»Aber er hat Grundbesitz«, warf Angélique ein, »er hat Schafherden im Gebirge, die ihm Wolle liefern, eine große Tuchfabrik, in der diese Wolle verarbeitet wird, Ölmühlen, Seidenwurmzüchtereien, Gold-und Silbergruben ...«
»Ihr sagtet Gold und Silber?«
»Ja, Eminenz, Graf Peyrac besitzt zahlreiche Steinbrüche in Frankreich, aus denen er angeblich eine Menge Gold und Silber gewinnt.«
»Wie richtig Ihr Euch ausgedrückt habt, Madame!« sagte der Geistliche mit süßlicher Stimme. »Aus denen er angeblich Gold und Silber gewinnt .!
Genau das wollte ich hören. Die fürchterliche Vermutung wird zur Gewißheit.«
»Was wollt Ihr damit sagen, Eminenz? Ihr erschreckt mich.«
Der Erzbischof von Toulouse fixierte sie mit jenem allzu klaren Blick, der zuweilen die Härte des Stahls annahm.
Er sagte gemessen:
»Ich bezweifle nicht, daß Euer Gatte einer der größten Gelehrten unserer Zeit ist, und eben deshalb glaube ich, Madame, daß er tatsächlich den Stein der Weisen entdeckt hat, nämlich Salomons Geheimnis des Goldmachens. Doch welchen Weg ist er gegangen, um dahin zu gelangen? Ich fürchte sehr, er hat diese Macht durch einen Handel mit dem Teufel erlangt!«
Abermals hielt Angélique den Fächer über ihre Lippen, um nicht in Gelächter auszubrechen. Sie hatte Anspielungen auf den vom Grafen betriebenen Handel erwartet, in den sie durch Molines und ihren Vater Einblick bekommen hatte: da sie wußte, daß solche Betätigung bei einem Edelmann anrüchig genug war, um sein Haus in Mißkredit zu bringen, war sie ein wenig besorgt gewesen. Aber die bizarre Anschuldigung des Erzbischofs, der im Rufe großer Intelligenz stand, schien ihr im ersten Augenblick geradezu komisch. Meinte er es wirklich ernst?
Plötzlich kam ihr in einem jähen Gedankensprung zum Bewußtsein, daß Toulouse noch immer das Hauptquartier der Inquisition beherbergte. Die schreckliche Institution des Ketzertribunals genoß hier Vorrechte, die nicht einmal die Autorität des Königs selbst anzufechten wagte.
Toulouse, die lachende Stadt, war auch die rote Stadt, die im vergangenen Jahrhundert die meisten Hugenotten massakriert hatte. Lange vor Paris hatte sie ihre Bartholomäusnacht gehabt. Unter dem ersten Bogen der Saint-Michel-Brücke war ein eiserner Käfig angebracht, in dem man die Protestanten so lange ins Wasser zu tauchen pflegte, bis sie tot waren oder abschworen. Und zuweilen trug der Wind von der Place des Salins, wo man wieder einmal irgendeinen störrischen Hugenotten oder eine Hexe verbrannte, den Geruch verkohlten Fleisches bis zum Palais des Grafen Peyrac.
Die in den Wirbel genußfrohen Lebens gezerrte Angélique hatte sich nicht mit diesem Aspekt von Toulouse befaßt. Aber sie wußte sehr wohl, daß der Erzbischof selbst, dieser Mann, der da vor ihr in dem hohen Polstersessel saß und ein Glas eisgekühlter Limonade zum Munde führte, der Großmeister dieser Martern war.
»Eminenz«, murmelte sie, ehrlich entrüstet, »es ist doch nicht möglich, daß Ihr meinen Gatten ernstlich der Hexerei beschuldigt? Das Goldmachen erübrigt sich in diesem Lande, über das Gott seine Gaben im Überfluß ausgestreut hat und in dem sich das Gold im reinen Zustand in der Erde findet!« Listig fügte sie hinzu:
»Ich habe mir sagen lassen, daß Ihr selbst Goldwäscher angestellt habt, die den Kies der Garonne in Körben waschen und Euch ihre Ausbeute an Goldsand und Körnern bringen, mit der Ihr manche Not lindert.«
»Euer Einwurf ist nicht ganz unberechtigt, meine Tochter. Aber eben weil ich weiß, was die Goldsuche einbringen kann, vermag ich dies zu versichern: Würde man den Kies aller Flüsse und Bäche des Languedoc waschen, so würde man nicht die Hälfte dessen ernten, was Graf Peyrac zu besitzen scheint. Glaubt mir, ich bin genau informiert.«
»Ich zweifle nicht daran«, dachte Angélique, »und tatsächlich ist da seit langem dieser Handel mit dem spanischen Gold und den Mauleseln .«
Die kalten blauen Augen erspähten ihre Nachdenklichkeit. Sie klappte ein wenig nervös ihren Fächer zusammen.
»Ein Gelehrter ist nicht notwendigerweise ein Gehilfe des Teufels. Heißt es doch, daß es bei Hofe Gelehrte gibt, die ein Fernrohr aufgestellt haben, um die Sterne und die Gebirge des Mondes zu betrachten, und daß Monsieur Gaston d’Orléans, der Onkel des Königs, sich derlei vom Abbé Picard geleiteten Beobachtungen widmet.«
»Allerdings. Ich kenne übrigens den Abbé Picard. Er ist nicht nur Astronom, sondern auch Geometer des Königs.«
»Da seht Ihr also .«
»Die Kirche, Madame, ist großzügig. Sie läßt alle Arten von Forschungen zu, selbst höchst gewagte wie die des Abbé Picard, die Ihr erwähnt. Ich gehe noch weiter. Zu meinen Mitarbeitern im Erzbischöflichen Palais gehört ein sehr gelehrter Geistlicher vom Orden der Cluniazenser, der Mönch Becher. Seit Jahren betreibt er Forschungen über die Umwandlung von Metallen in Gold, jedoch mit meiner und Roms Billigung. Ich muß gestehen, daß mich das bisher viel Geld gekostet hat, besonders gewisse Produkte, die ich aus Spanien und Italien kommen lassen muß. Dieser Mann, der die ältesten Überlieferungen seiner Kunst kennt, bestätigt, daß man, um zum Ziel zu gelangen, eine höhere Eingebung empfangen muß, die nur von Gott oder vom Satan kommen kann.«
»Und ist er zum Ziel gelangt?«
»Noch nicht.«
»Der Ärmste! Er scheint also bei Gott wie beim Satan schlecht angeschrieben, trotz Eurer hohen Protektion.«
Im gleichen Augenblick bereute Angélique ihre boshafte Bemerkung. Sie glaubte ersticken und Dummheiten sagen zu müssen, um diese Beklemmung loszuwerden. Die Unterhaltung kam ihr ebenso töricht wie gefährlich vor. Dann wandte sie sich erleichtert zur Tür um, denn sie hörte die ungleichmäßigen Schritte ihres Gatten in der Galerie.
»Es ist unverzeihlich, Monsieur«, erklärte der Graf, als er den Raum betreten und den Besucher begrüßt hatte, »daß ich Euch so lange warten ließ. Ich gebe zu, daß man mich bereits vor einer Stunde von Euerm Besuch in Kenntnis setzte, aber es war mir unmöglich, eine gewisse Retorte im Stich zu lassen.«
Er trug noch seinen Alchimistenkittel, der bis zur Erde reichte. Es war eine Art Hemd, auf dem sich die gestickten Tierkreiszeichen mit vielfarbigen Säureflecken vermengten. Angélique wußte genau, daß er dieses Kleidungsstück absichtlich nicht abgelegt hatte, um seinen Besucher herauszufordern; aus dem gleichen Grunde redete er auch den Erzbischof von Toulouse mit »Monsieur« an und stellte sich damit auf gleiche Ebene mit dem Baron Benoît de Fontenac.
Graf Peyrac gab einem Bedienten im Vorzimmer ein Zeichen, ihm beim Ablegen des Kittels behilflich zu sein. Ein Sonnenstrahl ließ sein dunkles Haar aufleuchten, das er sorgfältig pflegte und das es an Lockenfülle mit den Pariser Perücken aufnehmen konnte, die allmählich in Mode kamen.
»Er hat das schönste Haar der Welt«, sagte sich Angélique.
Ihr Herz klopfte mehr, als sie wahrhaben wollte. Das Bild der Szene vom Vorabend erschien vor ihren Augen.
»Es ist nicht wahr«, wiederholte sie für sich. »Es war ein anderer, der gesungen hat. Oh, ich werde ihm nie verzeihen!«
Inzwischen hatte Graf Peyrac einen hohen Schemel heranrücken lassen und setzte sich schräg hinter Angélique.
So sah sie ihn nicht, aber sie wurde von einem Atem angerührt, dessen Duft sie nur zu sehr an einen berauschenden Augenblick erinnerte. Überdies spürte sie deutlich, daß Joffrey, während er mit dem Erzbischof belanglose Worte wechselte, es sich nicht versagte, mit seinen Blicken ihren Nacken und ihre Schultern zu streicheln, ja, daß er sogar verwegen in das süße Dunkel des Mieders tauchte, wo junge Brüste ruhten, von deren Vollkommenheit er sich am Abend zuvor überzeugt hatte. Ein Treiben, das er im Angesicht des Kirchenfürsten, dessen Tugend als unerschütterlich galt, aus Bosheit noch eigens unterstrich.