mit Rodogones Dolch bemerken.

Der Hauptmann der Wache stolzierte auf und ab und musterte die vor ihm aufgereihten Frauen.

Vor den jüngsten blieb er stehen, und seine kleinen Schweinsaugen begannen aufzuglimmen. Schließlich deutete er mit gebieterischer Geste auf Angélique. Einer der Büttel hieß sie mit verständnisinnigem Grinsen vortreten.

»Los, schafft mir dieses ganze Pack fort«, befahl der Offizier. »Und gerbt ihnen tüchtig das Fell! Wie viele sind es?«

»Einige zwanzig, Herr.«

»Jetzt ist es vier Uhr nachmittags. Vor Sonnenuntergang müßt ihr fertig sein.«

»Jawohl, Herr.«

Die Büttel führten die Frauen hinaus. Angélique entdeckte im Hof einen mit Ruten beladenen Karren, der den erbarmungswürdigen Zug bis zu der für die öffentlichen Züchtigungen bestimmten Stätte bei der Kirche Saint-Denis-de-la-Châtre begleiten sollte. Die Tür schloß sich wieder. Angélique blieb allein mit dem Offizier. Sie warf ihm einen verwunderten und ängstlichen Blick zu. Warum teilte sie nicht das Los ihrer Genossinnen? Würde man sie ins Gefängnis zurückbringen?

Es war eisig in dem niederen, gewölbten Saal, dessen alte Mauern Feuchtigkeit durchsickern ließen. Obwohl es draußen noch hell war, dunkelte es drinnen bereits, und man hatte eine Fackel anzünden müssen. Angélique kreuzte fröstelnd die Arme und bog die Schultern nach vorn, weniger vielleicht um sich vor der Kälte zu schützen, als um ihre Brust dem stierenden Blick des Menschenfressers zu entziehen.

Dieser kam gewichtig näher und hüstelte.

»Nun, mein Herzchen, hast du wirklich Lust, dir deinen hübschen weißen Rücken schinden zu lassen?«

Da sie nichts erwiderte, fuhr er nachdrücklich fort:

»Antworte! Hast du wirklich Lust dazu?«

Begreiflicherweise konnte Angélique nicht sagen, daß sie dazu Lust verspürte. Sie zog es vor, den Kopf zu schütteln.

»Nun, wir könnten das schon deichseln«, meinte der Hauptmann in süßlichem Ton. »Es wäre schade, ein so hübsches Hühnchen zu züchtigen. Vielleicht können wir beide miteinander einig werden?«

Er fuhr ihr mit dem Finger unters Kinn, um sie zu zwingen, den Kopf zu heben, und stieß einen Pfiff der Bewunderung aus.

»Hui! Die schönen Augen! Deine Mutter muß Absinth getrunken haben, während sie dich erwartete! Komm, lach ein bißchen!«

Seine groben Finger streichelten den zarten Hals, glitten über die runde Schulter.

Sie wich zurück, ohne einen Schauer des Abscheus unterdrücken zu können, was sein Gelächter in solchem Maße erregte, daß sein Bauch zu schüttern begann. Ungerührt starrte sie ihn aus ihren grünen Augen an, und obwohl er in seiner Breitschultrigkeit der Überlegene war, schien er als erster verlegen zu werden.

»Wir sind uns einig, nicht wahr?« fuhr er fort. »Du kommst mit mir in meine Wohnung. Hinterher gehst du wieder zur Herde zurück, aber die Büttel werden dich in Ruhe lassen. Du wirst nicht gestäupt . Na, bist du zufrieden, mein Häschen?«

Er brach in ein burschikoses Gelächter aus, dann zog er sie mit sicherem Arm zu sich heran. Die Nähe dieses feuchten Mundes mit dem Tabak- und Rotweinatem widerte Angélique an, und sie wand sich wie ein Aal, um sich aus seiner Umarmung zu befreien. Das Degengehänge und die Tressen an der Uniform des Hauptmanns rieben ihr die Brust wund.

Endlich gelang es ihr, sich zu lösen, und sie schlüpfte, so gut es gehen wollte, in ihr zerrissenes Mieder.

»Was soll das?« fragte der Riese verwundert. »Was ist los mit dir? Hast du nicht begriffen, daß ich dir die Züchtigung ersparen will?«

»Ich danke Euch sehr«, sagte Angélique in festem Ton, »aber ich ziehe es vor, gestäupt zu werden.«

Der Mund des Menschenfressers klaffte weit auf, seine Schnurrbartenden zitterten, und er wurde puterrot, als hätten die Schnüre seines Kragens ihn plötzlich erdrosselt.

»Was ... was sagst du?«

»Ich ziehe es vor, gestäupt zu werden«, wiederholte Angélique. »Der Herr Profos von Paris hat mich dazu verurteilt, ich darf mich seinem Rechtsspruch nicht entziehen.«

Entschlossen ging sie auf die Tür zu. Mit einem einzigen Schritt holte er sie ein und packte sie beim Genick.

»O mein Gott«, dachte Angélique, »nie wieder nehme ich ein Huhn beim Hals. Die Wirkung ist zu schrecklich.«

Der Hauptmann betrachtete sie aufmerksam.

»Du bist mir ein komisches Mädchen«, sagte er ein wenig kurzatmig. »Für das, was du da gesagt hast, könnte ich dir eins mit dem Säbel überziehen, daß du nicht so rasch wieder aufstehst. Aber ich will dir nichts zuleide tun. Du bist schön und wohlgebaut. Je länger ich dich anschaue, desto mehr verlangt mich nach dir. Es wäre zu töricht, wenn wir uns nicht einig würden. Ich werde mich erkenntlich zeigen. Sei nett zu mir, und wenn du zu den andern zurückkehrst, nun ... vielleicht schaut der Wächter, der dich begleitet, gerade mal nach der anderen Seite .«

Da war sie, die Möglichkeit des Entrinnens. Die kleinen Gestalten Florimonds und Cantors tanzten vor Angéliques Augen. Verstört starrte sie in das brutale rote Gesicht, das sich über sie neigte. Unwillkürlich lehnte sich ihr Körper auf. Es war unmöglich! Niemals würde sie das über sich bringen! Im übrigen konnte man auch aus dem Arbeitshaus entkommen ... Sogar schon auf dem Wege dorthin könnte sie es versuchen ...

»Ich will lieber ins Arbeitshaus!« schrie sie außer sich. »Ich will lieber .«

Alles andere ging in einem Wirbelsturm unter. Während sie geschüttelt wurde, daß ihr der Atem verging, prasselte ein Hagel wüster Schimpfwörter auf sie nieder. Der lichte Schlund einer Tür öffnete sich, und sie wurde wie eine Kugel hineingefeuert.

»Prügelt mir diese Dirne, bis ihr die Haut in Fetzen abgeht!« brüllte der Hauptmann hinter ihr her. Dann knallte die Tür mit Donnergetöse ins Schloß.

Angélique war in eine Gruppe von Leuten der Bürgerpolizei gestürzt, die eben die Nachtwache übernommen hatten. Es waren in der Hauptsache friedfertige Handwerker und Kaufleute, die nur widerwillig dieser den Zünften und Korporationen um der Sicherheit der Stadt willen turnusmäßig auferlegten Verpflichtung nachkamen. Sie stellten im übrigen die »sitzende« oder »schlafende« Polizei dar und hatten ihre bestimmten Aufgaben. Sie waren gerade im Begriff gewesen, ihre Spielkarten und Pfeifen hervorzuholen, als ihnen das halbnackte Mädchen vor die Füße flog. Die Stimme des Hauptmanns hatte sich derartig überschlagen, daß niemand seinen Befehl verstanden hatte.

»Wieder mal eine, die unser tüchtiger Hauptmann verführt hat«, sagte einer von ihnen. »Man kann nicht sagen, daß die Liebe ihn ausgesprochen sanft macht.«

»Immerhin, er hat Erfolg. Er verbringt seine Nächte niemals einsam.«

»Ei, er greift sie sich aus den Gefangenen heraus und läßt sie zwischen dem Gefängnis und seinem Bett wählen.«

»Wenn der Profos es wüßte, würde er ihm schon die Suppe versalzen!«

Angélique hatte sich ziemlich zerschunden aufgerichtet. Die Polizisten sahen ihr belustigt zu. Sie stopften ihre Pfeifen und mischten die Spielkarten. Zögernd näherte sie sich der Tür der Wachstube. Niemand hielt sie zurück. Ungehindert gelangte sie auf die belebte Straße und rannte in wilder Hast davon.