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»Ich hoffe nicht«, sagte Angélique bescheiden.

Ihre Einmischung hatte die Atmosphäre entspannt. Im übrigen waren die beiden Brüder gesättigt, und die Amme räumte bereits ab.

Trotzdem blieb die Stimmung im Salon ziemlich drückend, und jedermann suchte ratlos nach einer Lösung für diesen neuerlichen Schicksalsschlag.

In die entstandene Stille drang das Heulen des jüngsten Kindes. Die Mutter, die Tanten und sogar Gontran nützten es als Vorwand, um »nachzuschauen«. Doch Angélique blieb bei den beiden Baronen und den in so bejammernswerter Ausstaffierung aus der Stadt zurückgekehrten Brüdern.

Der alte Lützen, der im Augenblick der Ankunft der Jungen nicht zur Stelle gewesen war, brachte zu Ehren der Reisenden neue Leuchter. Er vertropfte ein wenig Wachs, als er ungeschickt den Älteren umarmte. Der Jüngere wich der plumpen Begrüßung mit verächtlicher Miene aus.

Doch ungeniert tat der alte Soldat seine Meinung kund: »Es ist ja wohl an der Zeit, daß ihr heimkommt! Was taugt das überhaupt, daß ihr Latein studiert, wo ihr kaum eure eigene Sprache zu schreiben vermögt? Als die Fantine mir sagte, daß die jungen Herren für immer zurück sind, da hab’ ich bei mir gedacht, jetzt kann der Herr Josselin endlich zur See gehen .«

»Sergeant Lützen, muß ich dich an die alte Manneszucht erinnern?« bemerkte der alte Baron trocken.

Der einstige Landsknecht fügte sich und schwieg. Angélique war verwundert über den barschen und erregten Ton ihres Großvaters, der sich jetzt dem älteren Jungen zuwandte.

»Ich hoffe, Josselin, du hast deine Pläne aus der Kinderzeit vergessen: Seemann zu werden?«

»Und warum sollte ich, Großvater? Es scheint mir sogar, daß es für mich jetzt keine andere Lösung gibt!«

»Solange ich lebe, wirst du nicht zu den Matrosen gehen. Alles, nur das nicht!« Und der Greis stieß seinen Stock auf den brüchigen Fußboden.

Josselin schien niedergeschlagen über die plötzliche Starrköpfigkeit seines Großvaters bezüglich eines Plans, der ihm am Herzen lag und der es ihm ermöglicht hatte, bisher ohne allzu großen Groll die Unbill der Schulverweisung zu ertragen. »Aus ist’s mit den Paternostern und den Lateinaufgaben«, hatte er gedacht. »Jetzt bin ich ein Mann, und ich werde auf ein Kriegsschiff des Königs gehen.«

Armand de Sancé versuchte zu vermitteln.

»Nun, Vater, weshalb dieser Starrsinn? Das mag keine schlechtere Lösung sein als irgendeine andere. Ich will Euch im übrigen gestehen, daß ich in dem kürzlich an den König gesandten Gesuch unter anderem auch darum gebeten habe, meinen ältesten Sohn bei einem Handels- oder Kriegsschiff aufzunehmen.«

Doch der alte Baron konnte sich nicht beruhigen. Nie hatte Angélique ihn so wütend gesehen, nicht einmal an dem Tage, da er die Auseinandersetzung mit dem Steuereinnehmer gehabt hatte.

»Der älteste Sohn eines Edelmannes hat in der Armee des Königs zu dienen, und damit basta.«

»Ich w ill ja gar nichts anderes als ihm dienen, aber auf dem Meer«, erwiderte der Junge.

»Josselin ist sechzehn Jahre alt. Da ist es schließlich an der Zeit, daß er seinen Weg wählt«, meinte sein Vater zögernd.

Ein schmerzlicher Ausdruck glitt über das zerfurchte Antlitz, das der kurze weiße Bart umrahmte. Der Greis hob die Hand.

»Es ist wahr, daß in der Familie andere vor ihm ihr eigenes Geschick gewählt haben. Müßt auch Ihr mich enttäuschen, mein Sohn?« sagte er in tiefbetrübtem Ton.

»Die Absicht liegt mir fern, Euch unerfreuliche Erinnerungen ins Gedächtnis zu rufen, Vater«, entschuldigte sich Baron Armand. »Ich selbst habe nie daran gedacht, in die Fremde zu gehen, und bin mehr mit dieser unserer Erde verwurzelt, als ich zu sagen vermag. Aber ich erinnere mich, wie hart und schwierig meine Situation in der Armee war. Auch als Adliger kann man ohne Geld nicht in die höheren Ränge aufsteigen. Ich war bis über die Ohren verschuldet und zuweilen gezwungen, meine gesamte Ausrüstung zu verkaufen: Pferd, Zelt, Waffen, ja ich mußte sogar meinen eigenen Burschen vermieten. Erinnert Ihr Euch all der guten Ländereien, die Ihr verkaufen mußtet, damit ich im Dienst bleiben konnte?«

Angélique verfolgte die Unterhaltung mit gespann-ter Aufmerksamkeit. Sie hatte nie Seeleute gesehen, aber sie entstammte einem Lande, durch dessen Flußtäler die Rufe des Ozeans klingen. Sie wußte, daß es an der Küste von La Rochelle bis Nantes Fischerboote gab, die nach fernen Ländern fuhren, in denen man Menschen begegnete, die rot waren wie das Feuer oder gestreift wie Frischlinge. Man erzählte sich sogar, ein bretonischer Matrose aus der Gegend von Saint-Malo habe Wilde nach Frankreich mitgebracht, denen wie den Vögeln Federn auf den Köpfen wuchsen.

Ach, wäre sie ein Mann, dann würde sie sich nicht um die Ansicht ihres Großvaters kümmern! ... Sie grollte Josselin, nicht nur weil er so finster und verdrossen war, sondern auch weil er sich wie ein dummer kleiner Junge abkanzeln ließ.

Madame de Sancé hatte einen großen Strohhut auf ihr Kopftuch gesetzt und war eben im Begriff, sich in den Gemüsegarten zu begeben, als ein Heidenspektakel sie veranlaßte, in den Speisesaal des Schlosses zu gehen. Hier fand sie Gontran vor, der sich mit einem schmutzigen Bauernjungen raufte. Angélique spielte dabei den Schiedsrichter.

Da die Schulverweisung ihrer beiden ältesten Söhne auf ihrem Herzen lastete, wurde die arme Dame sehr böse.

»Wie oft muß man dir noch sagen, Gontran, daß diese kleinen Bauernlümmel kein Umgang für dich sind - und ebensowenig für Angélique. Hinaus mit dir, du Bengel!«

Der Junge warf einen hämischen Blick auf die Schloßherrin, die ein geflicktes Kleid von undefinierbarer Farbe und in ihren ausgetretenen Schuhen keine Strümpfe trug. Dann kratzte er gemächlich seinen grindigen Kopf.

»Nicht bevor ich den Herrn Baron gesprochen habe«, erklärte er. »Der Herr Verwalter vom Schloß schickt mich. Er sagt, es sei eilig. Da ist sein Zettel.«

Er nahm aus seiner Faust ein Kügelchen, das offensichtlich ein einfaches, viermal gefaltetes Blatt Papier gewesen war, ohne Umschlag und ohne Wachssiegel. Der Verwalter des benachbarten Schlosses, der Sieur Molines, bat darin den Herrn Baron de Sancé, sobald es anginge, in seine Wohnung zu kommen, da er gerne mit ihm eine ihn interessierende und betreffende Angelegenheit besprechen würde .

Die Baronin zerknitterte nervös das Papier, dann versuchte sie es von neuem zu glätten.

»Bring diesen Brief dem Herrn Baron«, sagte sie zu dem Jungen. »Er muß auf der Maultierkoppel hinter dem Hause sein. Und halte dich unterwegs nicht mehr auf.«

Als der Kleine gegangen war, nahm Madame de Sancé, die ihre Erbitterung nur mühsam beherrschen konnte, ihre Kinder zu Zeugen.

»Ist das nicht eine furchtbare Zeit, in der wir leben? Da muß man sich’s gefallen lassen, daß ein bürgerlicher Nachbar, ein hugenottischer Verwalter, dieser gewöhnliche Molines, sich herausnimmt, eu-ern Vater ganz einfach vorzuladen, ihn, der ein echter Abkömmling Heinrichs II. ist. Ich höre schon, wie der gute Armand mir sagen wird, daß >diese Besuche mit Geschäften zu tun haben, die die Frauen nichts angehen<, aber ich möchte wissen, was für ehrliche Geschäfte ein Edelmann mit dem Verwalter des nachbarlichen Schlosses betreiben kann. Es muß sich wohl wieder einmal um Maultiere handeln! . Ich würde es noch verstehen, wenn es um Pferdezucht ginge. Meine Familie ist immer großzügig gewesen, und wir haben uns nie unserer Abstammung vom seligen Claude Gouffrier geschämt, dem Oberstallmeister König Heinrichs II. Aber Maultiere und Esel! Ich frage mich wirklich, ob es nicht besser für uns wäre, wenn euer Vater den König bitten würde, wieder in den Dienst aufgenommen zu werden. Wenn man dem Hof näher rückt, kann man in den Genuß der Großmut des Königs gelangen. Das wäre besser, als sich darauf zu versteifen, ein Landgut mit unmöglichen Bauern, Faulenzern und Dieben zu bestellen, die einen mit unvorstellbarer Dreistigkeit behandeln. Diesmal bin ich fest entschlossen, mit Armand darüber zu reden. Er nimmt uns vor diesen Strolchen nicht genügend in Schutz.«