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»Ich kann nicht mehr«, murmelte sie und blieb stehen, um wieder zu Atem zu kommen.

»Warte, ich sehe Laternen hinter uns. Es sind Reiter, die nach Paris wollen. Wir werden sie fragen, ob sie uns zu sich auf den Sattel nehmen.«

Dreist pflanzte sich die Polackin mitten auf der Straße auf. Als die Gruppe herangekommen war, rief sie mit ihrer heiseren Stimme, die bei passender Gelegenheit überraschend schmeichelnd klingen konnte:

»Heda, ihr galanten Kavaliere! Wollt ihr euch zweier hübscher Mädchen erbarmen, die sich in Not befinden? Man wird nicht versäumen, sich erkenntlich zu zeigen.«

Die Reiter hielten ihre Pferde an. In der Dunkelheit waren nur ihre Mäntel mit den hochgeschlagenen Kragen und ihre durchnäßten Hüte zu erkennen. Sie wechselten ein paar Worte in einer fremden Sprache, dann steckte sich eine Hand nach Angélique aus, und eine jugendliche Stimme sagte auf französisch:

»Steigt ruhig auf, meine Schöne.«

Die Hilfeleistung der Hand fiel kräftig aus, und die junge Frau fand sich unversehens in bequemem Amazonensitz hinter dem Reiter wieder. Die Pferde setzten sich von neuem in Bewegung.

Ohne sich umzuwenden, sagte Angéliques Reitgenosse: »Haltet Euch gut an mir fest, Mädchen. Mein Tier hat einen harten Trab, und mein Sattel ist schmal. Ihr könntet sonst herunterfallen.«

Sie gehorchte, schlang ihre Arme um den Oberkörper des jungen Mannes und preßte ihre erstarrten Hände an seine warme Brust. Den Kopf gegen den kräftigen Rücken des Unbekannten gelehnt, kostete sie einen Augenblick der Entspannung. Jetzt, da sie wußte, was sie tun würde, fühlte sie sich ruhiger. Was die Reiter betraf, so erfuhr sie, daß es sich um eine Gruppe von Protestanten handelte, die von der Kirche in Charenton zurückkehrten.

Bald darauf ritten sie in Paris ein. Angéliques Gefährte bezahlte für sie das Wegegeld an der Porte Saint-Antoine.

»Wohin darfich Euch bringen, meine Schöne?« fragte er und wandte sich diesmal um, in der Hoffnung, ihr Gesicht erkennen zu können.

Sie schüttelte die Beklemmung ab, die sie seit einer Weile erfaßt hatte.

»Ich möchte Eure Zeit nicht über Gebühr in Anspruch nehmen, Monsieur, aber freilich würdet Ihr mir einen großen Gefallen erweisen, wenn Ihr mich bis zum Châtelet brächtet.«

»Das tu’ ich gern.«

»Angélique«, rief die Polackin, »du begehst eine große Torheit. Sieh dich vor!«

»Laß mich . Und gib mir deine Börse. Vielleicht kann ich sie brauchen.«

»Nun, in Gottes Namen ...«, murmelte das Mädchen achselzuckend.

Angéliques Reiter lüftete seinen Hut, um sich von den andern zu verabschieden, dann galoppierte er durch die breite und fast menschenleere Straße des Faubourg Saint-Antoine. Ein paar Minuten später machte er vor dem Chätelet-Gefängnis halt, das Angélique wenige Stunden zuvor verlassen hatte.

Sie stieg ab. Am Hauptportal der Festung angebrachte große Fackeln beleuchteten den Platz. In ihrem unruhigen roten Schein konnte Angélique den liebenswürdigen Weggenossen besser erkennen. Es war ein etwa fünfundzwanzigjähriger junger Mann, auf bürgerliche Weise gut, aber schlicht gekleidet.

»Es tut mir leid«, sagte sie, »daß Ihr Euch meinetwegen von Euren Freunden getrennt habt.«

»Das ist nicht schlimm. Meine Begleiter gehören nicht zu meinem Kreis. Sie sind Ausländer. Ich selbst bin Franzose und wohne in La Rochelle. Mein Vater, der Reeder ist, hat mich nach Paris geschickt, wo ich mich nach geschäftlichen Möglichkeiten umsehen soll. Ich habe mich jenen Fremden angeschlossen, weil ich ihnen in der Kirche von Charenton begegnet bin, wo wir an der Beisetzung eines Glaubensbruders teilnahmen. Ihr seht, daß Ihr meine Absichten nicht gestört habt.«

»Ich danke Euch, daß Ihr es mir auf so artige Weise sagt, Monsieur.«

Sie reichte ihm die Hand.

Er ergriff sie, und Angélique blickte in ein gutes und ernstes Gesicht, das sich lächelnd zu ihr herabbeugte.

»Ich freue mich, daß ich Euch einen Dienst erweisen konnte, meine Liebe.«

Sie sah ihm eine Weile nach, wie er sich auf seinem Pferd zwischen den Fleischerständen der belebten Rue de la Grande Boucherie entfernte. Er wandte sich nicht um, aber dieses Begegnung hatte der jungen Frau neuen Mut gegeben.

Beherzt durchquerte sie die Einfahrt und meldete sich bei der Wache. Ein Polizist kam heraus.

»Ich möchte den Hauptmann der königlichen Wache sprechen.«

Der Mann zwinkerte verständnisinnig mit den Augen.

»Den Menschenfresser? Nun, geh nur ruhig zu, wenn er nach deinem Geschmack ist.«

Der Wachraum war von bläulichem Tabaksqualm erfüllt. Während sie ihn zögernd betrat, versuchte sie instinktiv, ihren feuchten Rock zu glätten. Sie bemerkte, daß der Wind ihre Haube abgerissen hatte, und da sie sich ihrer kurzgeschorenen Haare schämte, löste sie ihr Halstuch, schlang es um den Kopf und band die beiden Enden unter dem Kinn fest. Dann durchquerte sie den Raum. Vor dem Kaminfeuer zeichnete sich die imposante Silhouette des Hauptmanns ab. In der einen Hand eine lange Pfeife, in der andern ein Weinglas, erging er sich in lärmenden Reden. Seine Leute hörten ihm gähnend zu und rekelten sich auf ihren Stühlen. Man schien an seine Prahlereien gewöhnt.

»Sieh einer an, wir kriegen Damenbesuch«, sagte einer der Soldaten, über die Ablenkung erfreut.

Der Hauptmann fuhr hoch und lief puterrot an, als er Angélique erkannte.

Sie ließ ihm keine Zeit, sich zu fassen, und rief:

»Herr Hauptmann, hört mich an, und Ihr Herren Polizisten, steht mir bei! Zigeuner haben mein Kind geraubt und schleppen es mit sich. In diesem Augenblick kampieren sie bei der Brücke von Charenton. Ich flehe Euch an, kommt mit mir und zwingt sie, mir mein Kind zurückzugeben. Dem Befehl der Polizei können sie nicht trotzen .«

Es trat verblüfftes Schweigen ein, dann begann einer der Männer dröhnend zu lachen.

»Hoho! So was ist noch nicht dagewesen! Hohoho! Ein Mädchen, das die Polizei in Bewegung setzt, um ... Hoho! Für wen hältst du dich eigentlich, Marquise?«

»Sie hat geträumt! Sie hat geglaubt, sie sei die Königin von Frankreich!« Das Gelächter überflutete die ganze Wachstube. Nur der Hauptmann ließ sich nicht anstecken, und sein hochrotes Gesicht nahm einen fürchterlichen Ausdruck an.

»Er läßt mich ins Gefängnis werfen. Ich bin verloren!« dachte Angélique.

Von panischer Angst ergriffen, sah sie sich im Kreise um.

»Es ist ein acht Monate altes Bübchen«, rief sie. »Es ist schön wie ein Engel. Es gleicht Euren Kleinen, die in diesem Augenblick in ihrer Wiege neben ihrer Mutter schlafen . Und die Zigeuner werden es mit sich nehmen, weit weg ... Es wird nie wieder seine Mutter sehen ... Fern von seiner Heimat, seinem König . Es .«

Tränenlose Schluchzer erstickten ihre Worte. Auf den fidelen Gesichtern der Wachmänner erstarb das Lachen. Sie wechselten verlegene Blicke.

»Meiner Treu«, sagte ein narbenbedeckter Alter, »wenn diese Landstreicherin so an ihrem Knirps hängt ... Es gibt schon genug, die an den Straßenecken verkommen ...«

»Ruhe!« wetterte der Hauptmann.

Breitspurig pflanzte er sich vor der jungen Frau auf. »Also«, sagte er mit unheimlicher Ruhe, »man ist nicht nur eine zur Auspeitschung verurteilte Dirne, nein, man tut auch noch vornehm und kommt mir nichts, dir nichts hierher, um eine Korporalschaft Polizisten in seinen Dienst einzuspannen! Und was bietet man als Gegenleistung, Marquise?«

Sie schaute ihm tapfer ins Gesicht: »Mich.«

Der Koloß kniff verdutzt die Augen zusammen.

»Komm mit mir«, befahl er plötzlich.

Und er drängte sie in einen benachbarten Raum, der als Schreibstube diente.

»Was meinst du eigentlich mit deinem >mich<?« knurrte er.