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»Ich glaube und ich habe es auch immer sagen hören, daß die Grande Mademoiselle ein gutes Herz hat.«

»Gebe der Himmel, daß sie es Euch beweist, Madame. Als Pariser Kind setze ich kein allzu festes Vertrauen in die Herzen der Großen, die das Volk mit den Früchten ihrer Zwistigkeiten nähren. Aber unternehmt ruhig diesen Schritt, Madame, wenn Ihr ihn für nützlich haltet. Ich empfehle Euch jedoch, Euch Mademoiselle wie auch allen anderen hohen Persönlichkeiten gegenüber eines sachlichen Tons zu befleißigen, ohne auf die Ungerechtigkeit Nachdruck zu legen, die Euch zugefügt worden ist.«

»Habe ich es nötig, mir von einem kleinen Advokaten mit durchgetretenen Schuhen sagen zu lassen, wie man mit den Leuten vom Hof redet?« sagte sich Angélique ärgerlich.

Trotzdem zog sie ihre Geldbörse hervor und entnahm ihr einige Silberstücke.

»Hier ist ein Vorschuß auf die Unkosten, die Euch durch Eure Nachforschungen entstehen könnten.«

»Ich danke Euch, Madame«, erwiderte der Advokat und steckte die Geldstücke, nachdem er einen Blick auf sie geworfen hatte, befriedigt in einen Lederbeutel, den er an seinem Gürtel trug und der sehr flach wirkte.

Darauf verbeugte er sich sehr höflich und ging hinaus.

Sofort sprang eine große Dogge mit weißem, braungesprenkeltem Fell auf, die geduldig an der Hausecke gewartet hatte, und heftete sich an die Fersen des Advokaten. Dieser, die Hände in den Taschen, entfernte sich lustig pfeifend.

»Dieser Mann flößt mir wenig Vertrauen ein«, sagte Angélique zu ihrem Schwager. »Ich halte ihn für einen Schwätzer und zugleich für einen unfähigen Großtuer.«

»Er ist ein überaus tüchtiger Bursche«, versicherte der Staatsanwalt, »aber er ist arm ... wie viele seinesgleichen. Es gibt in Paris unzählige Advokaten ohne Mandanten. Dieser da muß seine Praxis von seinem Vater geerbt haben, denn er hätte sie nicht kaufen können. Aber ich habe ihn Euch empfohlen, weil ich einerseits seine Intelligenz schätze und weil er andererseits nicht viel von Euch verlangen wird. Mit der kleinen Summe, die Ihr ihm gegeben habt, wird er Wunder ausrichten.«

»Die Geldfrage darf keine Rolle spielen. Wenn es nötig ist, werden die berühmtesten Advokaten meinem Manne Beistand leisten.«

Maître Fallot warf einen zugleich hochmütigen und listigen Blick auf Angélique.

»Habt Ihr ein unerschöpfliches Vermögen zu Eurer Verfügung?«

»Hier nicht, aber ich werde den Marquis d’Andijos nach Toulouse schicken. Er wird unseren Bankier aufsuchen und ihn beauftragen, falls ich sofort flüssiges Geld brauche, ein paar Ländereien zu verkaufen.«

»Fürchtet Ihr nicht, Euer toulousanischer Besitz könne beschlagnahmt und versiegelt sein wie Euer Palais in Paris?«

Angélique starrte ihn entsetzt an; daran hatte sie noch nicht gedacht.

»Das ist unmöglich«, stammelte sie. »Weshalb sollte man das getan haben? Warum sollte man uns so hartnäckig verfolgen? Wir haben niemandem ein Unrecht zugefügt.«

Der Staatsanwalt machte eine salbungsvolle Gebärde.

»Ach, Madame! Gar viele Leute, die in diese Kanzlei kommen, äußern die gleichen Worte. Wenn man ihnen so zuhört, könnte man glauben, niemand füge je einem andern ein Unrecht zu. Und dennoch gibt es immer wieder Prozesse .«

»Und Arbeit für die Staatsanwälte«, dachte Angélique.

Mit dieser neuerlichen Unruhe im Herzen hatte sie wenig Sinn für den Spaziergang, der sie durch die Rue de la Colombe, die Rue des Marmousets und die Rue de la Lanterne vor den Justizpalast führte. Sie folgten dem Quai de l’Horloge und erreichten den Pont-Neuf am äußersten Ende der Insel. Seine Belebtheit begeisterte die Dienstboten. Kleine fliegende Kramläden drängten sich um die Bronzestatue des guten Königs Heinrich IV., und tausend Rufe priesen eine Unmenge der verschiedenartigsten Waren an. Hier war es ein wunderwirkendes Pflaster, dort zog man schmerzlos Zähne, dort wurden Bücher verkauft, dort Spielzeug, dort Halsketten aus Schildkrot gegen Leibschmerzen. Man hörte Trompeten blöken und Spieldosen schnarren. Eine abgezehrte, in ein vertragenes Kostüm gekleidete Gestalt schob Angélique ein Stück Papier in die Hand und verlangte zehn Sols dafür. Sie gab sie ihr mechanisch und steckte das Blatt in die Tasche. Dann forderte sie ihre Trabanten auf, sich etwas mehr zu beeilen.

Sie war nicht in der Stimmung, dieses lärmende Treiben zu genießen. Überdies wurde sie bei jedem Schritt von Bettlern aufgehalten, die plötzlich vor ihr auftauchten und auf eine eitrige Wunde deuteten, oder von zerlumpten Weibern, die Kinder auf dem Arm trugen, deren schorfige Gesichter von Fliegen bedeckt waren. Sie traten aus dem Schatten der Toreinfahrt, aus dem Winkel eines Kaufladens, tauchten über den Uferböschungen auf und stießen jammernde Rufe aus, die alsbald einen drohenden Ton annahmen.

Schließlich fühlte sich Angélique angeekelt, und da sie auch keine Münzen mehr hatte, wies sie Kouassi-Ba an, das Bettelvolk zu verjagen. Sofort fletschte der Schwarze seine Kannibalenzähne und drohte einem an Krücken humpelnden Manne, der eben auf sie zukam, worauf dieser sich mit erstaunlicher Behendigkeit aus dem Staube machte.

»Das hat man davon, wenn man wie ein armer Schlucker zu Fuß geht«, bemerkte die große Margot in beleidigtem Ton.

Der kleine Trupp durchschritt die endlose Galerie des Louvre, die das Königsschloß mit der Tuilerien-Residenz verbindet.

Eben erst vollendet und aus scharfkantigen Steinen von zartem Grau gefügt, das mit dem Pariser Himmel übereinstimmt, entfaltete die große, an der Wasserseite gelegene Galerie ihre abwechselnd dreieckigen und runden Giebel, ihre regelmäßige, schlichte, nur von griechischen Pilastern mit Akanthusblättern belebte Fassade.

Angélique, die für so strenge Reize nicht recht empfänglich war, fand vor allem, daß dieses lange Gemäuer kein Ende nahm. Es kam ihr düster vor. Es hieß, die lange Galerie sei von Karl IX. erbaut worden, dem verbrecherischen König, der darauf bedacht gewesen war, im Falle eines Aufruhrs aus Paris fliehen zu können, ohne seinen Palast verlassen zu müssen. Tatsächlich konnte er über die große Galerie vom Louvre in den Stall der Tuilerien gelangen, sich dort aufs Pferd schwingen und durch die Pforte Saint-Honoré sofort das freie Feld erreichen.

Angélique stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, als sie endlich den Tour du Bois erblickte, den zerfallenden und von Efeu bedeckten Überrest der Stadtmauer des alten Paris. Kurz danach tauchte der Pavillon de Flore auf, der die Galerie abschloß und sie in rechtem Winkel mit dem Tuilerien-Schloß verband.

Die Luft wurde kühler. Ein leichter Wind erhob sich von der Seine und verwehte die übelriechenden Ausdünstungen der Stadt.

Endlich betrat man die Tuilerien, den mit tausend Ornamenten verzierten, mit einer mächtigen Kuppel und kleinen Hauben versehenen Palast, eine Sommerresidenz von weiblicher Grazie, denn sie war für eine Frau erbaut worden, für Katharina von Mediä, die prunkliebende Italienerin.

Hier hieß man sie warten. Die Grande Mademoiselle war zum Luxembourg gefahren, um ihren Einzug vorzubereiten, denn Monsieur, der Bruder des Königs, war entschlossen, sie aus den Tuilerien zu vertreiben, in denen sie doch schon seit Jahren wohnte. Er hatte sich mit seinem gesamten Gefolge in einem Flügel des Palastes niedergelassen. Mademoiselle hatte ihn freimütig einen infamen Intriganten genannt, worauf es zu einem großen Gezeter gekommen war. Schließlich gab Mademoiselle wie immer nach. Sie war eben wirklich zu gutmütig.

Monsieur de Préfontaines, ihr Kammerherr, der Angélique all dies anvertraute, schlug die Augen zum Himmel auf und bat die junge Frau, in einem kleinen Salon Platz zu nehmen, dessen Fenster nach den Tuileriengärten gingen; dann fuhr er mit seinen Klagen fort. Ach, das war ja noch nicht alles! Mademoiselle wünschte sich durch Augenschein von der Vermögenslage ihres verstorbenen Vaters zu überzeugen. Vor drei Tagen war man zurückgekehrt, und seitdem lief sie mit einem Schwarm von Advokaten und Aktuaren herum und vertiefte sich in alte Aktenstücke, als habe sie den Ehrgeiz, Kanzleiangestellte eines Anwalts zu werden.