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In ihrer Einsamkeit versuchte Angélique sich zu sammeln und in ihrem Innern klar zu sehen.

Ihr Vater hatte ihr oftmals angekündigt, eines Tages werde sie für ihren Mangel an Diskretion bestraft werden. Aber Angélique bereute nichts und empfand nicht einmal Skrupel über ihre Handlungsweise. War es ihre Schuld, wenn sie hinter so manche Dinge kam, die nicht für sie bestimmt waren? Wenn ihr Schritt so leise war, wenn sie jene Gabe besaß, sich unsichtbar zu machen, die einstens die Bauern von Monteloup ihr zugeschrieben hatten?

Jedenfalls war es ihr lieber, gewarnt zu sein.

Gewarnt wovor? Sie mußte Joffrey zubilligen, daß er sie auf keine Weise betrogen hatte. Weshalb war sie dann bis zu Tränen gedemütigt? Ihre Naivität ging nicht so weit, daß sie sich einbildete, der Graf Peyrac habe in mehr als einjähriger Ehezeit nicht an-derswärts ein Glück gesucht, das sie ihm verweigerte. Im übrigen gehörten in Toulouse die hintergangenen Ehemänner und die betrogenen Ehefrauen zur herrschenden Sitte, mit dem einzigen Unterschied, daß man über die hintergangenen Ehemänner lachte und die betrogenen Ehefrauen bedauerte. Aber wie in Paris und am Hof des Königs galt es nicht als schicklich, sich mit ehelicher Treue zu brüsten. Das schmeckte allzu sehr nach Kleinbürgerlichkeit.

Angélique ließ ihre Stirn auf die Balustrade sinken. »Ich für mein Teil werde nie die Liebe kennenlernen«, sagte sie sich melancholisch.

Als sie sich endlich müde in ihr Zimmer zurückziehen wollte, präludierte eine Gitarre unter ihren Fenstern. Angélique beugte sich hinaus, konnte aber zwischen den dunklen Schatten der Gebüsche niemand erkennen.

»Sollte Henrico zu mir herausgekommen sein? Das ist nett von dem Kleinen. Er will mich zerstreuen .«

Doch der unsichtbare Musikant begann zu singen. Seine dunkle, männliche Stimme war nicht die des Pagen.

Schon die ersten Töne griffen der jungen Frau ans Herz. Dieser bald samtene, bald sonore Stimmklang war von einer Vollkommenheit, wie sie die galanten Spielleute, von denen es am Abend in Toulouse wimmelte, nicht oft aufzuweisen hatten. In Languedoc sind die schönen Stimmen nicht selten. Die Melodie springt spontan über die an Lachen und Rezitieren gewöhnten Lippen. Aber dieser Künstler fiel aus dem üblichen Rahmen. Sein Atem war von ungewöhnlicher Kraft. Es schien, als würde der Garten von ihm überflutet, als erbebe der Mond von ihm. Er sang ein altes Klagelied in jener untergegangenen Sprache, deren Feinheit Graf Peyrac so gerne rühmte. Angélique verstand nicht alle Worte, doch eines kehrte immer wieder: Amore! Amore!

Liebe!

Immer mehr wurde es ihr zur Gewißheit: »Er ist es, der letzte der Troubadours, es ist die Goldene Stimme des Königreichs!«

Nie hatte sie so singen hören. Man sagte ihr zuweilen: »Ach, wenn Ihr die Goldene Stimme des Königreichs hören würdet! Er singt nicht mehr. Wann wird er von neuem singen?« Und dabei warf man ihr einen maliziös-mitleidigen Blick zu, weil sie diese Berühmtheit der Provinz noch nicht kannte.

»Er ist es! Er ist es!« sagte sich Angélique immer wieder. »Wie kommt er nur hierher? Um meinetwillen?«

Sie sah ihr Spiegelbild im großen Spiegel ihres Zimmers. Die eine Hand lag auf ihrer Brust, und ihre Augen waren weit aufgerissen. Sie machte sich über sich selbst lustig: »Wie albern ich bin! Vielleicht ist es nur Andijos oder irgendein anderer Verehrer, der mir einen bezahlten Musiker schickt, um mir ein Ständchen zu bringen .!«

Dennoch öffnete sie die Tür. Mit über dem Mieder gekreuzten Händen, wie um ihr pochendes Herz im Zaum zu halten, schlich sie sich durch die Vorzimmer, stieg die weiße Marmortreppe hinunter und betrat den Garten. Sollte nun das Leben für Angélique de Sancé de Monteloup, Gräfin Peyrac, beginnen: Denn die Liebe war das Leben!

Die Stimme kam von einer Laube her, die sich am Ufer des Flusses erhob und eine Statue der Göttin Pomona barg. Als die junge Frau sich näherte, verstummte der Sänger, doch er fuhr fort, gedämpft die Saiten seiner Gitarre zu zupfen.

Der Mond war an diesem Abend noch nicht voll. Er hatte die Form einer Mandel. Sein Licht genügte indessen, den Garten zu erhellen, und Angélique glaubte im Innern der Laube eine auf dem Sockel der Statue sitzende Gestalt zu erkennen.

Bei ihrem Erscheinen rührte sich der Unbekannte nicht.

»Es ist ein Neger«, dachte Angélique enttäuscht.

Doch sie erkannte bald ihren Irrtum. Der Mann trug eine samtene Maske, aber die sehr weißen, auf seinem Instrument ruhenden Hände erlaubten keinen Zweifel über seine Rassenzugehörigkeit. Ein schwarzseidenes, auf italienische Art im Nacken zusammengeknüpftes Kopftuch verbarg sein Haar. Soweit sich im Dunkel der Laube erkennen ließ, war sein ein wenig abgetragenes Gewand ein seltsames Mittelding zwischen dem eines Dieners und dem eines Komödianten. Er hatte dicke Kastorschuhe, wie Leute sie tragen, die viel zu Fuß gehen, doch hingen Spitzenbesätze von den Ärmeln seiner Jacke herab.

»Ihr singt wundervoll«, sagte Angélique, da sie sah, daß er keine Bewegung machte, »aber ich wüßte gern den Namen dessen, der Euch geschickt hat.«

»Niemand hat mich geschickt, Madame. Ich bin hierhergekommen, weil ich wußte, daß dieses Lusthaus eine der schönsten Frauen von Toulouse beherbergt.«

Der Mann sprach mit einer tiefen und sehr leisen Stimme, als fürchte er, gehört zu werden.

»Ich kam heute abend in Toulouse an und begab mich in das Palais des Grafen Peyrac, wo ich eine lustige und zahlreiche Gesellschaft versammelt fand, um meine Lieder zum besten zu geben. Doch als ich hörte, daß Ihr nicht anwesend wäret, ging ich wieder fort, um Euch zu treffen, denn der Ruhm Eurer Schönheit ist so groß in unsrer Provinz, daß es mich schon lange verlangt, Euch zu begegnen.«

»Auch Euer Ruhm ist groß. Seid Ihr es nicht, den man die Goldene Stimme des Königreichs nennt?«

»Ich bin es, Madame. Und bin Euer ergebener Diener.«

Angélique setzte sich auf die Marmorbank, die innen an der Wand der Laube entlanglief.

Der Duft des rankenden Geißblatts war berauschend.

»Singt weiter«, sagte sie.

Die warme Stimme erklang von neuem, doch weicher und wie gedämpft. Es war kein Anruf mehr, sondern ein Lied der Zärtlichkeit, eine heimliche Mitteilung, ein Geständnis.

»Madame«, unterbrach sich der Musikant, »vergebt mir meine Kühnheit. Ich möchte Euch ein paar Verse in die französische Sprache übersetzen, zu denen mich der Reiz Eurer Augen inspiriert.«

Angélique neigte den Kopf. Sie wußte nicht mehr, wie lange sie schon hier war. Nichts hatte mehr Bedeutung. Die Nacht gehörte ihnen.

Er präludierte lange, als suche er den Faden seiner Melodie, dann stieß er einen langen Seufzer aus und begann:

»Die grünen Augen sind von der Farbe des Meers. Die Wogen haben sich über mir geschlossen.

Ein Schiffbrüchiger der Liebe, so irre ich durch den tiefen Ozean ihres Herzens.«

Angélique hatte die Augen geschlossen. Mehr noch als die glühenden Worte erfüllte sie die Stimme mit einer Wonne, die sie nie zuvor empfunden hatte.

»Wenn sie ihre grünen Augen aufschlägt,

spiegeln sich in ihnen die Sterne

wie auf dem Grund eines Frühlingsgewässers.«

»Jetzt, in diesem Augenblick, muß er kommen«, sagte Angélique zu sich, »denn dieser Augenblick kehrt nicht wieder. Dies kann man nicht zweimal erleben. Dies, das endlich so ganz all den Liebesgeschichten gleicht, die wir damals im Kloster einander erzählten.«

Die Stimme war verstummt. Der Unbekannte glitt auf die Bank. An dem festen Arm, der sie ergriff, an der Hand, die ihr Kinn mit gebieterischer Sanftheit nach oben bog, erkannte Angéliques Instinkt einen Meister, der mehr als nur einen zärtlichen Sieg errungen haben mußte. Sie empfand ein klein wenig Reue, doch als die Lippen des Sängers die ihren berührten, erfaßte sie ein Schwindel. Sie hatte nicht gewußt, daß Männerlippen diese Blütenfrische, diese schmelzende Weichheit haben konnten. Ein muskulöser Arm preßte sie, doch der Mund bebte noch von den betörenden Worten, und diese Betörung und diese Kraft rissen Angélique in einen Strudel, in dem sie vergeblich einen Gedanken zu fassen versuchte.