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An den folgenden Tagen kam Angélique sich vor, als sei sie über Nacht in eine andere Welt versetzt, in eine Welt der Fülle und der zauberhaften Entdeckungen. Ihre Verliebtheit wuchs, ihr Teint nahm einen rosigen Ton an, ihr Lachen bekam etwas Ungezwungenes. Joffrey fand sie jeden Tag gieriger, bereitwilliger, und sie verweigerte sich nicht mehr jäh wie eine junge Diana, wenn er neue Liebesspiele erfand.

Nur allzu ungern kehrte sie nach einer Woche mit Joffrey ins Palais zurück. Sie war bekümmert, daß diese köstlichen Tage ihr Ende fanden. Solche Augenblicke des Glücks erlebte man kein zweites Mal. Niemals, das fühlte Angélique plötzlich ganz klar, niemals würde diese berauschende, von allem Irdischen befreite Zeit wiederkehren.

Gleich am ersten Abend schloß sich Joffrey in sein Laboratorium ein.

Diese Geschäftigkeit empörte Angélique, und sie wälzte sich vergeblich wartend in ihrem großen Bett wütend von einer Seite zur anderen.

»So sind die Männer«, sagte sie sich bitter. »Sie geruhen, einem im Vorbeigehen ein paar Augenblicke zu schenken, aber nichts vermag sie im Grunde zu fesseln als ihre persönlichen Steckenpferde. Für die einen ist es das Spiel, für andere der Krieg. Für Joffrey sind es seine Retorten. Früher hat es mich interessiert, wenn er mir davon sprach, weil er mir dann freundschaftliche Gefühle entgegenzubringen schien, aber jetzt hasse ich dieses Laboratorium.«

Grollend schlief sie schließlich dennoch ein.

Sie erwachte, als der Schein einer Kerze auf sie fiel, und erblickte Joffrey, der sich gerade ausgezogen hatte, neben dem Bett. Sie setzte sich brüsk auf und verschränkte die Arme um die Knie.

»Muß das sein?« fragte sie. »Ich höre schon die Vögel im Garten erwachen. Findet Ihr es nicht besser, Ihr würdet diese so wohl begonnene Nacht vollends in Euerm Laboratorium verbringen und eine dickbäuchige Glasretorte an Euer Herz drücken?«

Er lachte, ohne die geringste Zerknirschung zu bekunden.

»Ich bin untröstlich, Liebste, aber ich war in ein Experiment vertieft, das ich unmöglich im Stich lassen konnte. Wißt Ihr, daß unser gräßlicher Erzbischof gewissermaßen wieder daran schuld ist? Er hat mir ein Ultimatum gestellt, seinem idiotischen Mönch Becher mein Geheimnis zu enthüllen. Und da ich ihn schließlich nicht über meinen spanischen Handel aufklären kann, habe ich beschlossen, Becher nach Salsigne mitzunehmen, wo er der Förderung und der Umwandlung des goldhaltigen Gesteins beiwohnen soll. Vorher werde ich den Sachsen Fritz Hauer zurückbeordern und außerdem einen Boten nach Genf schicken. Bernalli brennt darauf, diese Vorgänge kennenzulernen, und wird bestimmt kommen.«

»Das interessiert mich alles gar nicht«, unterbrach Angélique verstimmt. »Ich will schlafen.«

Sie war sich wohl bewußt, daß sie mit ihren weich über das Gesicht fallenden Haaren und in ihrem Hemdchen, dessen Spitzenvolant über ihren bloßen Arm heruntergeglitten war, sehr viel weniger streng wirkte als ihre Worte.

Er streichelte die zarte, weiße Schulter, aber mit einer raschen Kopfbewegung grub sie ihre spitzen Zähne in seine Hand. Er gab ihr einen Klaps und warf sie in geheucheltem Zorn auf das Bett zurück. Sie kämpften eine kurze Weile, dann unterlag Angélique Joffreys Kraft, die sie jedesmal mit der gleichen Überraschung empfand. Doch ihr Widerstandsgeist war noch nicht erlahmt, und sie wehrte sich gegen die Umklammerung, bis ihr Blut rascher zu kreisen begann. Ein Funke der Wollust entzündete sich in ihrem tiefsten Innern und teilte sich ihrem ganzen Wesen mit. Sie kämpfte weiter, doch sie suchte in keuchender Begier das wunderliche Gefühl zurückzugewinnen, das sie eben verspürt hatte. Ihr Körper fing Feuer. Die Wogen der Lust trugen sie von Gipfel zu Gipfel, in einem Rausch, wie sie ihn noch nie empfunden hatte.

»O Joffrey!« seufzte sie. »Mir ist, als müsse ich sterben. Warum ist es jedesmal wunderbarer?«

»Weil die Liebe eine Kunst ist, in der man sich vervollkommnet, Liebste, und weil Ihr eine wunderbare Schülerin seid.«

Gesättigt suchte sie jetzt den Schlaf, indem sie sich an ihn schmiegte. Wie braun Joffreys Brust zwischen den Spitzen des Hemdes wirkte! Und wie so ganz besonders und berauschend dieser leise Tabakgeruch doch war!

Angélique dachte, daß sie ewig glücklich sein würden ...

Ungefähr zwei Monate danach bewegte sich eine kleine Reitertruppe, der eine Kutsche mit dem Wappen des Grafen Peyrac folgte, auf einer Uferstraße dem kleinen Ort Salsigne im Departement Aude zu.

Angélique, der diese Reise zunächst großes Vergnügen bereitet hatte, begann zu ermüden. Es war sehr heiß und staubig. Und da der wiegende Schritt ihres Pferdes sie zum Nachsinnen veranlaßte, hatte sie zuerst mit einigem Mißfallen den Mönch Conan Becher beobachtet, der auf einem Maultier saß und seine langen, dürren Beine herunterhängen ließ, und sodann über die Folgen des starrköpfigen Grolls des Erzbischofs nachgedacht. Und als schließlich bei dem Gedanken an Salsigne die vierschrötige Gestalt Fritz Hauers vor ihrem geistigen Auge auftauchte, war ihr der Brief ihres Vaters eingefallen, den der Sachse ihr gebracht hatte, nachdem er in Toulouse mit seinem Gepäckwagen, seiner Frau und seinen drei blonden Kindern angekommen war, welch letztere trotz des langen Aufenthalts im Poitou nur einen rauhen deutschen Dialekt sprachen.

Angélique hatte beim Empfang dieses Briefs bittere Tränen vergossen, denn ihr Vater teilte ihr den Tod des alten Wilhelm Lützen mit. Sie war in einen dunklen Winkel gegangen und hatte sich ausgeweint. Selbst Joffrey konnte sie nicht erklären, was sie empfand und warum ihr weh ums Herz wurde, wenn sie sich das alte, bärtige Gesicht mit seinen hellen, strengen Augen vergegenwärtigte, die gleichwohl die kleine Angélique so sanft angeschaut hatten. Doch als am Abend ihr Gatte sie gestreichelt und sanft umschmeichelt hatte, ohne Fragen zu stellen, hatte sich ihr Schmerz ein wenig gemildert. Die Vergangenheit blieb eben Vergangenheit. Aber der Brief des Barons Armand hatte die Vorstellung von kleinen, barfüßigen Geistern mit Haarschöpfen voller Stroh in den eisigen Gängen des Schlosses Monteloup geweckt, in deren Schatten sich im Sommer die Hühner flüchteten.

Der Baron beklagte sich auch. Das Leben war noch immer schwierig, wenn auch jedermann dank dem Maultierhandel und der Großzügigkeit des Grafen Peyrac das Notwendigste hatte. Aber das Land war von einer furchtbaren Hungersnot heimgesucht worden; dies zusammen mit den Verfolgungen der Salzschleichhändler durch die Fiskalbeamten hatte zu einer Revolte der Bewohner des Moorgebiets geführt. Sie waren plötzlich aus ihrem Schilf aufgetaucht, hatten mehrere Marktflecken geplündert, die Abgaben verweigert und Steuereintreiber umgebracht. Man hatte die Soldaten des Königs gegen sie, die sich »wie Aale in den Wassergräben davonmachten«, einsetzen müssen. Es gab viele Gehängte an den Straßenkreuzungen.

Angélique erkannte mit einem Male, was es bedeutete, eines der größten Vermögen der Provinz zu »sein«. Sie hatte diese unterdrückte, von der Angst vor den Steuern und der Zwangseintreibung verfolg-te Welt vergessen. War sie im Glanz ihres Glücks und ihres Luxus nicht sehr egoistisch geworden? Vielleicht hätte sich der Erzbischof weniger querköpfig gezeigt, wenn sie ihn zu umgarnen verstanden und sich seinen mildtätigen Werken gewidmet hätte?

Sie hörte den armen Bernalli stöhnen.

»Oh, diese Straße! Das ist ja schlimmer als unsere Abruzzen! Und Eure schöne Kutsche! Es werden nur Späne von ihr übrigbleiben. Ein wahres Verbrechen!«

»Ich habe Euch ja beschworen, sie zu besteigen«, sagte Angélique. »Dann wäre sie wenigstens zu etwas nütze gewesen.«

Doch der galante Italiener protestierte, nicht ohne sich die schmerzende Hüfte zu reiben.

»Pfui über Euch, Signora! Ein Mann, der dieses Namens würdig ist, kann sich nicht in einer Kutsche breitmachen, während eine junge Dame zu Pferde reist.«

»Eure Skrupel sind altmodisch, mein guter Bernalli. Heutzutage macht man keine solchen Umstände mehr. Ich kenne Euch allmählich gut genug, um zu wissen, daß Ihr nur unsere wippende und Wasser ausschleudernde hydraulische Maschine zu erblicken braucht, um alsbald von Eurer Zerschlagenheit kuriert zu sein.«