»Meiner Treu, eine richtige Waschfrauenohrfeige!«
»Laßt mich vorbei«, wiederholte Angélique, »oder ich richte Euch so zu, daß Ihr nicht mehr vor dem König erscheinen könnt.«
Er spürte, daß sie gewillt war, ihre Drohung in die Tat umzusetzen, und trat einen weiteren Schritt zurück.
»Oh, ich möchte Euch eine ganze Nacht lang in meiner Gewalt haben«, murmelte er mit zusammengebissenen Zähnen. »Ich wette mit Euch, daß Ihr am Morgen mürbe wärt!«
»Gut so«, sagte sie lachend, »meditiert über Eure Rache und reibt indessen Eure Wange.«
Ungehindert entfernte sie sich und gelangte bis zur Tür. Das Gewühl hatte nachgelassen, denn viele Leute waren gegangen, um sich zu erfrischen.
Zornerfüllt und gedemütigt betupfte Angélique mit dem Taschentuch ihre zerschundene Lippe.
»Hoffentlich sieht man es nicht zu sehr ... Was soll ich antworten, wenn Joffrey mir eine Frage stellt?
Man muß verhindern, daß er diesen Flegel aufspießt. Vielleicht lacht er nur darüber . Er ist gewiß der letzte, der sich über diese sauberen Edelleute aus dem Norden Illusionen macht .«
Als sie eben im Gedränge des Platzes ihre Sänfte und ihre Diener zu entdecken versuchte, schob sich unversehens ein Arm unter den ihren.
»Meine Gute, ich habe Euch gesucht«, sagte die Grande Mademoiselle, deren gewichtige Erscheinung neben ihr aufgetaucht war. »Ich mache mir die schlimmsten Gewissensbisse, wenn ich an all die Dummheiten denke, die ich heute früh in Eurer Anwesenheit gesagt habe, ohne zu wissen, wer Ihr seid. Ach, wenn man an einem solchen Festtag nicht die gewohnten Bequemlichkeiten zur Verfügung hat, lassen einen die Nerven im Stich, und die Zunge läuft davon, ohne daß man es sich recht versieht.«
»Eure Hoheit möge sich keine Gedanken machen. Ihr habt nichts gesagt, was nicht wahr oder gar schmeichelhaft wäre. Ich entsinne mich nur der letzten Äußerungen.«
»Ihr seid die Güte selbst. Ich bin beglückt, Euch zur Nachbarin zu haben . Ihr werdet mir doch noch einmal Euern Friseur ausborgen, nicht wahr? Könnt Ihr über Eure Zeit verfügen? Wollen wir zusammen im Schatten ein paar Trauben stibitzen? Was denkt Ihr darüber? Diese Spanier lassen ja ewig auf sich warten .«
»Ich stehe Eurer Hoheit zu Diensten«, erwiderte Angélique mit einem Knicks.
Am folgenden Morgen mußte man zur Fasaneninsel fahren, um den König von Spanien speisen zu sehen. Der ganze Hof drängte sich auf den Barken und machte sich die schönen Schuhe naß. Die Damen stießen kleine Schreie aus, während sie ihre Röcke rafften.
Angélique, in Grün und silberbestickte weiße Seide gekleidet, war von Péguillin mitgenommen worden und saß zwischen einer Prinzessin mit klugem Gesicht und dem Marquis d’Humières. Der kleine Monsieur, ebenfalls mit von der Partie, lachte viel und machte sich über die sauertöpfische Miene seines Bruders lustig, der gezwungen war, auf dem französischen Ufer zu bleiben, da er die Infantin nicht sehen durfte, bevor sie durch Hochzeit in Stellvertretung auf dem spanischen Ufer Königin geworden war. Dann erst würde er auf der Fasaneninsel erscheinen, den Frieden besiegeln und seine märchenhafte Eroberung mitnehmen. Die eigentliche Trauung sollte in Saint-Jean-de-Luz durch den Bischof von Bayonne erfolgen.
Die Barken glitten über das ruhige Wasser dahin, beladen mit ihrer buntschillernden Besatzung, und landeten sanft. Während Angéliques wartete, bis sie an der Reihe war auszusteigen, stellte einer der Edelleute den Fuß auf die Bank, auf der sie saß, und quetschte ihr mit seinem hohen, hölzernen Absatz die Finger. Sie unterdrückte einen Aufschrei. Als sie den Blick hob, erkannte sie den Edelmann vom Vortag, der sie so übel belästigt hatte.
»Das ist der Marquis de Vardes«, sagte neben ihr die Prinzessin. »Natürlich hat er es absichtlich getan.«
»Ein rechter Rohling«, beklagte sich Angélique. »Wie kann man einen so ungehobelten Menschen in der Umgebung des Königs dulden?«
»Er amüsiert den König durch seine Keckheit, im übrigen zieht er Seiner Majestät gegenüber die Krallen ein. Aber er ist berüchtigt bei Hofe.«
Angélique mußte in ihrem Zorn an Joffrey denken. Wo war er? Seit gestern hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Er war nach Hause gekommen, um sich umzuziehen und sich rasieren zu lassen, während sie bei der Grande Mademoiselle festgehalten worden war. Sie selbst hatte sich drei- oder viermal in Hast und Erschöpfung umkleiden müssen. Sie hatte kaum ein paar Stunden geschlafen, aber der gute Wein, der bei jeder Gelegenheit gereicht wurde, hielt sie wach. Endlich entdeckte sie Joffrey in der Menge, die sich im Innern des in der Mitte der Insel gelegenen Hauses drängte.
Sie bahnte sich einen Weg bis zu ihm und berührte ihn mit dem Fächer. Er warf ihr einen zerstreuten Blick zu.
»Ah, da seid Ihr ja!«
»Ich sehne mich so schrecklich nach Euch, Joffrey. Aber Ihr scheint wenig beglückt, mich wiederzusehen. Findet Ihr es etwa auch lächerlich, wenn Ehegatten einander in Liebe zugetan sind?«
Er lächelte auf seine herzliche Art und legte den Arm um sie.
»Nein, Liebste. Aber ich sah Euch in so fürstlicher und angenehmer Gesellschaft .«
»Oh, angenehm!« wiederholte Angélique und strich sich über die gequetschte Hand. »Man läuft dabei Gefahr, zum Krüppel zu werden. Was habt Ihr seit gestern getan?«
»Ich habe Freunde getroffen, über dieses und jenes geschwatzt. Habt Ihr den spanischen König gesehen?«
»Nein, noch nicht.«
»Gehen wir in jenen Saal. Gerade wird sein Gedeck aufgelegt. Der spanischen Etikette gemäß muß er allein speisen, unter Beobachtung eines höchst komplizierten Zeremoniells.«
Der Saal war bis zur Decke mit Wandteppichen bespannt, die in gedämpften Farben die Geschichte des Königreichs Spanien erzählten. Es herrschte ein fürchterliches Gedränge.
Die beiden Höfe überboten einander an Luxus und Pracht. Die Spanier waren den Franzosen an Gold und Edelsteinen überlegen, aber diese taten sich durch den Schnitt und die Eleganz ihrer Kleidung hervor. Die jungen Leute aus dem Gefolge Ludwigs XIV trugen an diesem Tage Mäntel aus grauem, mit goldener Spitze bedecktem Moire; das Futter bestand aus Goldleinen, das Wams aus Goldbrokat. Die mit weißen Federn garnierten Hüte waren an der Seite mit Diamantnadeln hochgesteckt.
Lachend machte man einander auf die langausgezogenen, altmodischen Schnurrbärte der spanischen Granden und ihre mit schweren, altertümlichen Stickereien besetzten Gewänder aufmerksam.
»Habt Ihr diese flachen Hüte mit den kümmerlichen kleinen Federn gesehen?« flüsterte Péguillin kichernd.
»Und die Damen? Eine Galerie alter Hopfenstangen, bei denen man die Knochen unter den Mantillen erkennen kann.«
»In diesem Lande halten sich die Ehefrauen im Hause hinter Gittern verborgen.«
»Die Infantin soll noch Hüftpolster tragen und so große eiserne Reifen, daß sie sich seitwärts drehen muß, wenn sie durch eine Tür geht.«
»Ihr Schnürleib zwängte sie dermaßen ein, daß sie gar keinen Busen zu haben scheint, während sie in Wirklichkeit einen sehr schönen haben soll«, steuerte Madame de Motteville bei und bauschte ein paar Spitzen auf, die ihre magere Brust einrahmten.
Joffrey wandte ihr seinen boshaftesten Blick zu.
»Die Madrider Schneider müssen wirklich wenig geschickt sein«, sagte er, »wenn sie das Schöne dermaßen verunstalten, während die Pariser sich doch so glänzend darauf verstehen, das vorzutäuschen, was nicht mehr da ist.«
Angélique kniff ihn in den Samtärmel. Er lachte und küßte mit verständnisinnigem Augenzwinkern ihre Hand. Sie hatte das Gefühl, daß er etwas Unangenehmes vor ihr verbarg, wurde aber abgelenkt und dachte bald nicht mehr daran. Plötzlich trat Stille ein. Der König von Spanien war eingetreten. Angélique, die nicht sehr groß war, gelang es, rasch auf einen Schemel zu klettern.