Выбрать главу

Lauzun näherte sich ihr grüßend. Er schilderte den Unfall, den Madame de Peyrac erlitten hatte, und erklärte, es werde noch ein Weilchen dauern, bis man ihre Kutsche aufgerichtet und wieder in Ordnung gebracht habe.

»Aber so soll sie doch bei uns einsteigen!« rief die Grande Mademoiselle. »Mein kleiner Péguillin, holt sie schleunigst. Kommt, meine Liebe, wir haben noch eine ganze Bank frei. Da werdet Ihr es mit Eurem Kindchen sehr bequem haben. Das arme Engelchen! Das arme Schätzchen!«

Sie war selbst Angélique beim Einsteigen und Platznehmen behilflich.

»Ihr seid verletzt, meine arme Freundin. Sobald wir wieder haltmachen, werde ich Euch meinen Arzt schicken.«

Mit Entsetzen stellte die junge Frau fest, daß die Person, die im Fond neben Mademoiselle saß, niemand anders als die Königin-Mutter war.

»Eure Majestät mögen mir verzeihen«, murmelte sie.

»Ihr braucht nicht um Verzeihung zu bitten, Madame«, erwiderte Anna von Österreich huldvoll. »Mademoiselle hatte hundertmal recht, Euch aufzufordern, unsern Wagen zu teilen. Die Bank ist bequem, und Ihr werdet Euch hier rascher von Eurer Aufregung erholen. Was mich verdrießt, ist die Sache mit den bewaffneten Männern, die Euch überfallen haben.«

»Mein Gott! Womöglich hatten es die Männer auf die Person des Königs oder der Königin abgesehen«, rief Mademoiselle mit gerungenen Händen. »Ihre Wagen werden von Wachen beschützt, und ich glaube, wir brauchen uns um sie nicht zu sorgen. Gleichwohl werde ich mit dem Polizeileutnant reden.«

Angélique spürte jetzt die Wirkung des erlittenen Schocks. Sie merkte, daß sie sehr blaß wurde, schloß die Augen und stützte den Kopf auf die gutgepolsterte Lehne der Bank. Der Mann hatte aus nächster Nähe auf die Fensterscheibe gezielt. Wie durch ein Wunder war keiner der Insassen verletzt worden. Sie drückte Florimond an sich. Durch die dünnen Kleider des Kindes spürte sie, daß es abgemagert war, und sie machte sich Vorwürfe. Es war erschöpft vom dauernden Reisen. Seitdem man es von seiner Amme und dem kleinen Negerknaben getrennt hatte, jammerte es und verweigerte die Milch, die Margot sich in den Dörfern verschaffte. Es wimmerte im Schlaf, und Tränen hingen in den langen, schwarzen Wimpern, die seine blaßgewordenen Wangen beschatteten. Es hatte einen winzigen Mund, rund und rot wie eine Kirsche.

Sanft betupfte Angélique mit ihrem Taschentuch die weiße, gewölbte Stirn, auf der der Schweiß perlte. Und plötzlich mußte sie zwischen den beiden versöhnten Gegnerinnen von einst an die Briefe denken, die der kleine, vergessene Kasten im Türmchen des Schlosses Plessis barg. Würde deren Wiederauftauchen nicht genügen, um von neuem die große Feuersbrunst ausbrechen zu lassen, deren Flammen nur darauf warteten, emporlodern zu können .?

Es schien Angélique, als habe sie das Kästchen in ihrem eigenen Innern aufbewahrt und als laste es jetzt wie Blei auf ihrem Leben. Sie ließ ihre Augen geschlossen. Sie fürchtete, man könne seltsame Bilder in ihnen vorbeiziehen sehen: den Fürsten Condé, der sich über das Giftfläschchen beugte oder den Brief las, den er eben unterschrieben hatte: »An Monsieur Fouquet . Ich verpflichte mich, einzig ihm ergeben zu sein, nur ihm zu dienen .«

Angélique fühlte sich einsam. Sie konnte sich niemandem anvertrauen. Die angenehmen Hofbekanntschaften erwiesen sich nun als wertlos. Jeder gierte nach Protektion, nach Vorteilen und würde sich beim geringsten Anzeichen von Ungnade von ihr abwenden. Bernard d’Andijos war ergeben, aber oberflächlich! Kaum vor den Toren von Paris angekommen, würde man ihn nicht mehr zu sehen bekommen, denn er würde am Arm seiner Mätresse, Mademoiselle de Mortemart, zu den Hofbällen gehen und in Gesellschaft von Gaskognern sich nächtelang in den Schenken und Spielhäusern herumtreiben.

Im Grunde war es gleichgültig. Es kam vor allem darauf an, Paris zu erreichen. Dort würde man wieder Boden unter die Füße bekommen. Angélique würde das schöne Palais beziehen, das Graf Peyrac im Stadtteil Saint-Paul besaß. Dann würde sie Nachforschungen anstellen und die nötigen Schritte tun, um herauszubekommen, was aus ihrem Gatten geworden war.

»Wir werden vor Mittag in Paris sein«, informierte sie Andijos, als sie am nächsten Morgen mit Florimond wieder in ihrer Kutsche Platz nahm, deren durch den Unfall hervorgerufene Schäden inzwischen behoben worden waren. Der Gedanke, daß Paris bald erreicht sein würde, versetzte sie in angeregte Stimmung. Der Morgen war so klar, ein richtiger frischer und würziger Ile-de-France-Morgen. Schon herrschte reges Leben auf den Straßen und ließ die Nähe der großen Stadt ahnen. Die Schlösser und Lusthäuser, beschützt von Gittertoren am Ende kurzer Alleen, wurden zahlreicher. Gemüse- und Obstgärten drängten sich um Gebäude, um einen Bauernhof oder ein kleines Wohnhaus - die letzteren wurden zunehmend häufiger und schlossen sich zu Weilern, zu Dörfern zusammen, die bald ohne Unterbrechung einander folgten.

Angélique glaubte sich bereits in Paris, als man noch die Vororte durchquerte. Und als sie endlich die Porte Saint-Honoré hinter sich gelassen hatte, war sie enttäuscht über die engen und schmutzigen Straßen. Die Rufe der Händler und vor allem der Kutscher, der Lakaien, die den Equipagen und Sänftenträgern vorauszogen, hoben sich vom dumpfen Grollen des allgemeinen Lärms ab, das ihr wie das erste Donnerrollen eines noch fernen Gewitters vorkam. Die Luft war glühend und mit Gestank erfüllt.

Angéliques Kutsche, von Bernard d’Andijos zu Pferde eskortiert und dem Gepäckwagen mit den Lakaien gefolgt, brauchte über eine Stunde bis Saint-Paul. Schließlich bog man in die Rue de la Tournelle ein.

Die Müßiggänger gafften die vorbeifahrende Equipage an und spähten nach dem Wappen, das auf den Wagenschlag gemalt war. Einige wichen wie von Entsetzen gepackt zurück. Kinder rannten davon, liefen schreiend in die Kaufläden, kamen wieder heraus und deuteten aufWagen und Reiter.

Angélique, aufs höchste gespannt, bemühte sich, zwischen den neuen Häusern das ihrige zu entdek-ken, und achtete nicht auf das, was da vorging. Doch als die Kutsche durch einen Heuwagen aufgehalten wurde und vor dem Laden eines Kurzwarenkrämers stehenblieb, hörte sie den Mann von der Schwelle aus rufen: »Der Teufel hat es mit diesem Wappen!«

Dann verschwand er hastig in seinem Laden und verschloß geräuschvoll die Tür.

»Die Leute dieser Straße scheinen uns für Zigeuner zu halten«, bemerkte die Zofe Margot mit zusammengekniffenen Lippen. »Ich bedaure, daß der Herr Graf sein Palais nicht im neuen Stadtteil Luxembourg hat errichten lassen, wo ich früher bei einer inzwischen verstorbenen Tante des Grafen in Stellung war.«

»Hält sich Kouassi-Ba noch unter seiner Plane versteckt? Vielleicht ist es sein Barbarenkopf, der die Leute erschreckt?«

»Das beweist, daß sie selber Barbaren sind, wenn sie noch nie einen Mohren gesehen haben.«

Die Equipage hatte vor einem großen Tor aus hellem Holz mit Türklopfer und Schlössern aus Schmiedeeisen gehalten. Hinter der weißen Steinmauer des Vorhofs erhob sich das Palais, das in modernem Stil aus großen, behauenen Quadern errichtet war, mit hohen, blinkenden Fenstern und einem Dach aus neuen, in der Sonne matt schimmernden Schieferplatten. Ein Lakai öffnete den Wagenschlag.

»Hier ist es, Madame«, sagte der Marquis d’Andijos. Er blieb zu Pferde und starrte wie versteinert auf das Tor.

Angélique stieg aus und lief auf das Häuschen zu, das vermutlich dem Pförtner als Wohnung diente. Zornig zog sie an der Glocke. Es war unerhört, daß noch niemand es für nötig befunden hatte, das Haupttor zu öffnen. Die Glocke schien in der Öde zu verhallen. Die Fenster der Pförtnerwohnung waren schmutzig. Alles wirkte wie ausgestorben.

Nun erst fiel Angélique das merkwürdige Aussehen des Portals auf, das Andijos noch immer wie vom Blitz getroffen anstarrte.

Sie trat näher. Ein Geflecht roter Schnüre hing querüber an dicken Siegeln aus verschiedenfarbigem Wachs. Ein gleichfalls an Siegeln befestigtes Blatt Papier bildete einen weißen Fleck.