Выбрать главу

Endlich war im Gang die raunzende Stimme des Hauptmanns zu vernehmen. Polternd und eine wahre Flut wüster Beschimpfungen ausstoßend, trat er ein.

»Was für ein faules Gesindel! Unfähig, allein mit etwas fertig zu werden! Wenn ich nicht wäre!«

Er schleuderte seinen Degen und seine Pistole auf den Tisch, ließ sich schnaufend auf den nächsten Schemel sinken und befahl, Angélique einen Fuß entgegenstreckend: »Zieh mir meine Stiefel aus!«

Angéliques Blut wallte auf.

»Ich bin nicht Eure Magd!«

»Hör sich das einer an!« murmelte der Hauptmann und stemmte seine Hände auf die Knie.

Doch schon sagte sich Angélique, daß es töricht sei, in einem Augenblick den Zorn des Menschenfressers zu reizen, in dem sie völlig seiner Gnade ausgeliefert war. Sie versuchte, nachträglich ihre unüberlegten Worte zu mildern:

»Ich würde es gern tun, aber ich versteh’ mich nicht auf das Soldatenzeug. Eure Stiefel sind so groß und meine Hände so klein. Schaut doch.«

»Stimmt, sie sind klein, deine Hände. Du hast Prinzessinnenhände.«

»Ich kann’s versuchen .«

»Laß sein, Täubchen«, knurrte er und stieß sie zurück. Danach packte er einen seiner Stiefel und begann, aus Leibeskräften zu ziehen, wobei er fürchterliche Grimassen schnitt. Bis draußen eilige Schritte über den fliesenbelegten Gang klapperten; und eine bedrängte Stimme rief:

»Herr Hauptmann! Herr Hauptmann!«

»Was ist los?«

»Eben haben sie eine Leiche angeschleppt, die beim Petit-Pont aufgefischt worden ist.«

»Schafft sie ins Schauhaus.«

»Ja ... Aber sie hat eins mit dem Dolch in den Bauch gekriegt. Ihr müßt schon kommen und bestätigen.«

Der Hauptmann fluchte, stieß den schon halbwegs befreiten Fuß wieder in den Stiefel zurück und stürzte hinaus.

Angélique wartete von neuem und erstarrte immer mehr zu Eis. Sie begann schon zu hoffen, daß die Nacht auf diese Weise vergehen oder daß er nicht wiederkommen oder daß ihm am Ende gar ein Unglück zustoßen werde, als das Châtelet abermals von seiner gewaltigen Stimme widerhallte. Ein Polizist begleitete ihn.

»Zieh mir die Stiefel aus«, sagte er zu ihm. »So. Und nun verdufte. Und du, Mädchen, leg dich in die Falle, statt zähneklappernd herumzustehen.«

Angélique wandte sich zum Alkoven und begann sich auszuziehen. Es war ihr, als presse ihr eine Hand das Herz zusammen. Sie wußte nicht recht, ob sie sich auch ihres Hemdes entledigen solle, und entschied sich schließlich, es anzubehalten. Trotz ihrer Beklemmung empfand sie dann doch ein Gefühl des Wohlbehagens, als sie unter die Decken schlüpfte. Die Pfühle waren weich, und ganz allmählich wurde ihr wieder warm. Sie zog das Laken übers Kinn, während sie den Hauptmann sich gleichfalls ausziehen hörte.

Es war so etwas wie ein Naturphänomen: Er knirschte, schnaubte, ächzte, grunzte, und der Schatten seiner riesigen Gestalt füllte eine ganze Wand aus.

Er nahm die prächtige braune Perücke ab und stülpte sie sorgsam über einen hölzernen Pilz. Nachdem er sich sodann energisch den kahlen Schädel gerieben hatte, warf er seine letzten Kleidungsstücke von sich.

Auch jetzt noch, ohne Stiefel und Perücke, im Adamskostüm, wirkte der Hauptmann höchst imposant. Sie hörte ihn in einem Eimer Wasser planschen, dann kam er, ein Handtuch züchtig um die Lenden geknotet, zurück. In diesem Augenblick wurde abermals an die Tür geklopft.

»Herr Hauptmann! Herr Hauptmann!«

Er öffnete.

»Herr Hauptmann, die Wachpatrouille ist zurückgekehrt und meldet, in der Rue des Martyrs sei ein Haus ausgeraubt worden .«

»Schockschwerenot!« donnerte der Hauptmann. »Wann, in drei Teufels Namen, merkt ihr endlich, daß ich der Märtyrer bin! Seht ihr nicht, daß ich ein knuspriges Hühnchen in meinem Bett habe, das seit drei Stunden auf mich wartet? Glaubt ihr, ich habe Zeit, mich um eure Albernheiten zu kümmern?«

Krachend schlug er die Tür zu, schob mit Getöse die Riegel vor und stand einen Augenblick lang nackt und kolossal da, während er die unflätigsten Schimpfworte ausstieß. Dabei schlang er ein Tuch um seine Glatze und ließ kokett zwei Zipfel über der Stirn herausragen.

Endlich ergriff er den Leuchter und näherte sich behutsam dem Alkoven.

Angélique sah den roten Riesen auf sich zukommen, dessen gehörnter Kopf einen grotesken Schatten an die Decke warf. Entspannt durch die Wärme des Betts, erschlafft durch das lange Warten und schon nahe am Einschlafen, fand sie diese Erscheinung so komisch, daß sie unwillkürlich lachen mußte. Der Menschenfresser blieb überrascht stehen, und sein Vollmondgesicht nahm einen jovialen Ausdruck an.

»Hoho! Das Schätzchen lächelt mich an! Darauf war ich ja gar nicht gefaßt! Bisher hab’ ich nur feststellen können, daß du eine Meisterin im Abschießen eisiger Blicke bist. Aber ich sehe, daß du auch Spaß verstehst. Hehe! Du lachst, meine Schöne! Gut so! Hehe! Hohoho!«

Er lachte aus vollem Hals, und mit seiner Haube und seinem Leuchter schien er ihr so komisch, daß Angélique in ihrem Kopfkissen schier erstickte. Mit tränenfeuchten Augen gelang es ihr endlich, sich zu beherrschen. Sie war wütend über sich selbst, denn sie hatte sich fest vorgenommen, würdevoll und gleichgültig zu sein, nur das zu gewähren, was man von ihr verlangen würde, und nun lachte sie wie ein Freudenmädchen, das seinen Kunden zufriedenstellen will.

»Gut so, meine Hübsche, gut so«, wiederholte der Hauptmann höchst vergnügt. »Nun rück mal ein bißchen und mach mir ein Plätzchen neben dir.«

Dieses »Plätzchen«, das er verlangte, hätte beinahe aufs neue Angéliques nervöse Heiterkeit erregt. Doch zugleich überkam sie der Gedanke an das, was ihr bevorstand. Während er sich ins Bett schwang, wich sie auf die entgegengesetzte Seite zurück und blieb dort zusammengekauert, stumm und wie gelähmt liegen.

Die Matratze senkte sich knarrend unter der wuch-tigen Masse, die sich auf ihr niederließ. Der Hauptmann hatte die Kerze ausgeblasen. Nun zog seine Hand die Vorhänge des Alkovens zusammen, und in der feuchten Dunkelheit nahm sein penetranter Geruch nach Wein, Tabak und Stiefelleder unerträgliche Intensität an. Er schnaufte heftig und brummte undeutliche Flüche. Endlich tastete er die Matratze neben sich ab, und seine derbe Pranke fiel auf Angélique, die sich steif machte.

»Ei der Daus!« sagte er. »Du bist ja wie eine Drahtpuppe. Das ist nicht der geeignete Moment, meine Schöne. Aber ich will keine Gewalt anwenden. Ich will es dir ganz friedlich erklären, weil du’s bist. Wie du mich vorhin so ansahst, als sei ich nicht dicker als eine Erbse, da hab’ ich mir gleich gedacht, daß es dir keinen großen Spaß machen würde, mit mir zu schlafen. Obwohl ich doch ein schöner Mann bin und den Frauen zu gefallen pflege. Nun ja, versteh einer die Weibsbilder .! Eins weiß ich aber sicher: nämlich daß du mir gefällst. Ein richtiges Schätzchen! Du gleichst nicht den andern, bist zehnmal schöner. Seit gestern denk’ ich nur noch an dich .«

Seine plumpen Finger kniffen und tätschelten sie liebevoll.

»Also, weißt du, um sicher zu sein, dir Ehre erweisen zu können und nicht zu kurz zu kommen, hab’ ich mir einen tüchtigen Krug Zimmetwein bringen lassen. O Jammer! Von diesem Augenblick an haben sich mir all diese Einbrecher- und Leichengeschichten auf die Rübe geschlagen. Als ob die Leute sich absichtlich hätten ermorden lassen, bloß um sich mir lästig zu machen. Drei Stunden lang bin ich zwischen Gerichtskanzlei und Schauhaus hin- und hergelaufen, mit diesem verdammten Zimmetwein im Magen, der mir das Blut gewaltig erhitzt hat. Und jetzt kann ich nicht mehr lange fackeln, das will ich dir nicht verheimlichen. Es bleibt mir keine Zeit, dich durch Schmeicheleien gefügig zu machen, und es ist besser für uns beide, wenn du ein bißchen guten Willen zeigst. Nun, wie steht’s damit, Mädchen?«

Die Rede bewies die Verständigungsbereitschaft ihres furchterregenden Partners und wirkte beruhigend auf Angélique. Im Gegensatz zu den meisten Frauen ließen sich ihre Reflexe und Reaktionen, selbst die physischen, von der Vernunft beeinflussen. Der Hauptmann, der keineswegs dumm war, hatte das instinktiv erfaßt. Er wurde für seine Geduld belohnt, indem er neben sich einen schönen, geschmeidigen, stummen Körper fand, der sich fügsam seinem Verlangen erschloß. Angélique hatte keine Zeit, Widerwillen zu empfinden. In seiner Umklammerung wie von einem Wirbelsturm geschüttelt, fand sie sich fast im gleichen Augenblick wieder befreit und von seiner breiten Hand wie ein Holzscheit auf die andere Seite des Betts zurückgerollt.