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»Unerhört!« rief die Herzogin aus. »Hörst du das, Bertille? Diese Bettlerinnen werden jeden Tag unverschämter! Laßt mich los, Weib! Rührt mich nicht an mit Euren schmutzigen Händen, sonst lasse ich Euch von meinen Lakaien prügeln.«

»Seht Euch vor, Madame«, sagte Angélique leise. »Seht Euch vor, daß ich nichts von Kouassi-Bas Kind erzähle!«

Die Herzogin, die ihre Röcke gerafft hatte, um in die Kutsche zu steigen, hielt wie erstarrt inne.

Angélique fuhr fort:

»Ich kenne im Faubourg Saint-Denis ein Haus, in dem ein Mohrenkind aufgezogen wird .«

»Sprecht leiser«, zischte Madame de Soissons wütend.

Sie drängte sie ein Stück beiseite.

»Was ist das für eine Geschichte?« fragte sie in trok-kenem Ton. Und um sich Haltung zu geben, schlug sie ihren Fächer auf und bewegte ihn heftig, obwohl ein scharfer Wind wehte.

Da Florimond auf Angéliques steifen Gliedern zu lasten begann, nahm sie ihn auf den andern Arm.

»Ich kenne ein Mohrenkind, das nicht bei seiner Mutter aufwächst. Es ist in Fontainebleau an einem gewissen, mir bekannten Tage zur Welt gekommen, unter dem Beistand einer gewissen Frau, deren Namen ich jedem, der es wissen will, sagen könnte. Der Hof wird sich vermutlich höchlichst amüsieren, wenn er erfährt, daß Madame de Soissons ein Kind dreizehn Monate lang in ihrem Schoß getragen hat!«

»O dieses liederliche Weibsbild!« rief die schöne Olympe aus, die ihr südliches Temperament wieder einmal nicht zu zügeln vermochte. Sie fixierte Angélique und versuchte, sie zu identifizieren, aber die junge Frau senkte nur die Augen, fest überzeugt, daß niemand hinter ihrem ärmlichen Äußeren die strahlende Madame de Peyrac vermuten würde.

»Nun ist es wirklich genug!« erklärte die Herzogin von Soissons zornig und rauschte auf ihre Kutsche zu. »Ihr verdient, daß ich Euch prügeln lasse. Ich kann es nicht leiden, wenn man sich über mich lustig macht.«

»Der König kann es auch nicht leiden, wenn man sich über ihn lustig macht«, flüsterte Angélique, die ihr auf dem Fuße folgte.

Die Dame wurde puterrot, ließ sich auf das Samtpolster sinken und ordnete erregt ihre Röcke.

»Der König! Der König ...! Eine Landstreicherin ohne Hemd erlaubt sich, vom König zu reden! Es ist unerträglich! Nun, und? Was wollt Ihr .?«

»Ich habe es Euch bereits gesagt, Madame. Sehr wenig: eine Fuhre Holz, warme Kleider für mich selbst, für mein Kleines und meine acht- und zehnjährigen Jungen, ein wenig Nahrung .«

»Oh, daß man mit mir so zu sprechen wagt! Welche Erniedrigung!« knirschte Madame de Soissons. »Und da beglückwünscht sich dieser Narr von Polizeipräfekt zu seinem Unternehmen auf dem Jahrmarkt von Saint-Germain und behauptet, er habe die gefährlichste Gaunerbande der Stadt zerschlagen ... Warum schließt ihr den Wagenschlag nicht, ihr Tölpel!« rief sie, zu den Lakaien gewandt.

Einer von ihnen schob Angélique beiseite, um dem Befehl seiner Herrin nachzukommen, aber sie gab sich nicht geschlagen und trat abermals an die Kutschentür.

»Kann ich mich im Palais Soissons, Rue Saint-Honoré, melden?«

»Meldet Euch«, sagte die Herzogin trocken. »Ich werde Anweisungen erteilen.«

So sah denn Meister Bourgeaud, Bratkoch der Rue de la Vallée-de-Misère, der gerade über seiner ersten Pinte Wein hockte und melancholisch an die lustigen Liedchen dachte, die ehedem zu dieser Stunde die Meisterin Bourgeaud zu singen pflegte, einen wunderlichen Aufzug in seinem Hof eintreffen.

Ein aus zwei jungen Frauen und drei Kindern bestehendes Grüppchen abgerissener Gestalten schritt vor einem Diener in vornehmer, kirschroter Livree einher, welch letzterer höchst mißvergnügt einen mit Holz und Kleidungsstücken beladenen Karren zog. Um das seltsame Bild zu vervollständigen, hockte ein kleiner Affe auf dem Karren, dem es offensichtlich Spaß machte, sich spazierenfahren zu lassen, und der den Vorübergehenden Grimassen schnitt. Einer der Knaben trug eine Bettlerleier, deren Saiten er munter zupfte.

Meister Bourgeaud sprang auf, fluchte, schlug mit der Faust auf den Tisch und erschien in der Küche, als Angélique eben Florimond in Barbes Arme legte.

»Ja, was denn? Was ist denn das?« stammelte er außer sich. »Willst du mir gar wieder erzählen, daß der da dir gehört? Wo ich dich für ein braves und ehrsames Mädchen gehalten habe, Barbe?«

»Meister Bourgeaud, hört mich an .«

»Ich will nichts hören! Man betrachtet meine Bratstube als ein Asyl! Ich bin entehrt .«

Er warf seine Kochmütze auf den Boden und lief hinaus, um einen Polizisten zu holen.

»Behalte die beiden Kleinen hier bei dir in der Wärme«, sagte Angélique zu Barbe. »Ich mache droben in deinem Zimmer Feuer.«

Der verdutzte und gekränkte Lakai der Madame de Soissons mußte also die Holzscheite über eine wacklige Treppe in den siebenten Stock hinaufschaffen und sie in einem kleinen Raum ablegen, der nicht einmal ein mit Vorhängen versehenes Bett auf wies.

»Und du wirst der Frau Herzogin einschärfen, daß sie mir dasselbe jeden Tag bringen läßt«, sagte Angélique zu ihm, als sie ihn verabschiedete.

Der Lakai räusperte sich ominös. »Hör mal, meine Schöne, wenn du meine Meinung wissen willst .«

»Ich will deine Meinung nicht wissen, Dummkopf, und ich verbiete dir, mich zu duzen«, schloß Angélique in einem Ton, der sich mit ihrem zerrissenen Mieder und den abgeschnittenen Haaren schlecht vertrug.

Der Lakai stieg die Treppe hinunter, und auch er fühlte sich wie Meister Bourgeaud entehrt.

Ein wenig später kam Barbe mit Florimond und Cantor auf dem Arm die Treppe herauf. Als sie das Zimmer betrat, bliesen Linot und Flipot mit vollen Backen in ein prächtig knisterndes Holzfeuer.

»Laß sie ruhig hier, wo es jetzt so schön warm ist«, sagte Angélique, »und geh an deine Arbeit. Barbe, du bist doch nicht böse, daß ich mit meinen Kleinen zu dir gekommen bin?«

»O Madame, ich bin ja glücklich darüber!«

»Und du mußt auch diese armen Kinder aufnehmen«, sagte Angélique, indem sie auf Rosine und die beiden Knaben wies. »Wenn du wüßtest, woher sie kommen!«

»Madame, mein ärmliches Zimmer steht zu Eurer Verfügung.«

»Baaarbe ...!«

Meister Bourgeaud brüllte unten im Hof. Die ganze Nachbarschaft hallte wider von seinem Geschrei. Nicht nur, daß sein Haus von Bettelvolk mit Beschlag belegt worden war, jetzt verlor auch noch seine Magd den Kopf.

Einen Spieß mit sechs Kapaunen hatte sie mir nichts, dir nichts verbrennen lassen ... Und was war denn das, dieser Funkenregen, der dort oben aus dem Kamin stob? Einem Kamin, in dem seit fünf Jahren kein Feuer mehr gebrannt hatte. Alles würde in Flammen aufgehen! Das war der Ruin. Ach, warum war auch die Meisterin Bourgeaud gestorben!

Das von Madame de Soissons geschickte Kochgeschirr enthielt Rindfleisch, Suppe und schöne Gemüse. Auch zwei Brote und ein Topf mit Milch waren dabei.

Rosine ging hinunter, um am Brunnen im Hof einen Eimer Wasser zu holen, das sie später auf den Feuerböcken heiß werden ließ. Angélique wusch ihre beiden Kinder und hüllte sie in neue Hemden und warme Decken. Nie mehr würden sie hungern und frieren ...!

Cantor lutschte an einem Hühnerknochen, den er in der Küche aufgelesen hatte, und plapperte vor sich hin, während er mit seinen Füßchen spielte. Florimond schien sich noch nicht so recht erholt zu haben. Er schlummerte ein und wachte schreiend wieder auf. Er zitterte, und sie wußte nicht, war es vor Fieber oder vor Angst. Doch nach seinem Bade schwitzte er ausgiebig und sank endlich in friedlichen Schlaf.

Angélique schickte Linot und Flipot hinaus und wusch sich ihrerseits in dem Kübel, dessen sich die Magd zu bedienen pflegte.

»Wie schön du bist!« sagte Rosine bewundernd zu ihr. »Ich kenne dich nicht, aber sicher bist du eins der Liebchen von Beau-Garçon.«