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Während die Damen die Treppe hinaufstiegen, die zu den königlichen Gemächern führte, begegneten sie dem apostolischen Nuntius, der soeben das traditionsgemäß vom Papst geschenkte Wickelzeug des mutmaßlichen Erben des Throns von Frankreich überreicht hatte: »zum Zeichen, daß er ihn als erstgeborenen Sohn der Kirche anerkannte«.

Im Zimmer der Königin, das sie dann betraten, knieten die Damen der Händlerinnenzünfte nieder und brachten ihre Glückwünsche dar. Wie sie auf den reichgemusterten Teppichen kniend, sah Angélique im Halbdunkel unter dem Baldachin des goldverzierten Bettes die Königin in einem prächtigen Kleide liegen. Sie trug noch immer den gleichen starren Ausdruck zur Schau wie damals in Saint-Jean-de-Luz, als sie eben ihrem düsteren Madrider Palast entronnen war. Aber die französische Mode und Frisur standen ihr weniger gut als der phantastische Infantinnenstaat, als der durch künstliches Haar aufgebauschte Kopfputz, der beinahe priesterlich das Gesicht des dem Sonnenkönig anverlobten jungen Idols eingerahmt hatte.

Als beglückte, liebende, durch die Aufmerksamkeiten des Königs beruhigte Mutter geruhte die Königin, der buntscheckigen, verwegenen Gruppe zuzulächeln. Der König stand an ihrer Seite auf den Stufen des Betts. Auch er lächelte, mit einer aufrichtigeren Leutseligkeit als seine Gattin, und gleichwohl erkannte Angélique ihn kaum wieder.

Die Veränderung drückte sich vor allem in der Haltung des Monarchen aus. Zu der Grazie des robusten jungen Mannes, den sie in Saint-Jean-de-Luz flüchtig gesehen hatte, gesellte sich jetzt eine stolzere Miene, eine Zurückhaltung, die bei der Umgebung des Königs den Eindruck außergewöhnlicher Macht hervorrief.

Seit dem Anfang ebendieses Jahres hatte Ludwig XIV. Mazarin sterben und einen großen Vasallen des Languedoc verschwinden sehen. Er hatte Fouquet seine Gunst entzogen, die La Vallière verführt, den Bau des Versailler Schlosses in Angriff genommen.

Ein Wort drängte sich bei seinem Anblick auf: majestätisch. Ja, das war Ludwig XIV., dessen erste Taten auf dem Wege zur absoluten Macht den Hof verblüfft hatten und Europa einzuschüchtern begannen.

In der heftigen Bewegung, die sie erfaßte, als sie sich zwischen diesen einfachen Frauen zu Füßen des Königs knien sah, fühlte sich Angélique wie geblendet und gelähmt. Sie sah nur noch den König.

Später, nachdem sie mit ihren Genossinnen die königlichen Gemächer verlassen hatte, berichtete man ihr, die Königin-Mutter und Madame d’Orléans seien anwesend gewesen, dazu Mademoiselle de Montpensier, der Herzog von Enghien, Sohn des Fürsten Condé, und viele junge Leute ihrer Häuser.

Sie hatte nichts gesehen. Vor einer ungewissen, dunklen Vision hob sich allein die Silhouette des Königs ab. Er, der lächelnd auf den Stufen des Bettes der Königin stand, er hatte ihr Angst eingeflößt. Er glich dem andern nicht, dem König, der sie in den Tuilerien empfangen hatte und den sie am liebsten an seiner Halsbinde gepackt und geschüttelt hätte. Damals waren sie wie zwei sehr junge Wesen von gleicher Kraft gewesen, die einander erbittert bekämpften, beide überzeugt, den Sieg zu verdienen.

Welche Torheit! Wie war es nur möglich, daß sie nicht sofort begriffen hatte, welch ausgeprägter Charakter in diesem Monarchen steckte, der nie im Leben auch nur die geringste Schmälerung seiner Autorität dulden würde! Von Anfang an war es der König, der triumphieren mußte, und weil sie, Angélique, ihn verkannt hatte, war sie wie Glas zerbrochen worden.

Sie folgte der Gruppe der Lehrmädchen, die schwatzend und kichernd dem Küchenflügel zustrebte, von wo sie ins Freie gelangen würde. Die Innungsmeisterinnen blieben noch, um an einem großen Festmahl teilzunehmen; die Lehrmädchen hatten kein Recht auf solche Bewirtung.

Als sie die Anrichteräume durchschritten, hörte Angélique hinter ihr jemand pfeifen: ein langer, zwei kurze Töne. Sie erkannte das Signal der Bande Calembredaines und glaubte zu träumen. Hier, im Louvre .?

Sie wandte sich um. In der Öffnung einer Tür warf eine kleine Gestalt ihren Schatten auf den Fußboden.

»Barcarole!« Von jäher, aufrichtiger Freude erfaßt, lief sie zu ihm. Er blähte sich würdevoll und stolz.

»Kommt herein, Schwesterchen! Kommt herein, meine teure Marquise! Laßt uns ein wenig plaudern.«

Sie lachte. »O Barcarole, wie schön du bist! Und wie gewählt du sprichst!«

»Ich bin der Zwerg der Königin«, sagte Barcarole voller Selbstgefälligkeit. Er führte sie in ein kleines Empfangszimmer und ließ sie sein Wams aus orangefarbener und gelber Seide bewundern, das von einem mit Schellen besetzten Gürtel zusammengehalten wurde. Dann schlug er verwegene Kapriolen, damit sie das Geläute seines Schellenwerks beurteilen konnte. Der Zwerg sah ausgesprochen gepflegt aus und wirkte glücklich und munter. Angélique bekannte ihm, daß sie ihn verjüngt fände.

»Nunja, ich habe selbst ein bißchen das Gefühl«, gestand Barcarole bescheiden. »Ich führe hier kein übles Leben und habe das Gefühl, daß ich den Leuten dieses Hauses ganz gut gefalle. Komm, Schwesterchen. Ich muß dich einer vornehmen Dame vorstellen, für die ich, wie ich dir nicht verhehlen will, zärtliche Gefühle empfinde - die sie liebevoll erwidert.«

Mit Miene und Haltung des glücklichen Liebhabers führte der Zwerg Angélique durch das finstere Labyrinth des Gesindeflügels. Schließlich hieß er sie in einen düsteren Raum eintreten, in dem sie eine überaus häßliche Frau von ungefähr vierzig Jahren an einem Tisch sitzen sah, auf dem sie mit Hilfe eines kleinen Kohlenbeckens etwas braute.

»Dona Teresita, ich stelle Euch Dona Angelica vor, die schönste Madonna von Paris«, verkündete Barcarole hochtrabend.

Die Frau starrte Angélique mit ihren dunklen, scharfen Augen durchbohrend an und sagte einen Satz auf spanisch, dem man das Wort Marquise der Engel entnehmen konnte.

Barcarole zwinkerte Angélique zu.

»Sie fragt, ob du etwa jene Marquise der Engel seist, von der ich ihr bis zum Überdruß erzählt habe. Du siehst, Schwesterchen, ich vergesse meine Freunde nicht.«

Sie waren um den Tisch herumgegangen, und Angélique bemerkte, daß die winzigen Füße Dona Teresitas kaum über den Rand des Sessels hingen, auf dem sie hockte. Es war die Zwergin der Königin.

Angélique raffte mit zwei Fingern ihren Rock und vollführte einen kleinen Knicks, um die Achtung zu bezeigen, die sie vor dieser hochgestellen Dame empfand.

Mit einer Kopfbewegung bedeutete die Zwergin der jungen Frau, sich auf einen zweiten Schemel zu setzen, und fuhr fort, langsam ihre Mixtur zu rühren. Barcarole war auf den Tisch gesprungen. Er zerknackte und knabberte Haselnüsse, während er seiner Gefährtin in spanischer Sprache Geschichten erzählte.

Ein schöner Windhund näherte sich, um Angélique zu beschnuppern, und legte sich dann zu ihren Füßen nieder. Von jeher hatten sich Tiere in ihrer Nähe wohl gefühlt.

»Das ist Pistolet, der Windhund des Königs«, stellte Barcarole vor, »und hier sind Dorinde und Mignonne, die Hündinnen.«

Es war still und gemütlich in diesem Winkel des Palasts, in dem sich die beiden Knirpse zwischen zwei Kapriolen zu einem Schäferstündchen trafen. Angélique sog neugierig den aus dem Kochgeschirr aufsteigenden Duft in die Nase. Es war ein undefinierbarer, angenehmer Geruch, bei dem Zimt und Piment vorherrschten. Sie betrachtete die Ingredienzen die auf dem Tisch lagen: Haselnüsse und Mandeln, ein Bündchen roten Piments, einen Topf mit Honig, einen zur Hälfte zerkleinerten Zuckerhut, Näpfe mit Anis- und Pfefferkörnern, Dosen mit pulverisiertem Zimt. Endlich bohnenförmige Gebilde, die sie nicht kannte.

Völlig ihrer Beschäftigung hingegeben, schien die Zwergin nicht geneigt, sich sonderlich um den Gast zu bemühen.