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»Woher kommst du?«

»Von dort drüben«, sagte er mit einer unbestimmten Armbewegung. »Ich brauche ein Pferd. Sofort ein Pferd!«

Seine Zähne entblößten sich in einer wilden Grimasse.

»Mein Herr ist angegriffen worden«, flüsterte er, »und ich hatte meinen großen Säbel nicht bei mir. Oh, warum hatte ich ausgerechnet heute meinen großen Säbel nicht bei mir?«

»Angegriffen, Kouassi-Ba? Von wem?«

»Ich weiß nicht, Herrin. Wie soll ich es wissen, ich, ein armer Sklave? Ein Page brachte ihm ein Briefchen. Der Herr ist hingegangen. Ich bin ihm gefolgt. Es waren keine Leute im Hofjenes Hauses; nur eine Kutsche mit dunklen Vorhängen. Männer kamen heraus und umzingelten ihn. Der Herr zog seinen Degen. Weitere Männer kamen dazu und zerrten ihn in die Kutsche. Ich habe geschrien und mich an die Kutsche geklammert. Zwei Diener waren hinten aufgestiegen. Sie schlugen auf mich ein, bis ich zu Boden stürzte. Aber ich habe einen von ihnen mitgerissen und erdrosselt.«

»Du hast ihn erdrosselt?«

»Mit meinen Händen. So«, sagte der Schwarze, wobei er seine rosigen Handflächen wie eine Zange öffnete und schloß. »Die Sonne brannte zu sehr, und meine Zunge ist dicker als mein Kopf, so durstig bin ich.«

»Trink erst etwas, nachher wirst du reden.«

Sie folgte ihm in den Stall, wo er einen Eimer ergriff und lange trank.

»Jetzt«, sagte er, indem er sich die wulstigen Lippen wischte, »werde ich ein Pferd nehmen und ihnen nachsetzen. Ich werde sie alle mit meinem großen Säbel umbringen.«

Er schob das Stroh beiseite und holte seine wenigen Habseligkeiten hervor. Während er sein zerrissenes und beschmutztes Seidengewand auszog, um es mit einer einfacheren Dienerlivree zu vertauschen, machte Angélique das Pferd des Negers los. Die Strohhalme stachen in ihre nackten Füße, aber sie achtete nicht darauf. Es war ihr, als sei sie in einem quälenden Traum befangen, in dem alles zu langsam ging, viel zu langsam ... Sie lief ihrem Gatten entgegen, sie breitete die Arme nach ihm aus, aber nie mehr würde sie ihn umfangen können, nie mehr ...

Sie beobachtete, wie der schwarze Reiter davonstob. Die Hufe des Pferdes schlugen Funken auf den Pflastersteinen der Straße. Das Geräusch des Galopps verklang, während ein anderes Geräusch dem klaren Morgen entsproß: das der Glocken, die einen Dankgottesdienst einläuteten.

Die königliche Hochzeitsnacht ging zu Ende. Die Infantin Maria-Theresia war Königin von Frankreich.

Durch das blühende Land reiste der Hof nach Paris zurück.

Es war eine lange Karawane, die da mit ihren sechsspännigen Kutschen, ihren Gepäckwagen, ihren Lasttieren, ihren berittenen Lakaien und Leibwachen zwischen dem jungen Korn ihres Weges zog. An den Stadttoren warteten Abordnungen der Bürgerschaft und traten demütig an die Karosse des Königs heran, um ihm auf silberner Schale oder auf einem Samtkissen die Schlüssel darzureichen.

Sie zogen Bordeaux, Saintes und Poitiers vorüber, das die in diesem Trubel wie verlorene Angélique kaum erkannte.

Auch sie reiste mit dem Hof nach Paris.

»Da man Euch nichts sagt, tut so, als ob nichts wäre«, hatte Péguillin geraten. »Euer Gatte wollte nach Paris gehen, so geht auch Ihr dorthin. Alles wird sich dort klären. Vielleicht handelt es sich nur um ein Mißverständnis.«

»Aber was wißt Ihr, Péguillin?«

»Nichts, nichts ... ich weiß nichts.«

Er entfernte sich mit sorgenvoller Miene, um vor dem König den Hanswurst zu spielen.

Schließlich schickte Angélique, nachdem sie Andijos und Cerbaland gebeten hatte, sie zu begleiten, einen Teil ihres Trosses nach Toulouse zurück. Sie behielt nur eine Kutsche und einen Gepäckwagen, außerdem Margot, eine kleine Kindsmagd bei Florimond, drei Lakaien und die beiden Kutscher. Im letzten Augenblick baten der Perückenmacher Binet und der kleine Violinist Giovanni inständig, mitgenommen zu werden.

»Wenn der Herr Graf uns in Paris erwartet und ich nicht komme, wird er sehr ungehalten sein, das versichere ich Euch«, sagte François Binet.

»Paris kennenlernen, oh, Paris kennenlernen!« wiederholte der junge Musikus. »Wenn es mir gelingt, dort dem Hofkomponisten des Königs, Baptiste Lully, zu begegnen, von dem man so viel redet, dann wird er mich gewiß beraten, und ich werde ein großer Künstler.«

»Also gut, steig ein, großer Künstler!« gab Angélique am Ende nach.

Sie bewahrte ihr Lächeln und beherrschte sich, indem sie sich an die Worte Péguillins klammerte: »Vielleicht ist es nur ein Mißverständnis.« Abgesehen von der Tatsache, daß Graf Peyrac spurlos verschwunden war, schien sich tatsächlich nichts geändert zu haben; nichts verlautete, daß er in Ungnade gefallen war.

Die Grande Mademoiselle ließ keine Gelegenheit zu einem freundschaftlichen Gespräch mit der jungen Frau ungenutzt. Sie, die ein völlig naiver Mensch ohne jede Verstellung war, hätte nicht zu heucheln vermocht.

Hie und da erkundigte sich jemand auf ungezwungene Weise nach Monsieur de Peyrac. Angélique erklärte schließlich, er sei nach Paris vorausgefahren, um ihre Ankunft vorzubereiten. Bevor sie jedoch Saint-Jean-de-Luz verließ, bemühte sie sich vergeblich, Monseigneur de Fontenac zu begegnen. Er war nach Toulouse zurückgekehrt.

In manchen Augenblicken glaubte sie, geträumt zu haben, und schalt sich eine Närrin. Vielleicht war Joffrey ganz einfach in Toulouse .?

Aber in der Gegend von Dax, als man die sandige und heiße Provinz des Landes durchquerte, brachte sie ein schauerlicher Zwischenfall in die tragische Wirklichkeit zurück. Die Bewohner eines Dorfs meldeten sich und fragten, ob ein paar Leute der Leibwache ihnen bei einer Treibjagd helfen könnten, die sie auf ein schwarzes blutrünstiges Ungeheuer veranstalten wollten.

Andijos galoppierte zu Angélique und flüsterte ihr zu, es handele sich zweifellos um Kouassi-Ba.

Sie verlangte die Leute zu sehen. Diese bestärkten die junge Frau in ihren Befürchtungen. Ja, vor zwei Tagen hätten sie Schreie und Schüsse auf der Straße gehört. Als sie an Ort und Stelle angelangt seien, hätten sie gesehen, wie ein Reiter mit schwarzem Gesicht, der einen gekrümmten Säbel schwang, wie die Türken sie tragen, eine Kutsche attackierte. Glücklicherweise hätten die Leute von der Kutsche eine Pistole besessen. Der schwarze Mann müsse verwundet worden sein und sei davongelaufen.

»Wer waren die Leute dieser Kutsche?« fragte Angélique.

»Wir wissen es nicht«, erwiderte sie. »Die Vorhänge waren zugezogen. Wir sahen nur zwei Männer, die die Eskorte bildeten. Sie gaben uns ein Geldstück, damit wir den begraben sollten, dem das Ungeheuer den Kopf abgehauen hatte.«

»Den Kopf abgehauen?« wiederholte Andijos entsetzt.

»Jawohl, Herr, und mit einem solchen Schwung, daß wir ihn im Graben suchen mußten, in den er gerollt war.«

In der folgenden Nacht, in der die Insassen der meisten Equipagen sich gezwungen sahen, in den Dörfern der Umgebung von Bordeaux zu kampieren, hörte Angélique im Schlaf abermals den düsteren Ruf:

»Médême! Médême!«

Sie wurde unruhig und wachte endlich auf. Ihr Bett war im einzigen Raum eines Bauernhauses aufgestellt worden, dessen Bewohner im Stall schliefen. Florimonds Wiege stand vor dem Herd. Margot und die kleine Magd hatten sich auf einem Strohsack ausgestreckt.

Angélique sah, daß Margot aufgestanden war und sich nun eilig einen Rock überstreifte.

»Wohin gehst du?«

»Es ist Kouassi-Ba, ich bin dessen ganz sicher«, flüsterte die Zofe. Und schon war Angélique aus dem Bett gesprungen.

Vorsichtig öffneten die beiden Frauen die wacklige Tür. Glücklicherweise war die Nacht sehr finster.

»Kouassi-Ba, komm!« flüsterten sie.

Ein mächtiger, schwankender Körper stolperte über die Schwelle. Sie hießen ihn, sich auf eine Bank setzen. Seine Kleider waren blutbespritzt. Seit drei Tagen irrte er verwundet durch die Gegend.