»Werdet Ihr für uns singen?« fragte der König.
Joffrey de Peyrac zuckte zusammen. Er warf einen stolzen Blick auf Ludwig XIV. und fixierte ihn, als sei er irgendein Unbekannter, der ihm nicht vorgestellt worden war. Angélique zitterte; sie griff nach seiner Hand. »Sing für mich!« flüsterte sie.
Der Graf lächelte und gab Bernard d’Andijos ein Zeichen, worauf dieser hinauseilte.
Das Fest näherte sich seinem Ende. Neben der Königin-Mutter, dem Kardinal, dem König und seinem Bruder saß die Infantin in starrer Haltung und schlug die Augen vor dem Manne nieder, mit dem die Zeremonien des folgenden Tages sie verbinden würden. Ihre Trennung von Spanien war vollzogen. Philipp IV. und seine Hidalgos kehrten wehen Herzens nach Madrid zurück und hinterließen die stolze und reine Infantin als Pfand des neugewonnenen Friedens .
Der kleine Violinist Giovanni drängte sich zwischen den Höflingen hindurch und reichte dem Grafen Peyrac seine Gitarre und die Samtmaske.
»Weshalb maskiert Ihr Euch?« fragte der König.
»Die Stimme der Liebe hat kein Gesicht«, erwiderte Peyrac, »und wenn die schönen Augen der Damen träumen, darf nichts Häßliches sie stören.«
Er präludierte und begann zu singen, indem er die alten Weisen in der langue d’oc mit modischen Liebesliedern mischte.
Schließlich ließ er sich neben der Infantin nieder und stimmte einen verwegenen spanischen Refrain an, den rauhe arabische Schreie unterbrachen und in dem die ganze Leidenschaftlichkeit und das Feuer der Iberischen Halbinsel brannten.
Das ausdruckslose perlmutterfarbene Gesicht begann aufzublühen; die Lider der Infantin hoben sich, und man sah ihre Augen leuchten. Vielleicht erlebte sie ein letztes Mal das eingeschlossene Dasein einer kleinen Gottheit, wie sie es kannte, zwischen ihren Frauen und ihren Zwergen, die sie lachen machten; ein düsteres, schales, aber geruhsames Dasein: Man spielte Karten, empfing weissagende Nonnen, veranstaltete Nachmittagseinladungen mit Konfekt, Orangenblüten- und Veilchenkuchen.
Ihre Miene nahm einen verstörten Ausdruck an, als sie sich plötzlich unter all den französischen Gesichtern wiederfand.
»Ihr habt uns bezaubert«, sagte der König zu dem Sänger. »Ich wünsche mir nur das eine, daß wir noch oft Gelegenheit haben werden, Euch zu hören.«
Joffreys Blick funkelte seltsam hinter seiner Maske.
»Niemand hofft das so sehr wie ich, Sire. Aber alles hängt von Eurer Majestät ab. Ist es nicht so?«
Angélique glaubte zu bemerken, daß der Monarch leicht die Stirn runzelte.
»So ist es. Ich freue mich, Euch das sagen zu hören, Monsieur de Peyrac«, bemerkte er ein wenig trocken.
Nachdem Angélique zu vorgerückter Stunde in ihr Quartier zurückgekehrt war, streifte sie hastig ihre Kleider ab, ohne auf die Hilfe der gähnenden Zofe zu warten, und warf sich mit einem Seufzer auf das Bett. »Ich fühle mich völlig zerschlagen, Joffrey. Ich glaube, ich bin dem Hofleben noch nicht gewachsen. Wie machen es nur diese Leute, daß sie sich in so viele Vergnügungen stürzen und doch die Zeit finden, in der Nacht einander zu betrügen?«
Der Graf streckte sich neben ihr aus, ohne zu antworten. Es war so heiß im Raum, daß schon die Berührung eines Leintuchs lästig wurde. Durch das offene Fenster fiel zuweilen der rötliche Schein von Fackeln bis auf das Bett, dessen Vorhänge sie nicht zugezogen hatten. Saint-Jean-de-Luz war noch eifrig mit den Vorbereitungen für den kommenden Tag beschäftigt.
»Wenn ich nicht ein wenig schlafe, werde ich morgen bei der Zeremonie zusammenbrechen«, meinte Angélique gähnend. Sie streckte sich, dann schmiegte sie sich an den braunen, trockenen Körper ihres Gatten.
Er streichelte die runde Hüfte, die im Halbdunkel wie Alabaster leuchtete, folgte der sanften Krümmung der Taille und fand die kleine, feste Brust. Seine Finger bebten, wurden drängender, kehrten zum geschmeidigen Leib zurück. Als er eine kühnere Liebkosung wagte, wehrte Angélique im Halbschlaf ab: »O Joffrey, ich bin so müde!«
Er ließ ab, und sie warf ihm zwischen halbgeschlos-senen Lidern einen Blick zu, um zu sehen, ob er ärgerlich war. Auf seinen Ellbogen gestützt, betrachtete er sie lächelnd.
»Schlaf, Liebes«, flüsterte er.
Als sie wieder aufwachte, hätte sie meinen können, er habe sich nicht gerührt, denn er betrachtete sie noch immer. Sie lächelte ihn an.
Es war kühl, und der Morgen begann eben zu dämmern. Schlaftrunken drängte sie sich an ihn, und sie umschlangen einander mit ihren Armen.
Er hatte sie den kunstvollen Genuß gelehrt, den raffinierten Kampf mit seinen Finten, seinen Verzögerungen, seinen Verwegenheiten, das geduldige Werk, bei dem die beiden Körper sich gegenseitig dem Paroxysmus der Wollust entgegenführen. Als sie endlich voneinander ließen, erschöpft, gesättigt, stand die Sonne schon hoch am Himmel.
»Sollte man meinen, daß wir einen anstrengenden Tag vor uns haben?« fragte Angélique lachend.
Margot klopfte an die Tür.
»Madame, Madame, es ist Zeit! Die Kutschen fahren bereits zur Kathedrale, und Ihr werdet keinen Platz mehr finden, um den Aufzug zu sehen.«
Der Aufzug war klein. Sechs Personen bewegten sich zu Fuß durch die mit Teppichen belegte Straße. Aber was für Personen! Ihre Namen waren bereits im Buche der Geschichte vermerkt.
An der Spitze schritt der Kardinal Fürst Gondy, strahlend und feurig, der einstige Held der Fronde, dessen Anwesenheit an diesem schönen Tage den beiderseitigen Willen kundtat, jene traurigen Erinnerungen zu vergessen.
Dann kam Kardinal Mazarin in seinem fließenden Purpur.
In einigem Abstand folgte der König in einem Gewand aus Goldbrokat, dessen Glanz reiche schwarze Spitzen dämpften. Er wurde vom Marquis d’Humières und Péguillin de Lauzun begleitet.
Danach die Infantin, die neue Königin, unter einer von zwei Damen getragenen Krone, zur Rechten geführt von Monsieur, dem Bruder des Königs, zur Linken von ihrem Ehrenkavalier, Monsieur de Bernonville. Ihr Kleid war aus Silberbrokat, ihr Mantel aus violettem Samt mit aufgestickten goldenen Lilien. Der Mantel war an den Seiten sehr kurz gehalten, seine Schleppe jedoch maß zehn Ellen. Sie wurde von den jungen Kusinen des Königs getragen, Mesdemoiselles de Valois und d’Alençon, sowie der Fürstin Carignan.
Nur mühsam kam die funkelnde Gruppe in der engen Straße vorwärts, die Schweizergarden, französische Leibgardisten und Musketiere säumten.
Die Königin-Mutter, in ihre silberbestickten schwarzen Schleier gehüllt, folgte dem Paar, umgeben von ihren Damen. Den Abschluß bildete Mademoiselle de Montpensier, das große enfant terrible der Familie, in Schwarz gekleidet, aber mit zwanzig Perlenreihen behängt, was ein reichlich kokettes Trauergewand ergab.
Dank ihrer Protektion konnte Angélique alle noch folgenden Festlichkeiten aus der Nähe beobachten: die Trauung, das Festgelage, den Ball. Am Abend befand sie sich in dem langen Zug von Höflingen und Edelleuten, die sich nacheinander vor dem großen Bett verneigten, in dem der König und seine junge Gemahlin ruhten.
Unbeweglich wie Puppen lagen die beiden jungen Leute da, den Blicken der Menge ausgesetzt.
Wie nur würden diese Ehegatten, die sich bis gestern nicht gekannt hatten und die nun in all ihrer Pracht und steifen Würde wie aufgebahrt wirkten, wie würden sie sich einander zuwenden, einander umschlingen können, nachdem die Königin-Mutter dem Brauch gemäß die Vorhänge über das Prunkbett hatte fallen lassen? Angélique verspürte Mitleid mit der regungslosen Infantin, die angesichts der neugierigen Blicke ihre Jungmädchenverwirrung verbergen mußte. Vielleicht war sie aber auch von Kindheit an so sehr an den Zwang des Repräsentierens gewöhnt, daß sie gar nichts empfand. Dies hier bedeutete nichts anderes als einen weiteren Ritus. Man konnte sich getrost auf das bourbonische Blut Ludwigs XIV. verlassen. Während sie die Treppe wieder hinabstiegen, tauschten Edelleute und Damen gewagte Scherze.