Nach einer kleinen Weile ging die Tür auf, und ihr Gast steckte den Kopf durch den Spalt. »Sag mal, meine Schöne, du bist doch die kleine Gaunerin, die Latein versteht?«
»Ja und nein«, erwiderte Angélique, die nicht recht wußte, ob sie verärgert oder erfreut war, daß er sie erkannt hatte. »Ich bin jetzt die Nichte Meister Bourgeauds, des Wirts dieser Schenke.«
»Mit andern Worten, du stehst nicht mehr unter der Fuchtel des argwöhnischen Sieur Calembredaine?«
»Gott behüte!«
Er schlüpfte in den Raum, nahm sie um die Taille und küßte sie auf die Lippen.
»Nun, Messire, Ihr habt Euch offensichtlich vorzüglich erholt!« sagte sie, nachdem sie wieder zu Atem gekommen war.
»Warum sollte ich’s nicht bei solcher Gelegenheit? Ich bin schon lange auf der Suche nach dir, Marquise der Engel!«
»Pst!« machte sie und sah sich ängstlich um.
»Du hast nichts zu befürchten. Es sind keine Polizeispitzel in der Wirtsstube. Ich habe keine gesehen, und ich kenne sie alle, das kannst du mir glauben. Nun, kleine Gaunerin, du hast dich ganz gut gebettet, wie ich sehe. Hast wohl von den Heukähnen genug gehabt? Man verläßt eine kleine, blasse, blutarme Blume und findet eine rundliche, adrette Bürgersfrau wieder ... Und gleichwohl bist du’s. Deine Lippen sind noch genauso gut, aber sie schmecken nach Kirschen und nicht mehr nach bitteren Tränen. Gib noch mal her .«
»Ich hab’ keine Zeit«, sagte Angélique und stieß die Hände zurück, die nach ihren Wangen greifen wollten.
»Zwei Sekunden des Glücks wiegen zwei Lebensjahre auf. Und außerdem hab’ ich noch Hunger, mußt du wissen!«
»Wollt Ihr Krapfen und Eingemachtes?«
»Nein, dich will ich. Dich zu sehen und zu berühren genügt, mich zu sättigen.«
»Oh, Ihr seid unmöglich!« protestierte sie. Aber mit einer energischen Bewegung, die bewies, daß er seine Kräfte zurückgewonnen hatte, preßte er sie an sich, bog ihren Kopf zurück und begann, sie aufs neue zu küssen. Erst das Geräusch einer auf den Tisch geschlagenen hölzernen Kelle trennte sie jäh.
»Beim heiligen Jakobus«, wetterte Meister Bourgeaud, »dieser verdammte Schmierant, dieser Erzhalunke, dieser Verleumder in meinem Haus, in meiner Anrichte, im Begriff, mein Mädchen zu belästigen! Hinaus, du Lump, oder du kriegst einen Tritt in den Hintern, daß du auf die Straße fliegst!«
»Erbarmen, Messire, Erbarmen mit meinen Hosen! Sie sind dermaßen abgenutzt, daß Euer erhabener Fuß ein für die Damen unschickliches Schauspiel hervorrufen könnte.«
Grimassen schneidend, lachend und mit beiden Händen sein bedrohtes Hinterteil schützend, lief der Kunde des Großen Matthieu zur Straßentür, drehte eine Nase und verschwand.
Angélique sagte obenhin:
»Dieser Kerl ist in die Anrichte gekommen, und ich konnte ihn nicht loswerden.«
»Hm«, brummte der Bratkoch, »eigentlich hast du keinen sonderlich mißvergnügten Eindruck dabei gemacht. Sachte, meine Schöne, widersprich mir nicht! Das ist es nicht, was mich ärgert: ein bißchen Zärtlichkeit von Zeit zu Zeit erhält ein hübsches Mädchen bei guter Laune. Aber offen gesagt, du enttäuschst mich. Kommen nicht genug anständige Leute in unser Haus? Warum suchst du dir ausgerechnet einen Zeitungsschreiber aus?«
Die Favoritin des Königs, Mademoiselle de La Vallière, hatte einen zu großen Mund. Sie hinkte ein wenig. Man sagte, das gäbe ihr einen besonderen Reiz und hindere sie nicht, entzückend zu tanzen, aber Tatsache blieb: sie hinkte.
Sie hatte keinen Busen. Man verglich sie mit Diana, man sprach vom Reiz der Zwitter, aber Tatsache blieb: sie hatte flache Brüste. Ihre Haut war spröde. Infolge der ob der königlichen Untreue vergossenen Tränen, der Demütigungen durch den Hof und der Gewissensbisse hatte sie tiefe Augenhöhlen bekommen. Sie magerte ab. Schließlich litt sie, verursacht durch ihre zweite Schwangerschaft, an einer gewissen Unpäßlichkeit, über die einzig Ludwig XIV. Näheres hätte sagen können. Der Schmutzpoet indessen wußte Bescheid.
Und aus all diesen verborgenen oder bekannten Übeln, aus diesen körperlichen Mängeln machte er ein bemerkenswertes Pamphlet, voller Witz, aber von einer solchen Boshaftigkeit und Schlüpfrigkeit, daß es selbst die gar nicht prüden Bürger vermieden, es ihren Frauen zu zeigen, weshalb diese es sich von ihren Mägden geben ließen.
»Hinken kannst du, Mädchen, sei bloß fünfzehn Jahr’, Busen brauchst du nicht, Verstand nicht nötig. Eltern? Weiß der Himmel! Doch zum Kinderkriegen sei im Vorzimmer ganz unschuldig er-bötig:
Dann bekommst du den höchsten Geliebten als Preis,
La Vallière hat geliefert dafür den Beweis.«
Diesen Pasquillen begegnete man überall in Paris, im Hôtel Biron, wo Louise de La Vallière wohnte, im Louvre und sogar bei der Königin, die angesichts dieses Porträts ihrer Rivalin zum erstenmal nach langer Zeit lachte und sich vergnügt die kleinen Hände rieb.
Verletzt, vor Scham vergehend, bestieg Mademoiselle de La Vallière die nächstbeste Kutsche und ließ sich zum Kloster Chaillot fahren, wo sie den Schleier nehmen wollte.
Der König befahl ihr, schleunigst zurückzukehren und sich bei Hof zu zeigen, und ließ sie endlich durch Monsieur Colbert holen. In dieser Zurückbeorderung lag weniger entrüstete Zärtlichkeit als der zornige Trotz des Monarchen, den sein Volk zu verspotten wagte, der andererseits aber auch zu fürchten begann, seine Mätresse könnte ihm nicht zur Ehre gereichen.
Die gewiegtesten Polizeispione wurden auf den Schmutzpoeten gehetzt, und diesmal zweifelte niemand, daß er erwischt und gehenkt werden würde.
Angélique war im Begriff, sich in ihrem kleinen Zimmer in der Rue des Francs-Bourgeois zu Bett zu begeben. Javotte hatte sich gerade mit einem Knicks zurückgezogen. Die Kinder schliefen.
Draußen hörte sie jemanden laufen - die Schritte wurden durch den Schnee gedämpft, der an diesem Dezemberabend ganz leise zu rieseln begonnen hatte -, und gleich darauf wurde an die Haustür geklopft. Angélique schlüpfte in ihren Schlafrock und lief zum Guckloch.
»Wer ist da?«
»Rasch, mach mir auf. Der Hund!«
Ohne lange zu überlegen, schob Angélique die Riegel zurück. Der Pasquillenschreiber taumelte ihr entgegen. Im selben Augenblick tauchte lautlos ein weißes Etwas aus der Finsternis auf und sprang ihm an die Kehle.
»Sorbonne!« schrie Angélique. Sie stürzte hinzu, und ihre Hand berührte das feuchte Fell der Dogge. »Laß ihn, Sorbonne, laß ihn!«
Sie sagte es auf deutsch, da sie sich undeutlich erinnerte, daß Desgray dem Hund in dieser Sprache Befehle erteilte.
Sorbonne knurrte, während er seine Fangzähne in den Kragen seines Opfers grub. Doch nach einer Weile drang Angéliques Stimme in sein Bewußtsein. Er wedelte mit dem Schwanz und ließ, immer noch knurrend, seine Beute fahren.
Der Mann keuchte.
»Um mich ist’s geschehen!«
»Nicht doch. Kommt rasch herein.«
»Der Hund wird vor der Tür bleiben und mich dem Polizisten verraten.«
»Kommt herein, sag’ ich Euch!«
Sie stieß ihn ins Innere, dann schlug sie die Tür zu und blieb vor der Schwelle stehen. Sorbonne hielt sie an seinem Halsband fest. Vor der Toreinfahrt sah sie im Widerschein einer Laterne den Schnee wirbeln. Endlich hörte sie den gedämpften Schritt sich nähern, den Schritt, der immer dem Hunde folgte, den Schritt des Polizisten François Desgray.
Sie trat ein wenig aus dem Dunkel der Einfahrt hervor. »Sucht Ihr etwa Euren Hund, Maître Desgray?«
Er blieb stehen, dann trat er seinerseits unter den Torbogen. Sie sah sein Gesicht nicht.
»Nein«, sagte er ruhig, »ich suche einen Pamphle-tisten.«
»Sorbonne kam vorbei. Denkt nur, ich kannte ihn früher einmal, Euren Hund. Ich rief ihn an und nahm mir die Freiheit, ihn festzuhalten.«