»Gehängt?« rief Angélique entsetzt aus.
»Freilich! Auf der Place de Grève finden die Hinrichtungen statt. Von meiner Dachstube aus, die genau hier drüber liegt, entgeht mir keine einzige, wenn es auch ein bißchen weit entfernt ist. Das Hängen ist mir noch das liebste, weil ich ein empfindsames Herz habe. Und es ist das Übliche, aber ich habe auch zwei Köpfe mit dem Beil abhauen sehen und einen Scheiterhaufen für einen Hexenmeister.«
Angélique erschauerte und wandte sich ab. Der Ausblick aus ihrem Fenster kam ihr mit einem Male weniger lieblich vor.
Nachdem Angélique sich einigermaßen elegant gekleidet hatte, da sie in die Tuilerien zu gehen gedachte; bat sie Margot, ihren Umhang zu nehmen und sie zu begleiten. Die Kindsmagd würde Florimond hüten, und Barbe sollte auf beide ein wachsames Auge haben. Angélique war froh, das Hausmädchen zur Verbündeten zu haben, denn das war Hortenses wegen sehr wichtig, die wenig Hilfe hatte. Außer Barbe gab es nur ein Küchenmädchen und einen Hausburschen, der das Wasser und das Holz für die Feuer im Winter besorgte, sich um die Kerzen kümmerte und die Böden auf wusch.
»Eure Dienerschaft wird bald nicht mehr sehr stattlich sein«, bemerkte die große Margot mit verächtlich verzogenem Mund. »Was ich befürchtete, ist eingetreten, Madame. Euer Diener- und Kutscherpack hat sich davongemacht, und es ist niemand mehr da, um Eure Kutsche zu fahren und Eure Pferde zu versorgen.«
Nach der ersten Verblüffung heiterte sich Angéliques Miene auf.
»Eigentlich ist das ganz gut so. Ich habe nur viertausend Livres bei mir. Ich will zwar Monsieur d’Andijos nach Toulouse schicken, damit er mir Geld bringt, aber inzwischen und da man nicht weiß, was die Zukunft bringt, ist es mir lieb, daß ich diese Leute nicht zu bezahlen brauche. Ich werde meine Pferde und meine Kutsche an den Besitzer des öffentlichen Stalls verkaufen, und wir gehen eben zu Fuß. Ich habe große Lust, mir die Kaufläden anzuschauen.«
»Madame macht sich keine Vorstellung von dem Schmutz auf den Straßen. An manchen Stellen versinkt man bis zum Knöchel im Morast.«
»Meine Schwester hat mir gesagt, daß man sehr bequem geht, wenn man Schuhe mit Holzsohlen anzieht. Komm, Margot, Liebe, brumme nicht, wir wollen uns Paris anschauen. Ist das nicht herrlich?«
Im Vestibül fand Angélique François Binet, Kouassi-Ba und den kleinen Musikanten vor.
»Ich danke Euch für Eure Treue«, sagte sie bewegt zu dem Barbier und Giovanni, »aber ich glaube, wir müssen uns trennen, denn ich kann Euch künftig nicht mehr in meinem Dienst behalten. Binet, soll ich dich Mademoiselle de Montpensier empfehlen? In Anbetracht des Erfolgs, den du in Saint-Jean-de-Luz bei ihr hattest, bin ich sicher, daß sie eine Beschäftigung für dich finden oder dich an einen Edelmann weiterempfehlen wird.«
Zu ihrer großen Verwunderung lehnte der junge Mann das Angebot ab.
»Ich danke Euch für Eure Güte, Madame, aber ich glaube, ich werde mich ganz bescheiden einem Barbiermeister verdingen.«
»Du«, protestierte Angélique, »der du bereits der größte Barbier und Perückenmacher von Toulouse warst?«
»Ich kann leider keine bessere Stelle in dieser Stadt finden, in der die Zünfte keinen Fremden zulassen.«
»Aber am Hof.«
»Um die Gunst der Großen zu gewinnen, braucht man einen langen Atem, Madame. Es ist nicht gut, wenn man mit einem Schlag im vollen Licht steht, zumal wenn es sich um einen bescheidenen Handwerker wie mich handelt. Es bedarf nur einer Geringfügigkeit, eines Worts, einer giftigen Anspielung, und man stürzt vom höchsten Gipfel in ein größeres Elend, als man es je erfahren hätte, wäre man bescheiden im Schatten geblieben. Die Gunst der Fürsten ist so trügerisch, daß ein Ruhmestitel zugleich auch Euren Untergang bedeuten kann.«
Sie sah ihn prüfend an. »Du willst ihnen Zeit lassen zu vergessen, daß du der Barbier des Grafen Peyrac warst?«
Er schlug die Augen nieder.
»Ich selbst werde das nie vergessen, Madame. Sobald mein Herr über seine Feinde triumphiert hat, wird es für mich nur noch ein Ziel geben, nämlich ihm aufs neue zu dienen. Aber ich bin nur ein einfacher Barbier.«
»Du hast recht, Binet«, sagte Angélique lächelnd. »Deine Offenheit gefällt mir. Es hat keinen Sinn, dich in unser Mißgeschick zu verwickeln. Hier sind hundert Silberstücke, und ich wünsche dir viel Glück.«
Derjunge Mann dankte, nahm seinen Barbierkasten und verließ unter vielen Bücklingen das Haus.
»Und du, Giovanni, soll ich versuchen, dich mit Monsieur Lully bekannt zu machen?«
»O ja, Herrin, o ja!«
»Und du, Kouassi-Ba, was willst du tun?«
»Ich will mit dir Spazierengehen, Médême.«
Angélique lächelte.
»Gut denn, so kommt beide mit. Wir gehen in die Tuilerien.«
In diesem Augenblick öffnete sich eine Tür, und Maître Fallot streckte seine schöne, braune Perücke durch die Spalte.
»Ich höre Eure Stimme, Madame, und ich war gerade auf der Suche nach Euch, um Euch um eine kurze Unterredung zu bitten.«
Angélique bedeutete den drei Dienstboten, auf sie zu warten.
»Ich stehe zu Eurer Verfügung, Monsieur.«
Sie folgte ihm in die Kanzlei, wo Schreiber und Aktuare bei der Arbeit waren. Der fade Tintengeruch, das Kratzen der Gänsekiele, das gedämpfte Licht, die schwarze Kleidung dieser geschäftigen Leute machten aus diesem Raum keine ausgesprochen freundliche Stätte. An den Wänden hing eine Menge schwarzer Beutel, die die Akten der einzelnen Fälle enthielten.
Maître Fallot führte Angélique in ein anstoßendes kleines Büro, in dem sich jemand erhob. Der Staatsanwalt stellte vor:
»Monsieur Desgray, Advokat. Monsieur Desgray wäre bereit, Euch in der schwierigen Angelegenheit Eures Gatten zu beraten.«
Angélique musterte bestürzt ihr Gegenüber. Das sollte der Advokat des Grafen Peyrac werden? Ein fadenscheinigerer Rock, ein verschlisseneres Hemd, ein kläglicherer Filzhut hätte sich kaum auftreiben lassen. Der Staatsanwalt, der gleichwohl in ehrerbietigem Ton mit ihm redete, wirkte neben ihm geradezu luxuriös gekleidet. Der arme Mann trug nicht einmal eine Perücke, und seine langen Haare schienen aus der gleichen braunen und rauhen Wolle wie sein Gewand zu bestehen. Trotz seiner in die Augen fallenden Armut war ihm dennoch eine starke Selbstsicherheit eigen.
»Madame«, erklärte er sofort, »wir wollen weder in der Zukunft noch in der bedingten Form reden; ich stehe zu Eurer Verfügung. Nun vertraut mir ohne Scheu an, was Ihr wißt.«
»Mein Gott, Herr Advokat«, erwiderte Angélique einigermaßen kühl, »ich weiß nichts oder fast nichts.«
»Um so besser, dann gehen wir jedenfalls nicht von falschen Vermutungen aus.«
»Immerhin gibt es eine sichere Tatsache«, mischte sich Maître Fallot ein.
»Den vom König unterzeichneten Verhaftbefehl.«
»Sehr richtig, Maître. Der König. Vom König müssen wir ausgehen.«
Der junge Advokat faßte sich ans Kinn und runzelte die Stirn.
»Nicht eben günstig. Als Anhaltspunkt einer Fährte kann man kaum höher greifen.«
»Ich habe die Absicht, Mademoiselle de Montpen-sier aufzusuchen, die Base des Königs«, sagte Angélique. »Vielleicht kann ich von ihr genauere Auskünfte bekommen, besonders wenn es sich um eine Hofkabale handelt, wie ich vermute. Und über sie kann ich möglicherweise bis zu Seiner Majestät vordringen.«
»Mademoiselle de Montpensier, pah!« machte der andere mit verächtlicher Miene. »Diese lange Hopfenstange ist eine ungeschickte Person, die alles verdirbt. Vergeßt nicht, Madame, daß sie eine Anhängerin der Fronde war und auf die Truppen ihres königlichen Vetters schießen ließ. Aus diesem Grunde wird sie bei Hofe immer verdächtig bleiben. Im übrigen ist der König neidisch auf ihren ungeheuren Reichtum. Sie wird bald einsehen, daß es nicht in ihrem Interesse liegt, sich den Anschein zu geben, einen in Ungnade gefallenen Edelmann zu stützen.«