»Sehr richtig bemerkt, verehrter Kollege«, bestätigte Joffrey de Peyrac und wandte sich zu dem sächsischen Werkmeister.
»Tu dein Blei hinzu, wenn es soweit ist!«
Man mußte sich jedoch noch eine ganze Weile gedulden. Die Masse im Ofen rötete sich mehr und mehr, sie schmolz und brodelte. Die schweren, weißen Dämpfe wallten noch immer und schlugen sich überall, sogar auf der Kleidung, zu einem weißlichen, pulverförmigen Überzug nieder.
Dann, als die Dampfentwicklung nahezu aufhör-te und das Feuer nachließ, führten zwei Sachsen in Lederschürze auf einem Karren mehrere Bleibarren heran und schwangen sie in die breiige Masse.
Das Bad schmolz und beruhigte sich. Der Sachse rührte es mit einer langen grünen Stange.
Blasen stiegen auf, dann bildete sich Schaum. Fritz Hauer schäumte mehrmals mit riesigen Sieben und eisernen Tiegelhaken ab und rührte weiter. Schließlich beugte er sich über eine Öffnung, die unten am Rührfaß angebracht war. Er zog den Steingutstöpsel heraus, und ein silbriger Strahl begann in die vorher bereitgestellten Gießflaschen zu strömen.
Der Mönch trat neugierig näher und sagte dann:
»Alles das ist nichts anderes als Blei.«
»Wir sind noch immer einer Ansicht«, bestätigte Graf Peyrac.
Doch plötzlich stieß der Mönch einen durchdringenden Schrei aus: »Ich sehe die drei Farben!«
Er keuchte und deutete auf das beim Erkalten der Masse sich vollziehende Farbenspiel.
Seine Hände zitterten, und er flüsterte:
»Das Große Werk, ich habe das Große Werk gesehen!«
»Er schnappt über, der gute Mönch«, bemerkte Andijos respektlos.
Mit nachsichtigem Lächeln erklärte Joffrey de Pey-rac:
»Die Alchimisten messen dem Auftreten der >drei Farben< bei der Gewinnung des Steins der Weisen und der Transmutation der Metalle großen Wert bei. Dabei ist es ein Phänomen ohne sonderliche Bedeutung, demjenigen des Regenbogens nach dem Regen verwandt.«
Doch ungeachtet seiner Worte fiel der Mönch vor dem Gatten Angéliques auf die Knie und dankte ihm stammelnd dafür, daß er ihn an diesem großen Augenblick habe teilnehmen lassen.
Verärgert über diese lächerliche Kundgebung sagte der Graf trocken:
»Erhebt Euch, Vater. Ihr habt ja eigentlich noch gar nichts gesehen, und Ihr werdet Euch selbst davon überzeugen können. Hier gibt es keinen Stein der Weisen, und ich bedaure das um Euretwillen.«
Fritz Hauer verfolgte die Szene mit einem unwilligen Ausdruck auf seinem seltsamen, von Staub und Gesteinssplittern verfärbten Gesicht.
»Soll ich das Blei vor diesen Herrschaften kupellie-ren?«
»Tu, als ob ich allein hier wäre.«
Angélique sah, wie der noch warme Barren mittels nasser Tücher auf einen Karren gehoben wurde. Man fuhr ihn zu einem kleinen, bereits rotglühenden Ofen.
Die Mauersteine des zentralen Hohlraums waren sehr weiß, leicht und porös. Sie wurden aus den Knochen von Tieren hergestellt, deren in der Nachbarschaft aufgestapelte Kadaver einen furchtbaren Gestank verbreiteten. Zusammen mit dem Knoblauch- und Schwefelgeruch benahm er einem den Atem.
Der von Hitze und Erregung gerötete Mönch erblaßte, als er den Kadaverhaufen bemerkte und begann sich zu bekreuzigen und Teufelsbeschwörungen zu murmeln.
Der Graf mußte lachen und sagte zu Bernalli:
»Seht Euch die Wirkung unserer Arbeiten auf diesen modernen Gelehrten an! Wenn ich daran denke, daß schon zu Zeiten der Römer und Griechen das Kupellieren auf Knochenasche ein Kinderspiel war!«
Doch Becher entzog sich dem beängstigenden Schauspiel nicht. Während er fortfuhr, die Perlen seines Rosenkranzes durch die Finger laufen zu lassen, wich sein Blick nicht von den Vorbereitungen des alten Sachsen und seiner Gehilfen. Einer von ihnen schüttete glühende Kohlen in den Feuerkessel. Der andere betätigte mit dem Fuß einen Blasebalg, während das Blei schlagartig zu schmelzen begann und sich im runden Hohlraum des Schmelzofens sammelte.
Auf ein Zeichen des Werkmeisters erschien ein junger Bursche mit einem Blasebalg, dessen Ende in einem Rohr aus Asbest steckte. Er legte diese Spitze auf den Rand des Behälters und blies kalte Luft auf die dunkelrote Oberfläche des geschmolzenen Bleis.
Mit einem pfeifenden Geräusch hellte sich der Fleck, an dem der Luftstrom das flüssige Metall traf, auf, das Leuchten wurde immer intensiver, ging in strahlendes Weiß über und breitete sich auf die ganze Metallmasse aus.
Rasch entfernten die jungen Gehilfen jetzt die Glut unter dem Ofen. Auch der Luftstrom wurde unterbrochen.
Der Kupellierungsprozeß ging allein vor sich: das Metall brodelte und glitzerte. Von Zeit zu Zeit überzog es sich mit einem dunklen Schleier. Dann zerriß dieser Schleier unter Bildung dunkler Flecke, die auf der Oberfläche der leuchtenden Flüssigkeit tanzten, und wenn eine dieser schwimmenden Inseln an den Rand des Beckens gelangte, wurde sie wie durch Zauberkraft von den Mauersteinen aufgesogen, und die Oberfläche erschien klarer und heller denn je zuvor.
Zu gleicher Zeit schmolz das mondsichelförmige Metall zusehends zusammen, schrumpfte zur Gestalt eines großen Krapfens, wurde dunkler und entzündete sich in einem plötzlichen Aufblitzen. In seinem Licht sah Angélique deutlich, daß der Metallrest heftig zitterte, um schließlich zu erstarren und ganz dunkel zu werden.
»Das ist das von Vulpius beschriebene Phänomen des Aufblitzens«, sagte Bernalli. »Ich bin sehr glücklich, daß ich einem metallurgischen Vorgang beiwohnen konnte, den ich bisher nur aus Büchern kannte.«
Der Alchimist schwieg. Sein Blick war abwesend und ziellos.
Indessen ergriff Hauer den Klumpen mit einer Zange, tauchte ihn ins Wasser und reichte ihn seinem Herrn, gelb und glänzend.
»Reines Gold«, murmelte der Mönch respektvoll.
»Gleichwohl ist es nicht völlig rein«, sagte Peyrac, »sonst hätten wir nicht das Phänomen des Aufblitzens beobachtet, das das Zeichen für Silberbeimischung ist.«
Nachdem der Mönch sich von seinem Staunen erholt hatte, fragte er, ob er eine Probe dieses Produktes haben könne, um sie seinem Wohltäter, dem Erzbischof, zu übergeben.
»Bringt ihm ruhig diesen Klumpen rohen Goldes aus dem Schoß unserer Corbières-Berge mit«, sagte Graf Peyrac, »und erklärt ihm, daß dieses Gold aus einem Gestein kommt, das schon welches enthält, und daß es an ihm liegt, auf seinem Grund die eine oder andere Lagerung zu entdecken, die ihn reich machen wird.«
Conan Becher wickelte den Klumpen, der mindestens zwei Pfund wog, sorgfältig in ein Taschentuch und erwiderte nichts.
Die Heimreise wurde durch einen Zwischenfall unterbrochen, der scheinbar unbedeutend war, in der Folgezeit jedoch eine gewisse Rolle im Leben Angéliques und ihres Gatten spielen sollte.
Auf halbem Wege nach Toulouse, am zweiten Reisetag, begann die Stute, auf der Angélique ritt, zu lahmen, da sie sich an einem Kieselstein der Straße verletzt hatte. Es gab kein Ersatzpferd, falls man nicht eines von der Kutsche nehmen wollte, die mit vieren bespannt war; aber Angélique mochte keins der derben Zugtiere besteigen. So suchte sie in der Kutsche Zuflucht, in der Bernalli bereits Platz genommen hat-te. Sie wußte, welch kümmerlicher Reiter er war, und bewunderte um so mehr, daß er so lange Reisen unternahm, um einen Stoßheber zu betrachten oder über die Schwerkraft der Körper zu diskutieren. Überdies war der aus verschiedenen Ländern verbannte Italiener arm und reiste ohne Diener auf gemieteten Pferden. Trotz der schaukelnden Bewegung des Wagens war er entzückt über das, was er einen »bemerkenswerten Komfort« nannte, und als Angélique ihn lachend um ein Plätzchen bat, zog er verwirrt seine Beine zurück, die er unter der Bank ausgestreckt hatte.
Der Graf und Bernard d’Andijos ritten eine Weile neben der Kutsche her, aber als die Straße eng wurde, mußten sie, vor allem wegen des von der Equipage aufgewirbelten Staubs, etwas zurückbleiben. Zwei berittene Diener zogen dieser voraus.