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»Sie haben durchaus Hand und Fuß, das wißt Ihr genau. Das Quartier Saint-Honoré ist ein ausgezeichnetes Viertel. Der Louvre liegt in der Nähe, das Palais Royal ebenfalls. Es darf keine Gaststätte werden, die wie eine Schenke oder eine Bratstube wirkt. Ich sehe schöne schwarze und weiße Fliesen, Spiegel und vergoldetes Tafelwerk und dahinter einen Garten mit Weinlauben wie im Klosterbezirk der Coelestiner, behagliche Lauben für Liebespaare.«

Der Haushofmeister, den Angéliques Ausführungen verdrießlich gemacht hatten, entrunzelte bei dieser letzten Schilderung die Stirn.

»Ihr seid wirklich bezaubernd, wenn Ihr Euch so von Eurer Phantasie fortreißen laßt. Ich liebe Euren Frohsinn und Euren Schwung, denen Ihr das richtige Maß von Bescheidenheit beizumischen versteht. Ich habe Euch aufmerksam beobachtet. Ihr seid schlagfertig, aber von untadeliger Sittsamkeit, und das gefällt mir. Was mich abstößt an Euch, das ist, ich will es nicht verheimlichen, Eure allzu praktische Einstellung und Eure Art, Euch mit erfahrenen Männern auf gleiche Stufe zu stellen. Die Zartheit der Frauen läßt sich schlecht mit forschem Ton und schneidigem Gehaben vereinen. Sie sollen es den Männern überlassen, diese Dinge auszuhandeln, bei denen ihre kleinen Köpfchen nur in Verwirrung geraten.«

Angélique lachte laut auf. »Ich sehe schon Meister Bourgeaud und David über diese Dinge diskutieren!«

»Es handelt sich nicht um sie.«

»So? Ihr habt also noch nicht erfaßt, daß ich mich allein durchbeißen muß?«

»Das ist es ja, Euch fehlt ein Beschützer.«

Angélique stellte sich taub.

»Hübsch langsam, Meister Audiger. In Wirklichkeit seid Ihr ein eifersüchtiges Ekel und wollt Eure Schokolade alleine trinken. Und weil das, was ich Euch auseinandersetze, Euch nicht paßt, versucht Ihr auszuweichen, indem Ihr Reden über die Zartheit der Frauen haltet. Aber in dem kleinen Krieg, den wir gegeneinander führen, scheint mir die Lösung, die ich Euch vorschlage, noch immer die vernünftigste.«

»Ich weiß eine hundertmal bessere.«

Unter dem bohrenden Blick des jungen Mannes gab Angélique vorderhand ihr Bemühen auf. Sie nahm ihm seinen Teller weg, wischte den Tisch ab und erkundigte sich, was er als Zwischengericht wünsche. Doch als sie zur Küche ging, stand er auf und holte sie mit zwei Schritten ein.

»Angélique, mein Täubchen, seid nicht grausam«, flehte er. »Versprecht mir, daß Ihr am Sonntag allein mit mir einen Spaziergang machen werdet. Ich möchte ernsthaft mit Euch reden. Wir könnten zur Javel-Mühle gehen. Wir essen dort ein Fischgericht, und dann wandern wir über die Felder. Wollt Ihr?«

Er hatte seinen Arm um ihre Taille gelegt. Sie hob die Augen zu ihm, gefesselt von diesem frischen Gesicht, zumal von den unter den beiden dunklen Strichen des Schnurrbarts kräftig sich abzeichnenden Lippen. Lippen, die sich fordernd dem Fleisch aufdrängen mußten, das sie berührten.

Ein Schauer der Lust durchrieselte sie, und mit kraftloser Stimme willigte sie ein, sich am Sonntag von ihm zur Javel-Mühle geleiten zu lassen.

Die Aussicht auf diesen Ausflug beschäftigte Angélique viel mehr, als ihr lieb war. Sie mochte sich noch so sehr bemühen, vernünftig zu sein - jedesmal, wenn sie an Audigers Lippen dachte und an den um ihre Taille gelegten Arm, überlief sie ein heißer Schauer. Solche Empfindungen waren ihr völlig fremd geworden. Als sie darüber nachdachte, stellte sie fest, daß seit nahezu zwei Jahren, sei jenem Abenteuer im Châtelet, kein Mann sie berührt hatte. Nun, das war freilich nicht ganz wörtlich zu nehmen, denn dieses Nonnendasein hatte sich in einer Atmosphäre der Sinnlichkeit abgespielt, in der man sich nur mit Mühe behaupten konnte; sie konnte die dreisten Küsse und Liebkosungen gar nicht mehr zählen, die sie mit Ohrfeigen hatte abwehren müssen. Mehrmals war sie im Hof von betrunkenen Kerlen angefallen worden und hatte sich mit Fußtritten ihrer erwehren und um Hilfe rufen müssen. All das, zusammen mit den Erinnerungen an den Polizeihauptmann und die derben Umarmungen Calembredaines, hinterließ in ihr den bitteren Geschmack von Gewalttätigkeiten, die ihre Sinne abgestumpft hatten.

Verwundert spürte sie, daß sie wieder erwacht waren, mit einer Plötzlichkeit und Süße, wie sie es noch vor wenigen Tagen nicht für möglich gehalten hätte. Ob dieser Audiger ihre Verwirrung ausnutzen würde, um ihr das Versprechen zu entlocken, ihn in seinem Geschäft nicht zu behindern?

»Nein«, sagte sich Angélique. »Das Vergnügen und die Geschäfte sind getrennte Dinge. Ein in herzlichem Einvernehmen verbrachter Tag kann meinen Zukunftsplänen nicht abträglich sein. Im übrigen, was berechtigt mich zu der Vermutung, daß sich etwas zutragen könne? Audiger hat sich stets völlig korrekt verhalten.«

Vor ihrem Spiegel strich sie mit dem Finger über ihre langen, feinen Augenbrauen. War sie noch immer schön? Man sagte es ihr, aber hatte die Hitze des Herdfeuers ihren von Natur matten Teint nicht noch mehr gebräunt?

»Ich bin ein bißchen voller geworden, was mir gar nicht übel steht. Außerdem hat dieser Typ von Männern eine Vorliebe für rundliche Frauen.«

Sie schämte sich ihrer von der Küchenarbeit rauh und dunkel gewordenen Hände und kaufte beim Großen Matthieu auf dem Pont-Neuf eine Salbe, um sie zu bleichen. Auf dem Rückweg erstand sie einen Kragen aus normannischer Spitze, den sie über den Ausschnitt ihres schlichten Kleides aus blaugrünem Tuch legen wollte. So würde sie wie eine kleine Bürgersfrau wirken und nicht wie eine Magd oder Händlerin. Dazu besorgte sie sich, einer leichtferti-gen Laune nachgebend, ein Paar Handschuhe und einen Fächer.

Wirklichen Kummer machten ihr nur ihre Haare. Sie waren krauser und blonder nachgewachsen, aber sie wollten nicht wieder die alte Länge erreichen. Betrübt dachte sie an das schwere und seidige Vlies, das sie in ihrer Kindheit über die Schultern zu schütteln pflegte.

Am Morgen des großen Tages verbarg sie sie unter einem dunkelblauen seidenen Tuch, das der Meisterin Bourgeaud gehört hatte. Am Ausschnitt ihres Mieders befestigte sie eine Kamee aus Karneol und an ihrem Gürtel ein mit Perlen besticktes Täschchen, das ebenfalls aus deren Hinterlassenschaft stammte. -Angélique wartete unter dem Torbogen. Der Tag versprach schön zu werden. Der Himmel breitete sich klar über den hohen Giebeln. Als Audigers Kutsche endlich erschien, lief sie ihr mit der Ungeduld eines Pensionatszöglings an seinem Ausgangstag entgegen.

Der Haushofmeister sah geradezu prächtig aus. Er trug gelbe Kniehosen mit leuchtenden Bändern. Sein Wams aus gemsfarbenem Samt, das mit schmalen, orangegelben Litzen gesäumt war, öffnete sich über einem gefältelten Hemd aus feinstem Linon. Die Spitzen an seinen Knien, seinen Manschetten und seiner Halsbinde waren hauchzart.

Angélique berührte sie voller Bewunderung.

»Das sind irische Spitzen«, erklärte der junge Mann. »Sie haben mich ein kleines Vermögen gekostet.«

Ein wenig geringschätzig hob er den schlichten Kragen seiner Gefährtin.

»Später werdet Ihr ebenso schöne haben, Liebste. Mich dünkt, Ihr seid fähig, mit Grazie eine große Toilette zu tragen. Ich kann mir Euch gut im Seidenkleid, ja sogar im Atlaskleid vorstellen.«

»Und sogar in einem aus Goldbrokat«, dachte Angélique mit zusammengebissenen Zähnen.

Doch gleich darauf, als die Kutsche an der Seine entlangrollte, kehrte die gute Laune wieder.

Die Javel-Mühle spreizte zwischen den Schafherden der Ebene von Grenelle ihre langen Fledermausflügel, deren sanftes Klipp-klapp die Begleitmusik zu den Küssen und Schwüren der Liebespaare bildete. Man kam in aller Heimlichkeit nach Javel. Ein großes Nebengebäude hatte man als Herberge eingerichtet, und der Wirt war verschwiegen.

»Wenn man in einem Haus wie dem unsrigen nicht zu schweigen wüßte«, pflegte er zu erklären, »wäre das mehr als schlimm. Wir würden die ganze Stadt durcheinanderbringen.«