Выбрать главу

»Dieser gute Montmaur«, sagte er, »ist also noch immer unverbesserlich. Ihr hättet als Gans auf die Welt kommen müssen, um das Vergnügen zu genießen, bis zum Platzen vollgestopft zu werden. Macht doch mal Euren Mund auf! Ich möchte gar zu gerne wissen, ob Mutter Natur etwa vergessen hat, Euch mit einem Gaumen auszurüsten!«

Der dicke Schlemmer nahm sich Zeit, um ein riesiges, zu einer Kugel geformtes Stück Brot mit Butter und Käse zu verschlingen, das als Hors-d’œuvre dienen sollte, dann rollte er mit seinen sanften Augen und brummte:

»Na, was denn! Jeder nach seinem Geschmack?«

»Was für ein Ausspruch, Freund! Wie könnt Ihr von Geschmack reden, wenn Ihr als gelehrter und berühmter Professor des Collège de France Euch gleich drei ungeheuerliche Verstöße auf einmal gegen den elementarsten kulinarischen Geschmack zuschulden kommen laßt?«

»Ihr seid Streithähne!« knurrte der weise Professor gutmütig. »Der Geschmack dessen, was ich esse, genügt mir, und ich sehe nicht ein, worin, zum Teufel, die angeblichen Fehler bestehen sollen, die Ihr mir vorwerft.«

»Nun denn, so wißt zunächst einmal, daß man eine Mahlzeit nicht mit dem Käse beginnt. Das wäre das eine. Dann ist es eine Unmöglichkeit, Petersilie an einen Karpfen zu tun. Schließlich, den Fisch nach dem Fleisch und dem Wildbret zu essen ist unerhört! Das wäre das dritte. Aber da fällt mir ein: das ist noch nicht alles. Ihr habt einen weiteren Fehler begangen. Wer nennt ihn mir?«

Die ganze Tischgesellschaft versank in angestrengtes Nachdenken. Rochechouart seufzte:

»Ihr Herren, Ihr Herren, wie stumpf Euer Geist heute ist! Freilich kann ich Euch verstehen. Allein vom Anhören des Menüs des Herrn Professors bekommt man schon einen leeren Kopf. Ich bedauere, daß unsre teure und edle Freundin, die Marquise de Sablé, nicht anwesend ist, um mir die rechte Antwort zu geben, sie, die alle Nuancen der gastronomischen Etikette kennt. Nun, Ihr Herren, laßt Euch durch die Anwesenheit dieses wohlbeleibten Barbaren nicht aus der Ruhe bringen, der die Spezies der Vielfraße vertritt. Wer also findet es heraus?«

»Darf auch die Wirtin sich zu Worte melden?« fragte Angélique.

Graf Rochechouart wandte sich auf seinen hohen Absätzen um, lächelte und legte den Arm um ihre Taille.

»Eine gewöhnliche Wirtin würde von unsrer epikureischen und empfindlichen Gesellschaft nicht angehört werden. Aber der Fee, die Ihr seid, steht jegli-ches Recht zu.«

»Nun, Ihr Herren, der vierte Fehler, den Ihr Monsieur de Montmaur vorwerft, besteht darin, daß er nach dem Osterfest Täubchen in sein Menü aufnahm ...«

»Meiner Treu, das stimmt!« rief der Rat du Bernay enthusiastisch aus. »In dieser Jahreszeit sind die Täubchen entweder schon zu alt oder noch zu jung.«

Man klatschte Angélique frenetisch Beifall, und Graf Rochechouart küßte sie.

Kleine Zwischenfälle dieser Art befestigten Angéliques Ruf. Gar selten begegnete man einer Wirtin, die wundervoll kochte und zudem auch noch den an das flinke Hof- und Gassengeschwätz gewöhnten Edelleuten schlagfertige Antworten zu geben vermochte. So mancher wußte aus Erfahrung, daß sie von unbestechlicher Tugendhaftigkeit war, aber ihre Liebenswürdigkeit und Heiterkeit heilten die Wunden der enttäuschten Liebhaber. Sicherheit und Erfahrung, die sie sich in ihrem früheren Milieu erworben hatte, ließen sie das Salz ihrer Scherzworte vorzüglich dosieren, und während sie einerseits vor einem gewissen vulgären Ton nicht zurückscheute, vermochte sie andrerseits bei passender Gelegenheit in ihren Antworten gleich einer Preziösen auf die mythologischen Gottheiten anzuspielen.

Man kam in den »Kecken Hahn«, um sie zu sehen. Aber es wurde ihr angst, als sie eines Tages den Herzog von Lauzun und einige junge Leute vom Hof bemerkte. Um nicht von ihnen erkannt zu werden, erschien sie in jener roten Maske, die sie eines Nachts bei dem toten Italiener am Seineufer gefunden hatte.

Man spendete dieser Laune Beifall, und einer der Edelleute feierte in Versen »den Glanz ihrer smaragdgrünen Augen in purpurnem Schrein«. Wenn sie in der Folgezeit befürchtete, in der Gaststube einem bekannten Gesicht zu begegnen, maskierte sie sich, und die Leute nahmen allmählich die Gewohnheit an, die Rote Maske zu besuchen.

Indessen verlor Angélique zwischen ihren Leckermäulern und Vielfraßen den Appetit, wenn sie auch ziemlich rundlich wurde. Manchmal träumte ihr, sie ersticke unter Fleischbergen oder ertrinke in Soßenströmen. Der Heißhunger einiger ihrer Gäste erschreckte sie.

»Ehrlich gesagt, Ihr Herren«, erklärte sie, »die Fastenzeit wird Euch guttun.«

»Schweigt uns von dieser Pein!« seufzten Feinschmecker und Vielfraße.

Denn die Bestimmungen für die Fastenzeit waren seit der von Calvin verkündeten Reform sehr verschärft worden, um ein Volk zur strikten Befolgung der Fastenregeln zu zwingen, das sich eher hätte kreuzigen lassen, als dem Fleischgenuß zu entsagen. Die Gläubigen wurden daher unter schlimmsten Strafandrohungen ermahnt, während der vierzig Tage vor der Auferstehung Christi keinerlei Fleischgerichte zu speisen. Sie durften nur zwei Mahlzeiten am Tag zu sich nehmen, und Dispens wurde lediglich den Kranken und den Greisen über Siebzig gewährt. Bratköchen, Geflügelhändlern und Wiederverkäufern drohte beim kleinsten Kapaun die Kirchenbuße.

In jenem Jahr wurde der Sieur Gardy, Metzger der Rue de la Vieille-Lanterne, mit einem Kalbsgeschlinge um den Hals an den Pranger des Grand Châtelet gestellt, weil er das Verbot übertreten hatte. Die Müßiggänger gafften ihn vor allem wegen des Kalbsgeschlinges an, das ihnen den Mund wäßrig machte.

Im Jahre 1663 nützte Angélique die zwangsläufige Muße der Fastenzeit, um drei Pläne zu verwirklichen, die ihr am Herzen lagen.

Zunächst einmal zog sie um. Sie hatte das enge und laute Viertel im Schatten des Grand Châtelet nie gemocht, durch das die Schreie des Schlachtviehs gellten und das nach Fleisch, Fisch und allen möglichen Abfällen stank. Sie fand im schönen Marais-Bezirk eine zweistöckige Pförtnerwohnung mit drei Räumen, die ihr wie ein Palast vorkam.

Sie lag in der Rue des Francs-Bourgeois, nicht weit von der Ecke der Rue Vieille-du-Temple entfernt. Unter Heinrich IV. hatte hier ein Finanzmann ein schönes Haus aus Quadersteinen und Ziegeln zu bauen begonnen, aber da er durch die Kriege oder seine unsauberen Geschäfte ruiniert worden war, hatte er den Bau unvollendet lassen müssen. Lediglich der von zwei Torgebäuden flankierte Vorhof war fertig geworden. Ein altes Frauchen, das - niemand wußte so recht, wieso - Besitzerin des Gebäudes war, bewohnte die eine Seite der Toreinfahrt; sie vermietete die andere zu mäßigem Preise an Angélique.

Im Erdgeschoß erhellten zwei solide vergitterte Fenster einen kleinen Gang, der zu einer winzigen Küche und einer ziemlich geräumigen Stube führte, die Angélique bewohnte. Im Zimmer des oberen Stockwerks richteten sich die Kinder mit Barbe, ihrer neuen Gouvernante, ein, die den Dienst bei Meister Bourgeaud quittierte, um in den von Madame Morens zu treten. Das war der Name, den Angélique sich neuerdings zugelegt hatte. Vielleicht würde sie ihm eines Tages auch die Partikel beifügen können. Dann würden die Kinder den Namen ihres Großvaters tragen: de Morens. Und später wollte sie für sie Anspruch auf alle weiteren Titel, vielleicht sogar auf das Erbe erheben.

Sie war voller Hoffnungen. Geld vermochte alles. War sie nicht bereits »daheim«?

Barbe hatte die Bratküche ohne Bedauern verlassen. Sie hatte diese Arbeit nie gemocht und fühlte sich viel wohler bei »ihren Kleinen«. Schon seit einer Weile beschäftigte sie sich ausschließlich mit ihnen. Sie zu ersetzen, hatte Angélique zwei Küchenmädchen und einen Küchenjungen eingestellt. Mit Rosine, die sich zu einer gewandten und munteren Kellnerin entwik-kelte, Flipot als Küchenjungen und Linot, der die Gäste zu unterhalten und Krapfen, Fleischpasteten und Oblaten zu verkaufen hatte, wurde das Personal des »Kecken Hahns« oder vielmehr der »Roten Maske« recht stattlich.