Cul-de-Bois, wie immer in sauber gebürstetem Rock und tadellos geschlungener Halsbinde, trug einen prächtigen Hut mit zwei Reihen roter Federn.
Angélique verpflichtete sich, ihm allmonatlich die gleiche Summe zu bringen oder bringen zu lassen, und versprach ihm, daß es seiner »Tafel« niemals an etwas fehlen würde. Als Gegenleistung verlangte sie, daß man sie in ihrer neuen Existenz unbehelligt ließe. Außerdem bat sie, man möge den Bettlern Anweisung geben, die Schwelle »ihrer« Bratstube zu räumen.
Vom Gesicht Cul-de-Bois’ las sie ab, daß sie endlich so gehandelt hatte, wie es sich geziemte, als »Ehrerbietige«, und daß er sich für befriedigt erklärte. Als sie ihn verließ, verneigte sie sich ernst vor ihm und fühlte sich fortan erleichtert. Wohl hatte man noch Hunger in Paris, bitteren Hunger, und die Geschäfte gingen schlecht, aber der Frühling nahte.
»Gott soll mich strafen, mein Kind, wenn ich je wieder eine Bratstube betrete, in der man sich erlaubt, auf solche Weise den feinsten Gaumen von Paris zu täuschen!«
Barbe lief auf diese feierliche Erklärung hin erschrocken in die Küche. Der Gast, ein Parlamentsrat, beklagte sich! Es geschah zum erstenmal, seitdem er in den »Kecken Hahn« kam, um sich einsam, stumm und mit Atlas und Bändern angetan zu Tisch zu setzen.
Er pflegte mit andachtsvoller Miene zu speisen und bezahlte das Doppelte der vorgelegten Rechnung. Daher verdiente seine Beschwerde, die wie ein Blitz aus heiterem Himmel erfolgte, daß man sich beunruhigte.
Angélique erschien sofort an seinem Tisch. Der Edelmann musterte sie von oben bis unten. Er schien übler Laune zu sein, aber die Schönheit und vielleicht auch die unerwartete Vornehmheit der jungen Wirtin verblüfften ihn.
Nach kurzem Zögern hob er von neuem an: »Mein Kind, ich möchte Euch darauf aufmerksam machen, daß ich Euer Lokal nicht mehr betreten werde, wenn man mich noch ein einziges Mal auf solche Weise betrügt.«
Angélique erkundigte sich in überaus bescheidenem Ton, worüber er sich zu beklagen habe.
Der Gast erhob sich mit puterrotem Gesicht und in höchster Erregung, so daß sie versucht war, ihm auf den Rücken zu klopfen, weil sie vermutete, es sei ihm ein Geflügelknochen im Hals steckengeblieben. »Ich will wissen«, schrie er, »wer kürzlich mein Omelett gebacken hat, denn man soll nicht glauben, daß ich dieses hier unter demselben Titel wie jenes erste verspeisen werde.«
Angélique dachte nach und erinnerte sich, daß sie selbst es gewesen war, die den besagten Eierkuchen gebacken hatte.
»Ich freue mich, daß er Euch geschmeckt hat«, sagte sie, »aber ich muß gestehen, daß er Euch sozusagen zufälligerweise und völlig improvisiert serviert worden ist. Im allgemeinen muß die Bestellung im voraus gemacht werden, damit ich mir die nötigen Zutaten beschaffen kann.«
Die kleinen Schweinsaugen des Gastes leuchteten begehrlich auf. Mit beschwörender Stimme bat er sie, ihm ihr Rezept anzuvertrauen, und sie mußte, um ihr Küchengeheimnis zu hüten, ebenso viele Kniffe anwenden, als gälte es, ihre Tugend zu verteidigen.
Rasch den Mann einschätzend, entschied sie, daß man ihn nur richtig zu behandeln brauchte, um ihn in eine unerschöpfliche Einnahmequelle für den »Kecken Hahn« zu verwandeln.
Resolut stemmte sie daher in der blitzschnell übernommenen Rolle der artigen, aber auch geschäftstüchtigen Wirtin die Arme in die Hüften und erklärte ihm, da er auf diesem Gebiete so beschlagen sei, wisse er sicher, daß jahrhundertealter Tradition gemäß die Küchenmeister ihre Spezialrezepte nur gegen klingende Münze preisgäben.
Seiner hohen gesellschaftlichen Stellung zum Trotz stieß der behäbige Edelmann ein paar derbe Flüche aus, gab dann aber mit einem Seufzer zu, daß die Forderung gerechtfertigt sei. Gut denn, er wolle einen angemessenen Preis zahlen, unter der Voraussetzung freilich, daß das neu aufgelegte Meisterstück genau dem allerersten entspreche. Er gedenke, als Begutachter eine Tischgesellschaft der ausgepichtesten Feinschmecker aus Justizpalast und Parlament mitzubringen.
Angélique ging auf seine Bedingungen ein und wurde von der eleganten Kundschaft wärmstens beglückwünscht. Dann übergab sie das aufgeschriebene Rezept dem Parlamentsrat du Bernay, der es mit bewegter Stimme vorlas, als handele es sich um einen Liebesbrief:
»Man füge einem Dutzend geschlagener Eier eine Prise Schnittlauch bei, zwei oder drei getrocknete Hahnenkammblätter, zwei oder drei Stiele Pimper-nell, zwei oder drei Boretschblätter, ebensoviel Spitzwegerich, fünf oder sechs Sauerampferblätter, ein oder zwei Stiele Thymian, zwei bis drei zarte Lattichblätter, ein wenig Majoran, Ysop und Brunnenkresse. Das ganze in einer irdenen Kasserolle backen lassen, in die man zuvor zur Hälfte Öl, zur Hälfte Vanves-Butter gegeben hat. Mit frischer Sahne übergießen .«
Nach dieser Verlesung trat weihevolle Stille ein, und der Parlamentsrat wandte sich feierlich an Angélique:
»Mademoiselle, ich gebe zu, daß ich selbst mich niemals, auch nicht gegen eine weit höhere Summe als die, die wir Euch soeben übergaben, dazu hätte überwinden können, ein solches Geheimnis preiszugeben, das allein der Götter würdig ist. Ich erkenne darin Euer Bestreben, uns gefällig zu sein, und meine Freunde und ich werden uns dafür erkenntlich zeigen, indem wir häufig diese gastliche Stätte besuchen.«
Auf solche Weise gewann Angélique die Kundschaft der »Leckermäuler«. Diesen Herren bedeuteten die Tafelfreuden mehr als alle andern einschließlich derjenigen der Liebe. Und immer mehr Kutschen und Sänften hielten unter dem Wirtshausschild des »Kecken Hahns«, so wie sie es sich einstens erträumt hatte.
Meister Bourgeaud war sichtlich beeindruckt und beunruhigt ob des Ansturms dieser neuen Stammgäste. Die Beliebtheit, deren sich seine Bratstube erfreute, drohte ihn in zahllose Schwierigkeiten zu verwickeln, und infolge seiner angeborenen Trägheit stand er der Sache hilflos gegenüber.
Indessen war der behäbige Küchenmeister auf vielen Gebieten seiner Kunst nicht zu schlagen. Er verstand sich trefflich darauf, Geflügel, Fleisch und Wildbret auszuwählen und zu braten, und auch darauf, sie zu zerteilen und die besten Stücke auszuwählen. Freilich kannte er sich bei den Fischen weniger gut aus, was in erster Linie von der Tatsache herrührte, daß sein Lokal als Bratstube prinzipiell nicht das Recht hatte, Fischgerichte zu bereiten, die man bei einem speziellen Gastwirt holen lassen mußte. Angélique erlangte, nachdem sie einige ihrer Stammgäste um Fürsprache gebeten hatte, von der entsprechenden Gastwirtskorporation die Genehmigung, Zwischengerichte und Zuckergebackenes zu verabreichen.
Hinterlistig verwies sie Meister Bourgeaud aus seiner eigenen Küche und schickte ihn in die Wirtsstube, wo seine wieder jovial gewordene Miene die Gäste erfreute; sie überließ ihm das Revier der Weinfässer und die Zubereitung der einfacheren Gerichte für die Kundschaft aus dem niederen Volk: Tagelöhner und Handwerker. Aber diese verschwanden allmählich angesichts der Invasion von Spitzenmanschetten und Federhüten. Sie wurden alsbald durch eine andere Kategorie von Speisegästen ersetzt, die an einem einzigen Abend ebensoviel auf den Tisch warfen wie ein bescheidener Handwerker in einem Monat: Nach den »Leckermäulern« fanden die »Vielfraße« den Weg in den »Kecken Hahn«.
Eines Tages bereitete der Tisch der Edelleute einem dickwanstigen Herrn eine Ovation, der eben auf der Schwelle erschienen war. Man nannte ihn Montmaur. Er war schlicht gekleidet und hatte ein rotes, lustiges Gesicht.
Der neue Gast setzte sich, nachdem er die Zurufe der Leckermäuler mit einem herablassenden Lächeln beantwortet hatte, an einen Einzeltisch und bestellte mit lauter Stimme einen Kapaun am Spieß, ein gebratenes Spanferkel, einen Karpfen in Petersilie und sechs Täubchen.
Aus der Gruppe der ausgepichten Epikureer erscholl belustigtes Gelächter.
Einer von ihnen, Graf Rochechouart, stand auf und trat zum Tisch des einsamen Gastes.