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Der Jüngling errötete, aber er stammte aus gutem Hause und antwortete, ohne allzusehr in Verlegenheit zu geraten:

»Sire, man sagt, daß alles den Tatsachen entspricht, was der Schmutzpoet erzählt, und daß die Sache sich heute nacht in der Schenke zur >Roten Maske< zugetragen hat. Ich selbst kam eben von einem Tanzvergnügen zurück, als wir die Flammen sahen, woraufhin wir sofort zur Brandstätte eilten. Aber die Kapuziner waren bereits erschienen. Das ganze Viertel war auf den Beinen.«

»Behauptet man, die Feuersbrunst sei durch Edelleute verursacht worden?«

»Ja, aber man wußte ihre Namen nicht. Sie waren maskiert.«

»Was wißt Ihr noch?« forschte der König mit stren-ger Miene.

Der Page scheute sich als schon gewitzter Höfling, ein Wort auszusprechen, das seiner Gunst abträglich sein würde. Doch er gehorchte dem gebieterischen Blick und murmelte mit gesenktem Kopf:

»Sire, ich habe den Leichnam des kleinen Oblatenverkäufers gesehen. Sein Leib war aufgerissen, eine Frau hatte ihn aus dem Feuer geholt und drückte ihn an ihre Brust. Ich habe auch den Neffen des Wirts gesehen, er trug einen Verband um die Stirn.«

»Und der Wirt?«

»Man konnte ihn nicht aus den Flammen retten. Die Leute sagten .«

Der Page mühte sich zu lächeln, in der löblichen Absicht, die Atmosphäre zu entspannen. »Die Leute sagten, es sei ein schöner Tod für einen Bratkoch.«

Aber die Miene des Königs blieb eisig, und die Höflinge hoben rasch ihre Hände vor die Lippen, um ihre unangebrachte Heiterkeit zu verbergen.

»Man hole mir Monsieur de Brienne«, sagte der König. »Und Ihr, Herr Herzog«, setzte er hinzu, indem er sich an den Herzog von Crequi wandte, »werdet Monsieur d’Aubrays die folgenden Anweisungen übermitteln: Ich wünsche, daß man mir alsbald einen detaillierten Bericht über den Vorfall zukommen läßt. Jeder Besitzer oder Verkäufer dieser Blätter ist sofort zu verhaften und ins Châtelet zu bringen. Jeder Passant, der beim Aufheben oder Lesen eines dieser Blätter betroffen wird, ist mit einer empfindlichen Geldstrafe zu belegen. Schließlich möge man unverzüglich alle erdenklichen Maßnahmenergreifen, um des Druckers und des Sieur Claude Le Petit habhaft zu werden.«

Man fand den Grafen Brienne in seinem Haus im Bett vor, wo er noch seinen Rausch ausschlief.

»Mein treuer Freund«, sagte der Marquis de Gesvres, der Schloßhauptmann, zu ihm, »ich komme mit einem peinlichen Auftrag zu Euch. Wenn ich recht verstanden habe, soll ich Euch verhaften.«

Und er hielt ihm das Gedicht unter die Nase, an dem er sich unterwegs ergötzt hatte, ohne sich darum zu sorgen, daß man ihn mit der besagten Geldstrafe belegen könnte.

»Ich bin erledigt«, stellte Brienne in trübem Tone fest. »Teufel noch eins! Die Leute haben’s eilig in diesem Staat. Ich habe noch nicht mal allen Wein abgelassen, den ich in dieser verdammten Schenke getrunken habe, und schon muß ich dafür zahlen.«

»Herr Minister«, sagte Ludwig XIV. zu ihm, »aus vielerlei Gründen ist mir eine Unterhaltung mit Euch peinlich. Machen wir es kurz. Gebt Ihr zu, heute nacht an den in dieser Schrift angeprangerten Verbrechen beteiligt gewesen zu sein, ja oder nein?«

»Sire, ich war dort, aber ich habe nicht alle diese Schändlichkeiten begangen. Der Schmutzpoet erklärt ja selbst, daß nicht ich es war, der den kleinen Oblatenverkäufer ermordete.«

»Und wer war es dann?«

Graf Brienne schwieg.

»Ich muß Euch loben, daß Ihr nicht auf andere eine Verantwortung abschiebt, die Ihr in weitem Maße teilt, wie sich von Eurem Gesicht ablesen läßt. Ich kann Euch jedoch nicht helfen, Graf: Ihr habt das Pech gehabt, erkannt zu werden. Ihr werdet für die andern büßen. Das niedere Volk murrt ... und zu Recht. Daher muß Eure Freveltat geahndet werden, und zwar sofort. Ich wünsche, daß man heute abend auf dem Pont-Neuf sagen kann: Monsieur de Brienne ist in der Bastille ... und sieht einer harten Bestrafung entgegen. Was mich persönlich betrifft, so kommt mir diese Geschichte höchst gelegen, denn sie befreit mich von einem Gesicht, das ich nur mit Widerwillen ertragen habe. Ihr wißt, weshalb.«

Der arme Brienne seufzte beim Gedanken an die schüchternen Küsse, die er der sanften La Vallière zu rauben versucht hatte, als er sich noch im unklaren über die Vorliebe seines Gebieters für diese hübsche Person gewesen war.

Auf dem Wege zur Bastille wurde die Kutsche, die ihn fuhr, von einer Schar Markthallenhändler angehalten, die Blättchen des Pamphlets sowie Tranchiermesser schwangen und stürmisch verlangten, man solle ihnen den Gefangenen ausliefern, damit sie ihm zufügen könnten ... was er dem armen Koch Bourgeaud zugefügt habe.

Der entsetzte Brienne atmete erst wieder auf, als sich die schweren Tore des Gefängnisses hinter ihm geschlossen hatten und er sich hinter den dicken Mauern sicher fühlte.

Doch am nächsten Morgen flatterte wiederum ein Schwarm weißer Blättchen auf Paris herab.

Als Gipfel der Unverfrorenheit war anzusehen, daß der König das Epigramm unter seinem Teller fand, als er sich eben ein kleines Frühstück einzunehmen anschickte, bevor er sich zur Hirschjagd in den Bois de Boulogne begab.

Die Jagd wurde abgeblasen, und Monsieur d’Olo-ne, Jägermeister von Frankreich, schlug eine Richtung ein, die der beabsichtigten genau entgegengesetzt war. Was besagen soll, daß er, statt den Cours-la-Reine hinunterzufahren, den Cours Saint-Antoine hinauffuhr, der ihn zur Bastille führte.

Denn in der neuen Schmähschrift war ausdrücklich erwähnt, daß er Meister Bourgeaud festgehalten habe, während der Bratkoch verstümmelt worden war.

Sodann kam Lauzun an die Reihe. Man schrie seinen Namen auf den Straßen, als er sich eben in seiner Kutsche zum Petit Lever des Königs begab.

Sofort befahl Péguillin dem Kutscher, zur Bastille zu fahren.

»Richtet mein Gemach«, sagte er zum Gouverneur.

»Aber, Herr Herzog, ich habe keine Anweisung, was Eure Person betrifft.«

»Ihr werdet sie bekommen, seid unbesorgt.«

»Und wo ist Euer Verhaftbefehl?«

»Hier«, sagte Péguillin und hielt Monsieur de Vannois das bedruckte Blatt unter die Nase, das er eben einem Straßenjungen für zehn Sols abgekauft hatte.

Frontenac zog es vor zu fliehen, ohne sein Schicksal abzuwarten.

De Vardes riet ihm von seinem Vorhaben energisch ab. »Eure Flucht ist ein Geständnis. Sie wird Euch verraten, während Ihr dem Hagel von Denunziationen vielleicht entgeht, wenn Ihr das Gesicht wahrt und weiterhin den Harmlosen spielt. Schaut doch mich an! Sehe ich verängstigt aus? Ich scherze, ich lache. Niemand hat mich in Verdacht, und der König vertraut mir sogar an, wie sehr ihn diese Geschichte beschäftigt.«

»Euch wird das Lachen vergehen, wenn Ihr an der Reihe seid.«

»Ich habe das Gefühl, daß ich nicht an die Reihe kommen werde. >Aus dreizehn Köpfen bestand sie, die lüsterne Meute<, heißt es in dem Vers. Bis jetzt sind erst drei benannt, und schon hört man, daß verhaftete Verkäufer unter der Folter den Namen des Druckers gestanden haben. In ein paar Tagen hört der Blätterregen auf, und die ganze Sache gerät in Vergessenheit.«

»Ich teile Euren Optimismus nicht«, sagte der Marquis de Frontenac, während er fröstelnd den Kragen seines Reisemantels hochschlug. »Ich für mein Teil ziehe das Exil dem Gefängnis vor. Adieu.«

Er hatte die deutsche Grenze gerade überschritten, als sein Name erschien, ohne daß man sonderlich Notiz davon nahm. Am Tage zuvor war nämlich de Vardes bloßgestellt worden, und zwar unter Umständen, die den König in beträchtliche Erregung versetzt hatten. Denn der Schmutzpoet beschuldigte diesen »mondänen Bösewicht« rundheraus, der Verfasser jenes spanischen Briefs zu sein, der zwei Jahre zuvor in die Gemächer der Königin eingeschmuggelt worden war, in der eindeutigen Absicht, sie schonend über die intimen Beziehungen ihres Gatten zu Mademoiselle de La Vallière aufzuklären. Die Anschuldigung riß von neuem eine schmerzende Wunde im Herzen des Monarchen auf, denn er hatte die Schuldigen nie fassen können und sich in dieser Angelegenheit des öfteren ratsuchend an de Vardes gewandt.