Die Straße wurde immer enger und gewundener. Am Ausgang einer scharfen Biegung blieb die Kutsche knarrend stehen, und ihre Insassen sahen eine Gruppe von Reitern vor sich, die ihnen den Weg zu versperren schien. »Beunruhigt Euch nicht, Madame«, sagte Bernalli, während er zum Fenster hinausschaute. »Es sind nur die Lakaien einer andern Kalesche, die aus der entgegengesetzten Richtung kommt.«
»Aber wir können doch auf dieser schmalen Straße nicht ausweichen!« rief Angélique aus.
Vorn erhob sich Gelärm, da sich die Diener der beiden Parteien einander ausgiebig beschimpften. Die Neuhinzugekommenen verlangten in herausforderndem Ton, die Kutsche von Madame de Peyrac solle zurückfahren, und um deutlich zu machen, daß sie des Rechts auf Vorfahrt sicher seien, begann einer der Lakaien heftige Peitschenhiebe auszuteilen, die wahllos die Leute der Gegenpartei und die Pferde des Gespanns trafen. Die Tiere bäumten sich, der Wagen schwankte, und Angélique hatte das Gefühl, in den Abgrund gerissen zu werden. Sie stieß einen Schrei aus.
Inzwischen war Joffrey de Peyrac auf dem Schauplatz erschienen. Mit zorniger Miene ritt er auf den Mann mit der Peitsche zu und schlug ihm mit seiner Reitgerte mitten ins Gesicht. In diesem Augenblick kam der zweite Wagen an und blieb mit knirschender Bremse stehen. Ihm entstieg ein beleibter, apoplekti-scher Mann, der in ein Spitzen- und Bänderjabot gezwängt und mit ebensoviel Puder wie Staub bedeckt war. Er fuchtelte mit einem Stock durch die Luft, um den eine Seidenrosette befestigt war, und schrie:
»Man wagt es, meine Leute zu schlagen! Wißt Ihr nicht, Ihr Tölpel von einem Reiter, daß Ihr es mit dem Präsidenten des Parlaments von Toulouse zu tun habt, Baron Masseneau, Grundherrn von Pouillac und andern Besitzungen? Ich fordere Euch auf, Euch davonzumachen und uns vorbeifahren zu lassen.«
Der Graf wandte sich um und grüßte den Ankömmling übertrieben ehrerbietig.
»Sehr erfreut, mein Herr. Seid Ihr verwandt mit einem Sieur Masseneau, einem Notariatsschreiber, von dem man mir erzählt hat?«
»Monsieur de Peyrac!« rief der andere ein wenig verlegen aus. Doch sein von der Mittagssonne zusätzlich angefachter Zorn legte sich deswegen noch lange nicht, und sein Gesicht verfärbte sich violett.
»Damit Ihr Bescheid wißt, möchte ich bemerken, daß mein Adel nicht minder verbrieft ist als der Eurige, Graf! Ich könnte Euch das Diplom der Königlichen Kammer zeigen, das meine Erhebung in den Adelsstand bestätigt.«
»Ich vertraue Euch, Messire Masseneau. Der Staat stöhnt noch darüber, daß er Euch so hoch erhoben hat.«
»Ich verlange, daß Ihr mir über diese Anspielung Rechenschaft gebt. Was habt Ihr mir vorzuwerfen?«
»Findet Ihr nicht, daß dies ein schlecht gewählter Ort für eine solche Unterhaltung ist?« fragte Joffrey de Peyrac, der alle Mühe hatte, sein Pferd zu bändigen, das durch die Hitze und den dicken, roten Mann, der da vor ihm mit einem Stock in der Hand gestikulierte, unruhig geworden war. Doch Baron Masseneau gab sich nicht geschlagen.
»Es steht Euch nicht eben wohl an, vom Staat zu reden, Herr Graf! Denn Ihr geruht ja nicht einmal mehr zu den Versammlungen des Parlaments zu erscheinen.«
»Ich interessiere mich nicht mehr für ein Parlament ohne Autorität. Ich würde dort nur Arrivierten und Emporkömmlingen begegnen, die danach gieren, von Monsieur Fouquet oder Kardinal Mazarin ihre Adelstitel zu kaufen, indem sie gleichzeitig die letzten Sonderfreiheiten des Languedoc hingeben.«
»Monsieur, ich bin einer der höchsten Beamten der Justiz des Königs. Das Languedoc ist seit langem ein Bestandteil des Staats und mit der Krone verbunden. Es ist unschicklich, in meiner Gegenwart von Sonderfreiheiten zu reden.«
»Es ist im Interesse des Wortes Freiheit selbst unschicklich, es in Eurer Gegenwart auszusprechen. Ihr seid unfähig, seinen Sinn zu erfassen. Ihr taugt nur dazu, von den Zuwendungen des Königs zu leben. Das ist es, was Ihr ihm dienen nennt.«
»Das ist immerhin eine Weise, während Ihr ...«
»Ich verlange nichts von ihm, aber ich schicke ihm ohne jeden Verzug die Steuern meiner Leute, und ich bezahle sie ihm in gutem, reinem Gold, das ich aus meinem Boden gezogen oder durch meinen Handel verdient habe. Wißt Ihr, Monsieur Masseneau, daß ich bei der Million Livres, die das Languedoc auf bringt, mit einem Viertel beteiligt bin? Dies den viertausendfünfhundert Edelleuten und elftausend Bürgerlichen der Provinz zur Kenntnisnahme.«
Der Parlamentspräsident hatte sich nur eins gemerkt.
»Durch Handel verdienen!« rief er in entrüstetem Tone aus. »Es stimmt also, daß Ihr Handel treibt?«
»Ich treibe Handel und produziere. Und ich bin stolz darauf. Denn es liegt mir nicht, dem König die Hand hinzuhalten.«
»Oh, Ihr spielt den Stolzen, Monsieur de Peyrac. Aber macht Euch das eine klar: das Bürgertum und der junge Adel sind es, die die Zukunft und die Stärke des Königreichs darstellen.«
»Ich bin entzückt darüber«, sagte der Graf, der wieder zu seinem ironischen Ton zurückfand. »Möge der neue Adel also zeigen, was sich gehört, indem er die Höflichkeit hat, sich zu entfernen, um die Kutsche vorbeizulassen, in der Madame de Peyrac ungeduldig wartet.«
Doch der neue Baron stampfte eigensinnig in den Staub und den Pferdemist.
»Es besteht keinerlei Veranlassung, daß ich mich als erster zurückziehe. Ich wiederhole, daß mein Adel dem Euren ebenbürtig ist.«
»Aber ich bin reicher als Ihr, einfältiger Affe«, donnerte Joffrey. »Und da bei den Bürgerlichen einzig das Geld zählt, zieht Euch zurück, Monsieur Masseneau, laßt das Vermögen vorbei.«
Er galoppierte drauflos und sprengte die Diener des Beamten auseinander. Dieser hatte eben noch Zeit, zur Seite zu weichen, um der anrollenden Kutsche mit dem Wappen des Grafen zu entrinnen. Der Kutscher, der nur auf ein Zeichen seines Herrn gewartet hatte, war glücklich, über das Bedientenpack eines gemeinen Bürgers zu triumphieren.
Im Vorbeifahren sah Angélique einen kurzen Augenblick das puterrote Gesicht des Sieur Masse-neau, der, seinen bebänderten Stock schwingend, schrie:
»Ich werde einen Bericht machen ... Ich werde zwei Berichte machen . Monseigneur d’Orléans, der Statthalter des Languedoc, wird in Kenntnis gesetzt
werden ... und der Ministerrat des Königs dazu.«
Eines Morgens, als Angélique mit ihrem Gatten die Bibliothek des Palastes betrat, entdeckte sie Clément Tonnel, den Haushofmeister, der damit beschäftigt war, auf Wachstafeln Büchertitel zu notieren. Er schien verlegen und suchte Tafeln und Stift zu verbergen.
»Naseweiser Bursche, Ihr scheint Euch wahrhaftig für das Latein zu interessieren!« rief der Graf mehr überrascht als verärgert aus.
»Ich habe immer etwas für die Gelehrsamkeit übrig gehabt, Herr Graf. Mein Ehrgeiz war es, Notariatsschreiber zu werden, und es bedeutet eine große Freude für mich, dem Hause nicht nur eines großen Herrn, sondern auch eines ausgezeichneten Gelehrten anzugehören.«
»Es sind wohl kaum meine alchimistischen Bücher, die Euch über rechtliche Dinge zu belehren vermögen«, sagte Joffrey stirnrunzelnd, denn die verschlagene Art des Bedienten hatte ihm nie gefallen. Als einzigen von allen seinen Leuten duzte er ihn nicht.
Nachdem Tonnel sich entfernt hatte, sagte Angélique nachdenklich:
»Ich kann mich über die Dienste dieses Clément nicht beklagen, aber ich weiß nicht, weshalb mich seine Anwesenheit zunehmend bedrückt. Wenn ich ihn anschaue, habe ich das Gefühl, daß er mich an etwas Unangenehmes erinnert; und doch habe ich ihn aus dem Poitou mitgebracht.«
»Pah!« machte Joffrey, indem er mit den Schultern zuckte. »Es fehlt ihm ein wenig an Diskretion, aber solange ihn seine Wißbegierde nicht dazu verführt, in meinem Laboratorium herumzuschnüffeln . Im übrigen wird mein Mohr schon aufpassen. Clément muß der Sohn von Bauern oder sehr kleinen Handwerkern und mit der Absicht in Dienst gegangen sein, voranzukommen und sich zu bilden. Für einen beweglichen und aufgeschlossenen Geist gibt es kein besseres Mittel, die Umgangsformen der Großen kennenzulernen.«