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Sie spürte, daß der Küchenjunge begierig auf ihre Antwort wartete.

»Ja, natürlich«, sagte sie und versuchte, ihre Gedanken zu sammeln, »dein Vater . O ja, sein Name war mir nicht unbekannt. Was war doch sein Beruf?«

Der schlaksige David schien enttäuscht wie ein Kind, dem man sein Naschwerk genommen hat. »Aber das wißt Ihr doch! Der große Spezereihändler an der Place de la Garonne? Der einzige, der fremdländische Kräuter zum Würzen feiner Gerichte führte.«

»In jener Zeit bin ich nicht selbst einholen gegangen«, dachte sie.

»Er hatte viele unbekannte Dinge von seinen Reisen nach Hause gebracht, da er Koch auf den Schiffen des Königs war. Ihr wißt doch ... Er war es, der die Schokolade in Toulouse einführen wollte.«

Sie grübelte, um sich auf einen Vorfall zu besinnen, an den dieses Wort sie erinnerte. Ja, man hatte in den Salons davon gesprochen. Der Protest einer toulousa-nischen Dame fiel ihr ein:

»Schokolade ...? Aber das ist doch ein Indianergetränk!«

David kam näher heran und eröffnete ihr, er wolle, um sie von der Großartigkeit der Ideen seines Herrn Vaters zu überzeugen, ihr ein Geheimnis anvertrauen, das er noch niemand mitgeteilt habe, nicht einmal seinem Onkel. Sein Vater, der in seiner Jugend viel gereist sei, habe nämlich in verschiedenen fremden Ländern, in denen man sie bereits aus von Mexiko importierten Bohnen herstellte, die Schokolade probiert. So habe er sich in Spanien, Italien und selbst in Polen von der Köstlichkeit des neuen Produkts überzeugt, das von angenehmem Geschmack sei und hervorragende therapeutische Eigenschaften besitze.

Nachdem er sich einmal in dieses Thema verbissen hatte, schien der Redefluß des jungen David unversiegbar. In dem Bestreben, das Interesse der Frau seiner Träume zu fesseln, begann er mit wichtiger, anomal lauter Stimme alles von sich zu geben, was er über diese Sache wußte.

»Pah!« sagte Angélique, die nur mit einem Ohr zuhörte. »Ich habe dieses Zeug nie versucht und habe auch kein Verlangen danach. Es heißt, die Königin, die ja Spanierin ist, sei versessen darauf, aber der ganze Hof finde diese wunderliche Vorliebe peinlich und mache sich über sie lustig.«

»Nur weil die Leute vom Hof an diese Ware nicht gewöhnt sind«, versicherte der Küchenjunge nicht ganz unlogisch. »Mein Vater dachte genauso, und er hat vom König eine Patenturkunde bekommen, um dieses neue Produkt richtig auszuwerten. Aber leider ist er gestorben, und da meine Mutter bereits tot war, kann nur noch ich von der Patenturkunde Gebrauch machen. Aber ich weiß nicht, wie ich es anstellen soll. Meinem Onkel mag ich nichts davon sagen. Ich habe Angst, er macht sich über mich und meinen Vater lustig. Er erklärt bei jeder Gelegenheit, mein Vater sei verrückt gewesen.«

»Hast du die Urkunde?« fragte Angélique, indem sie unvermittelt stehenblieb, ihren Korb absetzte und ihren jungen Verehrer anstarrte.

Dieser erstarb förmlich unter dem leuchtenden Blick der grünen Augen. Wenn Angéliques Gedanken intensiv mit einer Überlegung beschäftigt waren, bekamen ihre Augen eine geradezu magnetische Leuchtkraft, die ihren Gesprächspartner unweigerlich in Bann schlug, zumal er sich den Grund meistens nicht sofort erklären konnte.

Der arme David war für diese Augen ein von vornherein verlorenes Opfer. Er hielt nicht stand.

»Hast du die Urkunde?« wiederholte Angélique.

»Ja«, hauchte er.

»Von wann ist sie datiert?«

»Vom 28. Mai 1659, und sie ist neunundzwanzig Jahre gültig.«

»Also hat dein Vater oder vielmehr hast du jetzt allein neunundzwanzig Jahre lang das Recht, dieses ausländische Produkt herzustellen und zu vertreiben?«

»Ja, freilich.«

»Man müßte wissen, ob es nicht schädlich ist«, murmelte Angélique nachdenklich, »und ob die Leute Geschmack daran finden würden. Hast du selbst davon getrunken?«

»Ja.«

»Und was meinst du?«

»Pah!« meinte David. »Ich fand es ein bißchen sehr süßlich. Wenn man Pfeffer und Piment hineintut, ist es ganz pikant, aber ich für mein Teil ziehe ein gutes Glas Wein vor«, setzte er mit kavaliersmäßiger Miene hinzu.

»Achtung, Wasser!« rief eine Stimme über ihnen.

Sie konnten eben noch zur Seite springen und der übelriechenden Dusche entrinnen. Angélique hatte den Gehilfen beim Arm gefaßt. Sie merkte, daß er zitterte.

»Ich möchte Euch sagen«, stammelte er hastig, »ich hab’ noch nie eine ... eine so schöne Frau wie Euch gesehen.«

»Aber nicht doch, natürlich hast du welche gesehen, mein guter Junge«, sagte sie in scherzhaftem Ton. »Du brauchst dich nur umzuschauen, statt an den Nägeln zu kauen und wie eine lahme Fliege herumzuschleichen. Erzähl mir lieber noch etwas von deiner Schokolade, statt mir überflüssige Komplimente zu machen.«

Doch angesichts seiner kläglichen Miene hatte sie das Gefühl, ihn trösten zu müssen. Sie sagte sich, daß sie ihn nicht zu sehr vor den Kopf stoßen dürfe. Mit dieser Patenturkunde, deren Besitzer er war, konnte er ja von Nutzen sein. Lachend sagte sie:

»Leider bin ich keine fünfzehnjährige Grisette mehr, mein Junge! Schau, ich bin alt. Ich hab’ schon weiße Haare.«

Sie zog unter ihrer Haube jene Strähne hervor, die im Verlauf der schrecklichen Nacht im Faubourg Saint-Denis auf so seltsame Art weiß geworden war.

»Wo ist Flipot?« fuhr sie fort und sah sich um. »Hat der Bengel sich etwa davongemacht?«

Sie war ein wenig beunruhigt und fürchtete, Flipot könne sich unter die Menge gemischt haben und versuchen, seine Künste als Taschendieb bei so günstiger Gelegenheit nutzbar zu machen.

»Ihr solltet Euch um diesen Flegel nicht sorgen«, sagte David eifersüchtig. »Ich habe vorhin gesehen, wie er sich durch ein Zeichen mit einem beulenbedeckten Kerl verständigte, der vor der Kirche Almosen bettele. Gleich danach ist er mit seiner Kiepe plötzlich verschwunden. Mein Onkel wird schön böse werden!«

»Du siehst immer schwarz, mein guter David.«

»Ich hab’ ja auch nie Glück gehabt!«

»Kehren wir um. Wir werden den Strolch sicher finden.«

Aber da kam er auch schon angelaufen. Angélique mochte sein vorwitziges Gesicht mit den hellen Pariser Spatzenaugen, der roten Nase und den langen, struppigen Haaren unter dem großen, zerbeulten Hut. Der Kleine war ihr ebenso ans Herz gewachsen wie Linot, den sie zweimal den Klauen Jean-Pourris entrissen hatte.

»Hast du Worte, Marquise der Engel!« keuchte Flipot, der in seiner Aufregung alle Weisungen vergaß. »Weißt du, wer unser Großer Coesre ist?

Cul-de-Bois, jawohl, meine Liebe, unser Cul-de-Bois aus der Tour de Nesle!«

Er dämpfte die Stimme und setzte in verängstigtem Flüsterton hinzu:

»Sie haben zu mir gesagt: >Nehmt euch ja in acht, ihr Knirpse, die ihr euch unter den Röcken einer Verräterin versteckt!<«

Angéliques Blut erstarrte zu Eis.

»Glaubst du, sie wissen, daß ich es war, die Rolin-le-Trapu umgebracht hat?«

»Sie haben nichts davon gesagt. Aber Pain-Noir hat was von den Polizisten geredet, die du wegen der Zigeuner geholt hast.«

»Wer war dabei?«

»Pain-Noir, Pied-Léger, drei alte Weiber von uns und zwei Kerle von einer anderen Bande.«

Die junge Frau und Flipot hatten diese Worte auf rotwelsch gewechselt, das David nicht verstand, dessen Tonfall er jedoch mühelos erkannte. Er war zugleich beunruhigt und stolz ob der geheimnisvollen Verquickung seiner neuen Leidenschaft mit jener unergründlichen Gaunerwelt, die in Paris eine große Rolle spielte.