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Angélique atmete genießerisch die frische Luft ein. Kleine weiße Wölkchen zogen sachte über den tiefblauen Himmel, und sie lächelte ihnen zu. Von Zeit zu Zeit streifte sie mit einem Seitenblick Audigers Lippen und genoß den köstlichen kleinen Schauer, den sie alsbald verspürte.

Ob er versuchen würde, sie zu küssen? Es schien, als fühle er sich nicht recht behaglich in seinem schönen Gewand und als seien seine Gedanken einzig darauf gerichtet, mit dem Wirt, der sich durch seinen Besuch höchst geehrt fühlte, das Menü für ihre Mahlzeit zusammenzustellen.

Im Gastraum, in dem ein vorteilhaftes Halbdunkel herrschte, setzten sich weitere Paare zu Tisch. Je mehr der Wein in den Krügen zur Neige ging, desto lockerer wurde die Stimmung. Man ahnte gewagte Gesten, die das girrende Gelächter der Damen weckten. Angélique trank, um ihre Unruhe zu beschwichtigen. Ihre Wangen begannen zu glühen.

Audiger erzählte von seinen Reisen und seinem Beruf. Er gab einen überaus genauen Bericht und unterschlug weder ein Datum noch eine gebrochene Wagenachse.

»Wie Ihr Euch überzeugen könnt, meine Liebe, ruht meine Existenz auf sicheren Grundlagen, so daß ich keine Überraschungen zu befürchten habe. Meine Eltern ...«

»Oh, laßt uns hinausgehen!« flehte Angélique, die ihren Löffel niedergelegt hatte.

»Aber die Hitze ist unerträglich!«

»Draußen weht wenigstens ein bißchen Wind ... und außerdem sieht man nicht all diese Leute, die sich küssen«, fügte sie mit gedämpfter Stimme hinzu.

Angesichts der grellen Sonne warnte Audiger sie von neuem, sie werde einen Sonnenstich bekommen und sich zudem noch den Teint verderben. Er setzte ihr seinen breitkrempigen Hut mit den weißen und gelben Federn auf und rief aus, wie er es am ersten Tage getan hatte: »Gott, was seid Ihr hübsch, mein Schatz!«

Doch nach ein paar Schritten schon nahm er, während sie einen schmalen Pfad am Seineufer entlangspazierten, den Bericht über seinen Werdegang wieder auf. Er erklärte, wenn die Schokoladefabrikation in Gang gebracht sei, wolle er ein sehr gewichtiges Buch über den Beruf des Mundkochs schreiben, das alles Wissenswerte für die Pagen und Köche enthalten werde, die sich zu vervollkommnen wünschten.

»Wenn der Haushofmeister dieses Buch liest, wird er lernen, wie man eine Tafel richtet und wie man die Gedecke anordnet. Ebenso wird ihm beigebracht, daß er, ist die Stunde der Mahlzeit gekommen, eine weiße Serviette zu nehmen, sie der Länge nach zu falten und über seine Schulter zu legen hat. Ich werde ihn darauf aufmerksam machen, daß die Serviette das Sinnbild seiner Gewalt ist. Ich kann mit dem Degen an der Seite, dem Mantel über den Schultern, dem Hut auf dem Kopf servieren, immer aber muß die Serviette sich an der besagten Stelle befinden.«

Angélique lachte spöttisch. »Und wenn Ihr eine Frau im Arm habt, wo legt Ihr sie dann hin, die Serviette?«

Die entrüstete und verblüffte Miene des jungen Mannes bewog sie, sich sofort zu entschuldigen.

»Verzeiht mir. Weißwein macht mich immer ein wenig albern. Aber habt Ihr mich etwa kniefällig beschworen, zur Javel-Mühle mitzukommen, um mir von der richtigen Lage der Servietten zu berichten .?«

»Macht Euch nicht über mich lustig, Angélique.

Ich erzähle Euch von meinen Plänen, von meiner Zukunft. Und das entspricht den Absichten, die ich hegte, als ich Euch bat, heute einmal allein mit mir zu gehen. Entsinnt Ihr Euch eines Worts, das ich Euch sagte, als wir uns zum erstenmal sahen? Es war damals nicht viel mehr als eine Laune: >Heiratet mich!< Seither habe ich oft und gründlich darüber nachgedacht, und es ist mir klargeworden, daß Ihr tatsächlich die Frau seid, die .«

»Oh, dort sind Heuschober!« rief sie aus. »Kommt, wir gehen rasch hinüber. Da läßt sich’s besser sein als in der prallen Sonne.«

Sie begann zu laufen, wobei sie ihren großen Hut festhielt, und ließ sich, am Ziel angelangt, atemlos ins warme Heu sinken. Der junge Mann machte gute Miene zum bösen Spiel und ließ sich lachend neben ihr nieder.

»Kleine Närrin! Immer bringt Ihr mich aus dem Konzept. Ich glaube, mit einer klugen Geschäftsfrau zu reden, und dabei ist es ein Schmetterling, der von Blüte zu Blüte flattert.«

»Einmal ist keinmal. Audiger, seid nett, nehmt Eure Perücke ab. Ihr macht mir heiß mit diesem dicken Pelz auf dem Kopf, und ich möchte Eure richtigen Haare streicheln.«

Er zuckte leicht zurück, folgte jedoch nach einer kleinen Weile ihrer Weisung und fuhr sich erleichtert mit den Fingern durch sein kurzes, braunes Haar.

»Jetzt bin ich dran«, sagte Angélique und streckte die Hand aus.

Aber er hielt sie verlegen fest.

»Angélique! Was fällt Euch ein? Ihr werdet ja geradezu diabolisch! Ich wollte doch ernsthafte Dinge mit Euch besprechen.«

Er berührte das Handgelenk der jungen Frau, und sie verspürte etwas wie einen brennenden Schmerz. Jetzt, da er sich verwirrt und aufgewühlt über sie beugte, kehrten ihre Empfindungen wieder. Audigers Lippen waren wirklich schön, seine Haut war straff und kühl, seine Hände weiß. Es wäre nicht übel, wenn er ihr Liebhaber würde. Sie würde sich seinen kraftvollen, gesunden, fast ehelichen Umarmungen hingeben, und es würde eine Erholung von ihrem mühevollen Dasein bedeuten. Dann würden sie friedlich nebeneinanderliegen und vom Schokoladehandel sprechen.

»Horcht«, flüsterte sie, »hört Ihr die Javel-Mühle? Ihr Lied protestiert. In ihrem Schatten spricht man nicht von ernsten Dingen. Das ist verboten ... Horcht, schaut, der Himmel ist blau. Und Ihr, Ihr seid schön. Und ich, ich .«

Sie wagte nicht weiterzusprechen, aber sie sah ihn mit ihren glänzenden grünen Augen herausfordernd an. Ihre halbgeöffneten, ein wenig feuchten Lippen, die Glut ihrer Wangen, das hastige Wogen ihrer Brüste drückten deutlicher noch als Worte aus: »Ich verlange nach dir.«

Er neigte sich ihr zu, doch dann richtete er sich brüsk auf und blieb einen Augenblick abgewandt stehen.

»Nein«, sagte er schließlich mit fester Stimme, »Euch nicht. Wohl habe ich hin und wieder eine Soldatendirne oder eine Magd im Heu genommen. Aber Euch nicht. Ihr seid die Frau, die ich erwählt habe. Ihr werdet mein sein in der Nacht nach der von einem Priester gesegneten Hochzeit. Ich achte die, die ich zu meinem Weib und zur Mutter meiner Kinder erwähle. Und Euch habe ich erwählt, Angélique, in dem Augenblick, als ich Euch das erstemal sah. Ich wollte Euch heute um Eurer Jawort bitten, aber Ihr habt mich mit Eurem wunderlichen Gehaben außer Fassung gebracht. Ich möchte glauben, daß das nicht Eure eigentliche Natur ist. Überschätzt man Euch etwa, wenn man Euch nachsagt, daß Ihr eine sittenstrenge Witwe seid?«

Angélique schüttelte lässig den Kopf. Sie kaute an einem Halm, während sie zwischen ihren Lidern hervor den jungen Mann betrachtete. Sie versuchte, sich als Frau des Haushofmeisters Audiger vorzustellen: eine gute, kleine Bürgersfrau, die die großen Damen auf dem Cours-la-Reine herablassend grüßen würden, wenn sie dort in einer bescheidenen Kutsche spazierenführe. Mit den Jahren würde Audiger einen Bauch und ein rotes Gesicht bekommen, und wenn er seinen Kindern oder Freunden zum soundsovielten Male die Geschichte von den Erbsen Seiner Majestät erzählte, würde sie den Drang verspüren, ihn umzubringen.

»Ich habe mit Meister Bourgeaud über Euch gesprochen«, fuhr Audiger bekümmert fort, »und er hat mir nicht verhehlt, daß es Euch, auch wenn Ihr ein beispielhaftes Leben führt und Euch vor keiner Arbeit scheut, an Frömmigkeit gebricht. Allenfalls sonntags hört Ihr die Messe, und zur Vesper geht Ihr nie. Nun, die Frömmigkeit ist recht eigentlich eine weibliche Tugend, die Gewähr einer sauberen Lebensführung.«

»Was wollt Ihr, man kann nicht zugleich fromm und scharfsinnig, gläubig und logisch sein.«

»Was erzählt Ihr da, mein armes Kind! Seid Ihr etwa von der Ketzerei angesteckt? Die katholische Religion .«

»Oh, ich beschwöre Euch«, rief sie in plötzlicher Erregung aus, »sprecht mir nicht von Religion! Die Menschen haben alles verfälscht, was sie angerührt haben. Aus dem Heiligsten, das Gott ihnen gegeben hat, aus der Religion, haben sie einen Galimathias von Kriegen, Heuchelei und Blut gemacht, daß mir übel wird. Jedenfalls glaube ich, daß Gott in einer jungen Frau, die das Bedürfnis hat, an einem Sommertag in die Arme genommen zu werden, das Werk seiner Schöpfung erkennt, denn er ist es ja, der sie so geschaffen hat.«