Während er sprach, hatte er gleichwohl ihre schmalen Finger in seine fleckige, von den Säuren rauh gewordene Hand genommen. Er spreizte sie, berührte die zarte Handfläche, die noch die Spuren der Blasen, der Brandwunden des Küchenherds bewahrte, und legte mit schmeichelnder Geste seine Wange darauf, wie er es in seiner Kindheit hin und wieder getan hatte.
Angélique war es so weh ums Herz, daß sie glaubte, weinen zu müssen. Aber sie hatte zu lange nicht mehr geweint. Ihre letzten Tränen hatte sie eine gute Weile vor dem Tode Joffreys vergossen. Nun war sie ihrer entwöhnt.
Sie zog ihre Hand zurück und sagte in nüchternem Ton, während sie die an die Wand gelehnten Bilder betrachtete:
»Du machst sehr hübsche Dinge, Gontran.«
»Ich weiß. Und trotzdem belieben die großen Herrn mich zu duzen, und die Bürger sehen dünkelhaft auf mich herab, weil ich diese hübschen Dinge mit meinen Händen mache. Ich arbeite mit meinen Händen. Soll ich vielleicht mit meinen Füßen arbeiten? Und wieso ist die Handhabung des Degens ein weniger manueller und verächtlicher Vorgang als die Handhabung des Pinsels?« Er schüttelte den Kopf, und ein Lächeln hellte seine Züge auf. Die Ehe hatte ihn fröhlicher und gesprächiger gemacht.
»Schwesterchen, ich habe Vertrauen in die Zukunft. Eines Tages werden wir beide nach Versailles an den Hof gehen, wo der König viele Maler braucht. Ich werde die Decken der Gemächer ausmalen, die Prinzen und Prinzessinnen porträtieren, und der König wird zu mir sagen: >Ihr macht sehr hübsche Dinge, Monsieur.< Und zu dir wird er sagen: >Madame, Ihr seid die schönste Frau von Versailles.<«
Sie lachten beide von ganzem Herzen.
Angéliques drittes Projekt bestand darin, in die Pariser Feinschmeckergesellschaft jenes exotische Getränk einzuführen, das man Schokolade nannte. Der Gedanke daran hatte sie nicht losgelassen, trotz der Enttäuschung, die die Folge der ersten Berührung mit jener seltsamen Mixtur gewesen war.
David hatte ihr die besagte Patenturkunde seines Vaters gezeigt. Sie schien der jungen Frau alle Zeichen der Glaubwürdigkeit und Legalität zu tragen und wies sogar die persönliche Unterschrift des jungen Königs Ludwig XIV auf, der dem Sieur Chaillou das Monopol auf die Herstellung und den Verkauf der Schokolade in Frankreich gewährte und bestimmte, daß die Urkunde neunundzwanzig Jahre Gültigkeit haben sollte.
»Dieser junge Taugenichts ist sich des Werts des Schatzes, den er da geerbt hat, überhaupt nicht bewußt«, dachte Angélique. »Man sollte aus diesem Dokument unbedingt Kapital schlagen.«
Sie fragte den jungen Mann, ob er Gelegenheit gehabt habe, mit seinem Vater zusammen Schokolade herzustellen, und welcher Geräte er sich dabei bedient habe.
Der Küchengehilfe, der nur zu glücklich war, auf diese Weise die Aufmerksamkeit seiner Dulcinea zu fesseln, erklärte ihr in wichtigtuerischem Ton, die Schokolade komme aus Mexiko und sei im Jahre 1500 durch den berühmten Seefahrer Fernand Cortez am spanischen Hofe eingeführt worden. Von da aus sei sie in Flandern bekanntgeworden. Dann hätten sich zu Beginn des Jahrhunderts Florenz und Italien für das neue Getränk erwärmt, die deutschen Fürsten desgleichen, und jetzt genieße man es sogar in Polen.
»Mein Vater hat mir diese Geschichten seit meiner frühesten Kindheit eingetrichtert«, erklärte David, ein wenig verwirrt über sein unvermutetes Wissen.
Angéliques aufmerksam auf ihn gerichtete Augen ließen ihn abwechselnd erröten und erblassen, während er ihr anvertraute, einige von seinem Vater selig für die Schokoladeherstellung verfertigte Geräte befänden sich noch in seinem Geburtshaus in Toulouse, unter der Obhut entfernter Verwandter, die dort wohnten. Die Fabrikation der Schokolade sei zugleich einfach und kompliziert.
Sein Vater habe die Bohnen zuerst aus Spanien, dann direkt von Martinique bezogen, von einem jüdischen Kaufmann namens Costa. Sie müßten eine gewisse Zeitspanne gären, und der Vorgang habe im Frühjahr vonstatten zu gehen, wenn die Hitze noch nicht so groß sei. Dann ließe man sie trocknen, aber nur so weit, daß sie während der Prozedur des Schälens nicht zerbrechen. Danach sei der Trockenprozeß fortzusetzen, um sie für den Mörser bereitzumachen, ohne daß sich jedoch das Aroma dabei verflüchtigen dürfe.
Darauf würden sie zerstampft. In diesem Vorgang liege das Geheimnis des Gelingens der Schokolade beschlossen. Man müsse ihn kniend vollziehen, und der Mörser müsse zur Hälfte aus Holz, zur Hälfte aus Eisenblech bestehen und leicht angewärmt sein. Das Gerät heiße »Metati«, ein Name, der sich von den Azteken, den roten Männern Amerikas, herleite.
»Ich habe einmal auf dem Pont-Neuf einen solchen roten Mann gesehen«, sagte Angélique. »Vielleicht könnte man ihn ausfindig machen. Die Schokolade wäre sicher noch besser, wenn er sie zerstampfen würde.«
»Mein Vater war nicht rot, und seine Schokolade hatte einen guten Ruf«, sagte Chaillou, ohne die Ironie zu spüren. »Es wäre also auch ohne Indianer zu schaffen.«
»Gut«, schloß Angélique, »du wärst also imstande, dieses Getränk herzustellen, wenn wir uns das Material deines Vaters und Kakaobohnen schicken ließen.«
David schien perplex, doch angesichts der erwartungsvollen Miene Angéliques gab es kein Zurück mehr. Tapfer bejahte er die Frage und wurde durch ein strahlendes Lächeln und einen freundschaftlichen Klaps auf die Wange belohnt.
Von diesem Augenblick an nützte Angélique jede Gelegenheit, um sich über das zu orientieren, was in Frankreich über den Genuß dieses alkoholfreien Getränks bekannt war. Ein befreundeter alter Apotheker, bei dem sie bestimmte Gewürze und seltene Kräuter zu kaufen pflegte, erklärte ihr, die Schokolade werde als das wirksamste Mittel gegen die Vapeurs der Milz betrachtet. Diese Eigenschaft sei soeben durch die noch unveröffentlichten Untersuchungen des berühmten Arztes Rene Moreau ans Licht gebracht worden, der sie an dem Marschall de Gramont beobachtet habe, einem der wenigen Liebhaber der Schokolade bei Hof.
Angélique notierte sich sorgfältig sowohl die Auskünfte wie den Namen des Arztes. Am folgenden Tage suchte sie die Zwergin der Königin abermals auf, diesmal, um das Produkt in dem Zustand zu kosten, in dem es noch nicht durch Piment geschärft und durch Zucker verdickt war. Sie fand es wohlschmek-kend. Die auf ihr Geheimnis stolze Dona Teresita versicherte ihr, nur sehr wenige Menschen verstünden sich auf seine Zubereitung, aber der pfiffige Barcarole behauptete, er habe von einem jungen Mann reden hören, der sich nach Italien begeben habe, um dort das Kochen zu lernen, und nun für seine vorzügliche Schokolade bekannt sei.
Es sei ein gewisser Audiger, derzeitig Haushofmeister des Grafen Soissons und im Begriff, die Genehmigung zur Herstellung von Schokolade in Frankreich zu erhalten.
»Das darf nicht sein!« sagte sich Angélique. »Ich bin diejenige, die das ausschließliche Patent auf die Herstellung hat.«
Sie beschloß, nähere Erkundigungen über den Haushofmeister Audiger einzuziehen. Jedenfalls bewies das, daß die Idee mit der Schokolade in der Luft lag und daß man sie schleunigst realisieren mußte, wenn einem nicht geschicktere Konkurrenten oder solche mit wirksamerer Protektion zuvorkommen sollten.
An einem der folgenden Nachmittage, als sie eben im Begriff war, mit Linots Unterstützung Blumen in die auf den Tischen stehenden Zinngefäße zu verteilen, kam ein hübscher, prächtig gekleideter junger Mann die Stufen zur Eingangstür herab und näherte sich ihr.
»Ich heiße Audiger und bin der Haushofmeister des Grafen Soissons«, sagte er. »Man hat mir berichtet, daß Ihr im Sinn habt, Schokolade herzustellen, daß Euch aber das Patent dazu fehlt. Nun, ich habe dieses Patent, und deshalb möchte ich Euch in aller Freundschaft darauf hinweisen, daß es zwecklos ist, eine Konkurrenz aufzunehmen, bei der Ihr nur verlieren könnt.«