Mit einem Male war dieses durchdringende Lachen aufgeklungen. Die junge Frau entdeckte am Ende der Galerie eine halbgeöffnete Tür. Es gab ein Geräusch wie von verschüttetem Wasser, und das Lachen brach jäh ab. Eine Männerstimme sagte:
»Jetzt, da Ihr Euch beruhigt habt, werde ich Euch anhören.«
Es war die Stimme Joffrey de Peyracs.
Angélique näherte sich leise der Tür und spähte durch den Spalt. Ihr Gatte saß auf einem Sessel. Sie sah nur die Rückenlehne und eine seiner Hände, die auf der Armstütze ruhte und eins jener Tabakstäbchen hielt, die er Zigarre nannte.
Vor ihm kniete in einer Wasserlache eine sehr schöne Frau, die Angélique nicht kannte. Sie trug ein prächtiges schwarzes Kleid, war aber offensichtlich bis auf die Haut durchnäßt. Neben ihr ließ ein leerer bronzener Kübel eindeutig erkennen, was mit seinem Inhalt geschehen war, der für gewöhnlich zum Kühlen der Weinflaschen diente.
Die Frau, der die langen schwarzen Haare an den Schläfen klebten, schaute verstört auf die aufgeweichten Spitzen an ihren Handgelenken.
»Mich«, rief sie mit erstickter Stimme aus, »mich wagt Ihr so zu behandeln?«
»Es mußte sein, meine Schöne«, erwiderte Joffrey in sanft vorwurfsvollem Ton. »Ich konnte es nicht zulassen, daß Ihr noch länger Eure Würde vor mir verliert. Ihr hättet es mir nie verziehen. Kommt, steht auf, Carmencita. Bei dieser fürchterlichen Hitze werden Eure Kleider rasch trocknen. Setzt Euch in diesen Sessel hier.«
Sie erhob sich widerwillig. Es war eine hochgewachsene Frau von der fülligen Schönheit jenes Typs, den die Maler Rembrandt und Rubens verherrlichten.
Sie ließ sich auf dem ihr angewiesenen Sessel nieder. Ihre großen dunklen Augen starrten mit einem verstörten Ausdruck vor sich hin.
»Was ist denn?« ließ sich der Graf wieder vernehmen - und Angélique erbebte, denn diese von dem unsichtbaren Sprecher losgelöste Stimme hatte einen Reiz, der ihr noch nie bewußt geworden war. »Seht, Carmencita, nun ist über ein Jahr vergangen, seit Ihr Toulouse verlassen habt. Ihr gingt nach Paris mit Eurem Gatten, dessen hohe Stellung Euch ein glänzendes Leben gewährleistete. Ihr habt die Undankbarkeit gegenüber unserer armen, kleinen provinziellen Gesellschaft so weit getrieben, daß Ihr nie ein Lebenszeichen gabt. Und nun werft Ihr Euch mit einem Male hier in diesem Palais vor mir nieder und schreit, fordert ... was denn eigentlich?«
»Liebe!« erwiderte sie mit heiserer und atemloser Stimme. »Ich kann nicht mehr ohne dich leben. Ach, unterbrich mich nicht. Du ahnst nicht, wie ich in diesem langen Jahr gelitten habe. Ja, ich glaubte, Paris werde meinen Durst nach Genuß und Lustbarkeiten stillen. Aber inmitten der schönsten Hoffeste überkam mich der Überdruß. Ich mußte an Toulouse denken, an dieses rosafarbene Palais. Ich ertappte mich dabei, wie ich mit leuchtenden Augen von ihm schwärmte, und die Leute machten sich über mich lustig. Ich habe Liebhaber gehabt. Ihre Plumpheit stieß mich ab. Und da begriff ich: Du warst es, der mir fehlte. Nachts lag ich mit offenen Augen da, und ich sah dich. Ich sah diese deine Augen, die so brannten, daß ich fast verging; deine weißen, wissenden Hände .«
»Meinen graziösen Gang«, warf er mit einem kleinen Lächeln ein. Er stand auf und trat zu ihr, wobei er sein Hinken übertrieb.
Sie starrte ihn tragisch an.
»Versuch nicht, dich mir verächtlich zu machen. Dein Lahmen, deine Narben - zählt das in den Augen der Frauen, die du geliebt hast, verglichen mit dem Geschenk, das du ihnen machst?«
Sie streckte die Hände nach ihm aus.
»Du, du schenkst ihnen die Wollust«, flüsterte sie. »Bevor ich dich kannte, war ich kalt. Du hast ein Feuer in mir entzündet, das mich verzehrt.«
Angéliques Herz klopfte zum Zerspringen. Sie fürchtete - sie wußte selbst nicht was, vielleicht daß die Hand ihres Gatten sich auf die schöne, golden schimmernde, schamlos dargebotene Schulter legen würde.
Doch der Graf lehnte sich an einen Tisch und rauchte seelenruhig. Er zeigte sich im Profil, und die Versehrte Seite seines Gesichts war unsichtbar. Plötzlich war es ein anderer Mann, den sie da entdeckte, dessen Züge unter der Fülle des dichten Haars rein wie eine Medaille wirkten.
»Erinnere dich der Leitsätze der höfischen Liebe, die dieses Haus dich gelehrt hat«, sagte er, während er lässig eine blaue Rauchwolke ausstieß. »Kehre nach Paris zurück, Carmencita. Das ist die Zuflucht der Leute deiner Art.«
»Wenn du mich fortjagst, werde ich mich ins Kloster zurückziehen. Mein Mann will mich ohnehin dort einschließen.«
»Vortrefflicher Gedanke, meine Liebe. Ich habe mir sagen lassen, daß in Paris derzeitig unzählige fromme Zufluchtsstätten gegründet werden. Eben erst ist das wunderschöne Kloster Val-de-Grâce vollendet worden, das die Königin Anna von Österreich für die Benediktinerinnen gestiftet hat. Auch das Haus der Heimsuchung Maria in Chaillot ist sehr gefragt.«
Carmencitas Augen flammten auf.
»Das ist also alles, was du zu sagen weißt? Ich bin bereit, mich unter einem Schleier zu begraben, und du bedauerst mich nicht einmal?«
»Wenn in dieser ganzen Angelegenheit jemand zu bedauern ist, kann es nur der Fürst Mérecourt, Euer Gatte, sein, der die Torheit besaß, Euch im Gepäckwagen seiner Botschaft aus Madrid mitzunehmen. Gib endlich den Versuch auf, mich mit deiner vulkanischen Existenz zu verquicken, Carmencita.«
»Ist es jene Frau, deine Frau, deretwegen du so mit mir sprichst? Ich glaubte, du habest sie geheiratet, um deine Habgier zu befriedigen. Eine Grundstück sangelegenheit, sagtest du mir. Hast du sie denn zur Geliebten erwählt? ... Oh, ich zweifle nicht, daß sie unter deinen Händen eine bemerkenswerte Schülerin wird. Wie konntest du dich hinreißen lassen, ein Mädchen aus dem Norden zu lieben?«
»Sie stammt nicht aus dem Norden, sondern aus dem Poitou. Ich kenne das Poitou, ich bin dort gereist; es ist ein liebliches Land, das früher zu Aquitanien gehörte. Die langue d’oc erkennt man noch im Dialekt der Bauern, und Angélique hat die gleiche Hautfarbe wie die Mädchen hierzulande.
»Ich merke wohl, daß du mich nicht mehr liebst«, rief unvermittelt die Frau aus. »Oh, ich durchschaue dich mehr, als du ahnst.«
Sie sank in die Knie und klammerte sich an Joffreys Wams.
»Noch ist es Zeit. Liebe mich! Nimm mich! Nimm mich!«
Angélique konnte es nicht mehr mitanhören. Sie lief durch die Galerie, stieg die Wendeltreppe des Turms hinauf, erreichte ihr Zimmer und warf sich auf das Bett.
»Das ist zuviel«, sagte sie immer wieder zu sich. Aber nach und nach mußte sie sich eingestehen, daß sie nicht wußte, weshalb sie so außer Fassung war. Jedenfalls war es unerträglich. So konnte es nicht weitergehen.
Angélique biß zornig in ihr Spitzentaschentuch und schaute verdüsterten Sinnes um sich. Zuviel Liebe, das war es, was sie zur Verzweiflung brachte. Alle Welt sprach von Liebe, diskutierte über die Liebe in diesem Palais.
Sie zog heftig an der Glocke aus vergoldetem Silber, und als Marguerite erschien, befahl sie ihr, eine Sänfte kommen zu lassen, denn sie wolle sich unverzüglich nach dem Lusthaus an der Garonne begeben.
Nachdem es dunkel geworden war, blieb Angélique lange auf der Terrasse ihres Zimmers.
Allmählich übte die Stille der Landschaft eine beruhigende Wirkung auf ihre Nerven aus.
An diesem Abend wäre sie nicht fähig gewesen, in Toulouse zu bleiben, im Wagen über die Féria spazierenzufahren, um den Sängern zu lauschen, und danach dem großen Diner zu präsidieren, das Graf Peyrac im Garten gab, im Scheine venezianischer Laternen. Sie hatte erwartet, ihr Gatte werde sie mit Gewalt zurückholen, um ihre Gäste zu empfangen, aber kein Bote war aus der Stadt gekommen, den Flüchtling heimzubringen. Damit hatte sie den Beweis, daß er sie nicht brauchte. Niemand brauchte sie hier. Sie war eine Fremde.
Da Marguerite sich enttäuscht gezeigt hatte, dem Fest nicht beiwohnen zu können, hatte sie sie nach Toulouse zurückgeschickt und nur ein junges Kammermädchen und ein paar Wächter zu ihrem Schutz bei sich behalten.