»Da habt ihr wieder einmal eine der Klatschgeschichten dieses Reptils von Schmutzpoeten«, sagte die dicke Händlerin giftig. »Na, man weiß ja, daß die Männer nicht viel taugen! Trotzdem möchte ich behaupten, daß der Schmutzpoet diesmal gelogen hat, denn, mögen sie noch so große Schweine sein, es gibt keinen Mann, der so was seiner Frau antun würde, wenn sie dabei ist, ihr ersten Kind zu kriegen. Später ist es was anderes. Das Fleisch ist schwach.«
»Patin, ich werde dem Schmutzpoeten erzählen, was Ihr über den König gesagt habt.«
»Du kannst ruhig deinen Schnabel wetzen, mein Herzchen. Er ist im Gefängnis, und man wird ihn hängen.«
»Ich glaub’ es nicht. Er rückt jedesmal aus. Im übrigen wird er von uns gebraucht, denn er soll doch unsern Glückwunsch für die Königin verfassen.«
»Wir sind auf diesen galligen Liederjan nicht angewiesen«, versicherte die dicke Händlerin, die offensichtlich nichts für ihn übrig hatte. »Es gibt genug andere Poeten, die sich für unsere Gedichte ins Zeug legen würden; und acht Stände werden errichtet, um sie beim ersten Böllerschuß zu verteilen, der der Stadt die Geburt verkündet.«
»Beim fünfundzwanzigsten Böllerschuß wird man wissen, ob es ein Knabe oder ein Mädchen ist. Vierundzwanzig Böllerschüsse für eine Prinzessin, hundert für den Dauphin.«
Angelegentlich wurde über den Putz diskutiert, mit dem die Damen Blumen- und Apfelsinenverkäuferinnen vom Pont-Neuf sich auszustaffieren gedachten, wenn sie zusammen mit den Fischfrauen der Markthalle der jungen Wöchnerin und dem Dauphin die guten Wünsche der Händlerinnen von Paris überbringen würden.
»Im Augenblick«, erklärte Angéliques Meisterin, »geht mir eine andere Sorge im Kopf herum: Wohin soll unsere Innung tafeln gehen, um den Saint-Valbonne-Tag würdig zu feiern? Der Wirt der >Guten Kinder< hat uns im vergangenen Jahr wüst geprellt. Keinen Sol tu ich mehr in dessen Börse.«
Angélique mischte sich in die Unterhaltung, der sie bis dahin stumm gelauscht hatte, wie es sich für ein anständiges Lehrmädchen gehört.
»Ich kenne eine vorzügliche Bratküche in der Rue de la Vallée-de-Misère, die gar nicht teuer ist und wo man nahrhafte und neuartige Gerichte bereitet.«
Sie zählte hastig auf, was ihr an Spezialitäten der Peyracschen Tafel einfiel, bei deren Herstellung sie Hand angelegt hatte:
»Hummerpasteten, mit Fenchel gefüllten Truthahn, Lammfrikassee, ganz zu schweigen von den Mandelschnitten, den Fleischpasteten und den Aniswaffeln. Aber, meine Damen, Ihr bekommt dort auch etwas vorgesetzt, das selbst Seine Majestät Ludwig XIV noch nie auf seiner Tafel gesehen hat: kleine, brennende Windbeutel, die eine Nuß aus gefrorener Gänseleber enthalten, ein wahres Wunder.«
»Hui, Mädchen, du machst uns den Mund wäßrig!« riefen die Händlerinnen aus. »Wie heißt denn das Lokal?«
»Zum >Kecken Hahn<, die letzte Bratstube der Rue de la Vallée-de-Misère in der Richtung des Quai des Tanneurs.«
»Meiner Treu, ich glaube nicht, daß man dort einen sonderlich guten Tisch führt. Mein Alter, der in der großen Metzgerei arbeitet, geht manchmal zum Vespern hinüber und sagt, es sei eine trübselige und wenig einladende Wirtschaft.«
»Da hat man Euch etwas ganz Falsches berichtet, meine Liebe. Bei Meister Bourgeaud, dem Wirt, ist gerade eben ein Neffe aus Toulouse eingetroffen, ein raffinierter Koch, der eine ganze Menge Gerichte aus dem Süden kennt. Vergeßt nicht, daß in Toulouse die Blumen Königinnen sind. Der heilige Valbonne wird beglückt sein, wenn man ihn unter diesem Zeichen feiert! Und im >Kecken Hahn< ist auch ein Äffchen, das lustige Grimassen schneidet. Und ein Leiermann, der alle Lieder des Pont-Neuf kennt. Kurzum, es ist alles da, was dazugehört, um sich in guter Gesellschaft zu vergnügen.«
»Hör mal, du scheinst mir für das Reklamemachen noch begabter zu sein als für das Blumenbinden. Ich werde dich zu dieser Bratstube begleiten.«
»Nur nicht heute! Der Koch aus Toulouse ist auf die Felder gegangen, um persönlich den Kohl für eine göttliche Specksuppe auszuwählen, deren Rezept er allein kennt. Aber morgen abend wird man Euch erwarten, Euch und zwei weitere Damen, damit Ihr nach Eurem Belieben ein Menü zusammenstellt.«
»Und du, was machst du in dieser Bratküche?«
»Ich bin eine Verwandte Meister Bourgeauds«, erklärte Angélique ohne Umschweife. »Mein Mann war Zuckerbäcker. Er hatte noch nicht seine Meisterprüfung abgelegt, als er an der Pest starb. Er ließ mich in größter Armut zurück, denn wir hatten seiner Krankheit wegen beim Apotheker beträchtliche Schulden gemacht.«
»Was Apothekerrechnungen anbelangt, können wir auch ein Liedchen singen!« seufzten die guten Frauen mit einem bekümmerten Blick gen Himmel.
»Meister Bourgeaud hat mich aus Mitleid aufgenommen, und ich helfe ihm im Geschäft. Aber da die Kundschaft rar ist, suche ich mir nebenbei ein bißchen Geld zu verdienen.«
»Wie heißt du, meine Schöne?« - »Angélique.«
Worauf sie aufstand und sagte, sie müsse gehen, um sofort den Bratkoch ins Bild zu setzen.
Während sie raschen Schrittes der Rue de la Vallée-de-Misère zustrebte, wunderte sie sich über all die Lügen, die sie an einem einzigen Vormittag von sich gegeben hatte. Sie suchte gar nicht den aus heiterem Himmel gekommenen Einfall zu begreifen, der sie veranlaßt hatte, Gäste für Meister Bourgeaud zu werben. Wollte sie sich dem Bratkoch, der sie schließlich doch nicht hinausgeworfen hatte, dankbar erweisen? Hoffte sie auf eine Belohnung von seiner Seite? Sie stellte sich keine Fragen. Der plötzlich hellwach gewordene Instinkt der Mutter, die ihre Kleinen verteidigt, trieb sie vorwärts.
An der Biegung des Quai de la Mégisserie tauchten die Türme des Châtelet auf, aber das Geschehen der vergangenen Nacht schien ihr schon in weite Ferne entrückt. Sie machte unwillkürlich eine Bewegung wie jemand, der einen Kieselstein über seine Schulter wirft. So warf sie auch diese Erinnerung mit manchen anderen hinter sich.
Am nächsten Morgen stand Angélique in aller Herrgottsfrühe auf und weckte Barbe. Offenbar hatte das derbe Mädchen noch nicht recht erfaßt, welche Rolle Angélique bei der Vorbereitung des Festmahls der Innung zu übernehmen gedachte.
»Schlaft doch noch, Herrin«, sagte sie gähnend und sich die Augen reibend. »Daheim in Eurer Familie wart Ihr sicher nicht gewohnt, so früh aufzustehen.«
»Du irrst dich, Barbe. Ich stehe gern früh auf: alte ländliche Gewohnheit. Und was meine Familie betrifft, so kennst du sie ja nicht, außer meiner Schwester, und von der redest du mir besser nicht. Außerdem - was vorbei ist, ist vorbei, und wenn du mir einen Gefallen tun willst, dann mach in Zukunft keine Anspielungen mehr.«
Barbe war sprachlos. Sie schneuzte sich geräuschvoll und protestierte gegen eine Beschuldigung, die ihr schrecklich vorkam.
»Ich und Anspielungen machen? O Madame!«
Behutsam hatte Angélique mit dem Fuß Linot und Flipot geweckt, die, in Decken gehüllt, auf dem blanken Boden schliefen.
Linot mischte sich in die Unterhaltung.
»Ich werde auch Anspielungen machen: Warum schnarcht dieser Faulpelz von David immer noch, und warum geht er erst in die Küche hinunter, wenn das Feuer brennt, die Morgensuppe fertig und die ganze Wirtsstube gefegt ist? So was nennt sich Gehilfe! Marquise, du solltest ihn tüchtig an den Ohren ziehen?«
»Hört mal zu, ihr Knirpse. Ich bin nicht mehr die Marquise der Engel, und ihr seid keine Gauner mehr. Im Augenblick sind wir Dienstboten, Mägde und Gehilfen, aber bald werden wir zum Bürgerstand gehören.«
»Ich mag die Bürger nicht«, sagte Flipot. »Bürger sind dazu da, daß man ihnen Börse und Mantel stiehlt. Ich will kein Bürger werden.«
»Und wie soll man dich nennen, wenn du nicht mehr die Marquise der Engel bist?« fragte Linot.