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»Sie war ein bißchen dicker als du«, sagte der Bratkoch mit gedämpfter Stimme, »aber mit Nadeln ...«

Er wischte sich eine Träne ab und brummte:

»Starr mich nicht so an. Such dir was aus.«

Angélique hob die Sachen der Verblichenen hoch: schlichter Putz aus Serge oder Halbseide, dessen Samtbordüren und in lebhaften Farben schillernden Futterstoffe bezeugten, daß die Wirtin des »Kecken Hahns« gegen Ende ihres Lebens eine der wohlhabendsten Geschäftsfrauen des Viertels gewesen war. Sie hatte sogar einen kleinen Muff aus rotem Samt mit goldenen Verzierungen besessen, den Angélique mit unverhohlenem Vergnügen über ihr Handgelenk streifte.

»Eine Marotte!« sagte Meister Bourgeaud mit nachsichtigem Lächeln. »Sie hatte ihn in der Galerie des Palais Royal gesehen und lag mir seinetwegen dauernd in den Ohren. Ich sagte zu ihr: >Amandine, was willst du mit diesem Muff? Er paßt zu einer vornehmen Dame, die in der Wintersonne in die Tuilerien oder auf den Cours-la-Reine liebäugeln geht.< - >Gut<, erwiderte sie, >dann gehe ich eben in die Tuilerien und auf den Cours-la-Reine liebäugeln<, und das hat mich wild gemacht. Ich hab’ ihn ihr zum letzten Weihnachtsfest geschenkt. Wie hat sie sich gefreut! Wer hätte gedacht, daß sie ein paar Tage darauf... tot sein würde .«

Angélique bekämpfte ihre Rührung.

»Sicher macht es ihr Freude, wenn sie vom Himmel aus sieht, wie gut und edelmütig Ihr seid. Diesen Muff werde ich nicht tragen, denn er ist viel zu schön für mich, aber ich gehe sehr gern auf Euer Angebot ein, Meister Bourgeaud. Ich werde sehen, was mir paßt. Könntet Ihr mir Barbe schicken, damit sie mir hilft, diese Kleidungsstücke abzuändern?«

Als einen ersten Schritt zu dem Ziel, das sie sich gesteckt hatte, registrierte sie die Tatsache, einen Spiegel vor sich und eine Zofe zu ihren Füßen zu haben. Den Mund voller Stecknadeln, spürte Barbe es gleichfalls und vervielfachte die »Madames« mit offensichtlicher Befriedigung.

»Dabei besteht mein ganzes Vermögen aus den paar Sols, die mir die Blumenfrauen vom Pont-Neuf gegeben haben, und dem Almosen, das die Gräfin Soissons mir täglich schickt«, sagte Angélique sich amüsiert.

Sie hatte einen mit schwarzem Satin besetzten Rock aus grünem Serge und ein ebensolches Mieder gewählt. Eine Schürze aus schwarzem Satin mit goldfarbenem Blümchenmuster gab ihr vollends das Aussehen einer wohlhabenden Geschäftsfrau. Allerdings erlaubte der volle Busen der Meisterin Bourgeaud keine ideale Anpassung des Kleidungsstücks an Angéliques kleine, feste und hochliegende Brüste, und ein rosafarbenes, grünbesticktes Halstuch mußte den ein wenig klaffenden Ausschnitt des Mieders verhüllen.

In einem Säckchen fand Angélique den einfachen Schmuck der Wirtsfrau: drei mit Karneolen und Türkisen besetzte Goldringe, zwei Kreuze, Ohrringe, dazu acht schöne Rosenkränze, von denen einer aus schwarzen Korallenperlen bestand.

Als Angélique wieder unten erschien, trug sie unter ihrer Haube, die das kurzgeschnittene Haar verbarg, die Ohrringe aus Achat und Perlen und am Hals ein kleines goldenes Kreuz, das an einem schwarzen Samtband befestigt war. Der gute Bratkoch verbarg seine Freude angesichts dieser anmutigen Erscheinung nicht.

»Beim heiligen Nikolaus, du gleichst der Tochter, die wir uns immer gewünscht und nie bekommen haben! Manchmal träumten wir von ihr. Sie wäre jetzt fünfzehn, sechzehn Jahre alt, sagten wir. Sie wäre so und so gekleidet ... Sie ginge in unsrer Wirtsstube hin und her und würde mit den Gästen scherzen.«

»Es ist nett von Euch, Meister Bourgeaud, mir so schöne Komplimente zu machen. Ach, ich hab’s erst gestern zu David gesagt, ich bin leider keine fünfzehn oder sechzehn mehr. Ich bin eine Familienmutter .«

»Ich weiß nicht, was du bist«, sagte er und schüttelte traurig sein dickes, rotes Gesicht. »Du kommst mir fast unwirklich vor. Seitdem du in meinem Haus herumwirtschaftest, hab’ ich das Gefühl, daß alles anders geworden ist. Wer weiß, vielleicht verschwindest du eines Tags, wie du gekommen bist ... Es ist mir, als sei eine Ewigkeit vergangen seit jenem Abend, da du aus der Nacht auftauchtest mit deinen auf die Schulter herabhängenden Haaren und zu mir sagtest: >Habt Ihr nicht eine Magd namens Barbe?< Das hat in meinem Schädel wie Glockengeläut gehallt ... Vielleicht bedeutete das bereits, daß du hier eine Rolle spielen würdest.«

»Ich hoffe es sehr«, dachte Angélique im stillen, aber sie widersprach in geheuchelt vorwurfsvollem Ton: »Ihr wart betrunken, das ist der Grund, warum es in Eurem Schädel gehallt hat.«

Da man sich in Sentimentalitäten, in mystischen Vorahnungen erging, schien ihr der Moment nicht geeignet, um mit Meister Bourgeaud über die finanzielle Entschädigung zu reden, die sie durch ihre Zusammenarbeit für sich und ihr Häuflein zu erlangen hoffte.

Wenn die Männer zu träumen anfangen, soll man sie nicht allzu plötzlich auf den Boden der Realitäten zurückführen, mit denen sie nur allzu verhaftet sind. Angélique nahm sich vor, ihre ganze natürliche Ungezwungenheit aufzubieten, um ein paar Stunden lang ohne falsche Töne die reizvolle Rolle der Wirtstochter zu spielen.

Der Festschmaus der Innung des heiligen Valbonne war ein voller Erfolg, und der heilige Valbonne selbst bedauerte nur eins: daß er sich nämlich nicht in Fleisch und Blut zurückverwandeln konnte, um ihn in vollen Zügen mitzugenießen.

Drei Blumenkörbe hatten als Tischdekoration gedient. Meister Bourgeaud und Flipot machten, wie aus dem Ei gepellt, die Honneurs und reichten die Platten. Rosine half Barbe in der Küche. Angélique ging vom einen zum andern, überwachte die Kochtöpfe und die Spieße, beantwortete gewandt die freundlichen Zurufe der Speisenden und spornte abwechselnd durch Komplimente und Vorwürfe Davids Eifer an, der zum Küchenmeister für Spezialitäten des Südens aufgerückt war. Tatsächlich hatte sie nicht übertrieben, als sie ihn als talentierten Kochkünstler vorgestellt hatte. Er verstand sich auf eine Menge von Dingen, und nur seine Faulheit und vielleicht auch Mangel an Gelegenheit hatten ihn bis dahin daran gehindert, zu zeigen, was er konnte. Man bereitete ihm eine Ovation, als sie ihn in die Wirtsstube zerrte. Die vom guten Wein angeheiterten Damen fanden, er habe schöne Augen, stellten ihm indiskrete und schelmische Fragen, küßten, tätschelten und kitzelten ihn .

Nachdem Linot seine Leier ergriffen hatte, wurde mit dem Glas in der Hand gesungen, und schließlich gab es schallendes Gelächter, als Piccolo seine Nummer absolvierte, indem er hemmungslos die Angewohnheiten Mutter Marjolaines und ihrer Genossinnen nachahmte.

Mittlerweile vernahm eine Schar von Musketieren, die auf der Suche nach Unterhaltung durch die Gasse geschlendert war, die fröhlichen weiblichen Laute, worauf man in die Stube des »Kecken Hahns« einbrach und nach »Braten und Finten« verlangte.

Von da an nahm die Zeremonie einen Verlauf, der dem heiligen Valbonne höchlichst mißfallen hätte, wäre dieser provenzalische Heilige, Freund der Sonne und der Freude, nicht von Natur aus der ausgelassenen Stimmung gegenüber duldsam gewesen, die bei den Zusammenkünften von Blumenhändlerinnen und liebeshungrigen Soldaten zwangsläufig aufzukommen pflegt. Sagt man doch, der Trübsinn sei eine Sünde! Und wenn man lachen, aus vollem Herzen lachen will, kann man das nicht auf zwanzigerlei Weise tun? Am leichtesten fällt es immer noch in einer warmen, nach Wein, Soßen und Blumen duftenden Wirtsstube, in Gesellschaft eines unermüdlichen kleinen Leiermanns, der zum Tanzen und Singen verlockt, eines Affen, der einen ergötzt, und knuspriger, lachlustiger, nicht spröder junger Frauen, die sich unter den duldsam-ermunternden Zurufen umfänglicher und burschikoser Gevatterinnen küssen lassen.

Angélique kam zur Besinnung, als die Glocke der Sainte-Opportune-Kirche das Angelus läutete. Mit roten Wangen, schweren Augenlidern, vom Schleppen der Platten und Krüge lahmen Armen, mit Lippen, die von einigen kecken und stachligen Küssen brannten, wurde sie wieder munter, als sie Meister Bourgeaud seine Goldstücke zählen sah.