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»Ich hatte vergessen, daß das Rennen übertragen wird«, sagte ich, unbeeindruckt.

»O ja«, meinte Tick-Tock, »und der große Mann ist auch hier, der einzige, einmalige Mr. Kemp-Lore. Kommt mir vor wie Blätterteig, der Bursche.«

»Wieso denn?« fragte ich.

»Steigt schnell hoch. Aber geschmackvoll, Freundchen, und bedeutsam.« Ich lachte.

Wir traten zu Corin, der uns die Anweisungen für das Rennen gab. Tick-Tocks Pferd taugte etwas, aber ich erhielt wie üblich einen Gaul, von dem man wenig erwartete, zu Recht, wie sich herausstellte. Wir kamen weit abgeschlagen als letzte durchs Ziel, und die an der Tafel hochgezogene Nummer sagte mir, daß Corins anderes Pferd gewonnen hatte.

Corin, Tick-Tock und der Pferdebesitzer versicherten sich auf dem Siegerplatz gegenseitig, wie tüchtig der Falbe sei, als ich mit dem Sattel zum Wiegeraum ging, aber Corin packte mich beim Arm und bat mich, sofort wieder herauszukommen, sobald ich Sattel und Helm abgelegt habe, weil ich ihm sagen sollte, wie das Pferd gegangen sei.

Als ich wieder herauskam, unterhielt er sich mit einem Mann, der mir den Rücken zuwandte. Ich blieb in einiger Entfernung stehen, weil ich nicht stören wollte, aber Corin sah mich und winkte. Ich ging hinüber.

Der Mann drehte sich um. Er war Anfang Dreißig, schätzte ich. Mittelgroß, schlank, mit regelmäßigen Zügen und blondem Haar. Es ist und bleibt aufregend, zum erstenmal einem Mann gegenüberzutreten, dessen Gesicht so vertraut ist wie das des eigenen Bruders. Es war Maurice Kemp-Lore.

Das Fernsehen schmeichelt niemandem. Es läßt den Körper dicker und die Persönlichkeit flacher erscheinen, so daß ein Star, der auf dem kleinen Bildschirm ankommen will, im wirklichen Leben geradezu überwältigen muß, und Kemp-Lore machte da keine Ausnahme. Der Charme, der sich in seiner Sendung nur nach längerem Zusehen geltend machte, wirkte zwingend, sobald man ihm persönlich be-gegnete. Strahlende blaue Augen sahen mich aus einem markanten, sonnengebräunten Gesicht an; sein Händedruck war fest und kühl, sein Lächeln, ansteckend und liebenswürdig, verriet seine Freude, mich kennenzulernen. Aber ich wußte, es war eine berufliche Freude, und noch während meine erfreute Reaktion eintrat, begriff ich, daß die Wirkung, die er auf mich ausübte, bewußt erzeugt war. Sein Berufstrick. Alle guten Interviewer wissen, wie man anderen Leuten Selbstvertrauen einflößen muß, damit sie in bestem Licht erscheinen, und Kemp-Lore war Meister seines Faches. Langweilige Menschen hatten sich in seiner Sendung als Witzbolde erwiesen, schweigsame als gesprächige, bigotte als vernünftige.

»Ich sehe, daß Sie letzter gewesen sind«, sagte er. »Pech.«

»Schlechtes Pferd«, antwortete Corin, durch Kemp-Lores Anwesenheit in gute Stimmung versetzt .

»Ich wollte schon lange Zeit eine Sendung über - wenn Sie mir das verzeihen - einen erfolglosen Jockei machen.« Sein Lächeln nahm den Worten jede Anzüglichkeit. »Oder wenigstens über einen Jockei, der noch nicht erfolgreich ist. Vielleicht klingt das gerechter, finden Sie nicht?« Er blinzelte mir zu. »Wären Sie bereit, in meiner Sendung aufzutreten und den Zuschauern zu erzählen, was für ein Leben Sie führen? Ich denke da an Ihre finanzielle Position, an die Notwendigkeit, sich auf zufällige Aufträge zu verlassen, die Unsicherheit ... und dergleichen. Nur um einmal dem Publikum die Kehrseite der Medaille zu zeigen. Man weiß alles über große Rennstallbesitzer, gewichtige Geschenke und Jockeis, die bedeutende Rennen gewinnen. Ich möchte zeigen, wie ein Jockei, der selten auch nur ein unwichtiges Rennen gewinnt, sich seinen Lebensunterhalt verdienen kann. Den Jockei am Rand des großen Geldverdienens.« Er lächelte strahlend.

»Wollen Sie mitmachen?«

»Ja«, sagte ich, »gewiß. Aber ich bin da eigentlich nicht typisch, ich ...«

»Erzählen Sie mir jetzt noch nichts«, unterbrach er mich. »Ich weiß genug über Ihre Laufbahn, um Sie für das, was ich vorhabe, auf dem richtigen Platz zu sehen, aber ich ziehe es immer vor, die Antworten auf meine Fragen erst bei der Sendung selbst zu erfahren. Das Ganze wirkt dann spontaner. Ich habe festgestellt, daß die Sendung steif und wenig überzeugend wirkt, wenn ich mit meinem Gesprächspartner vorher probe, was wir sagen wollen. Statt dessen schicke ich Ihnen eine Liste von Fragen, die ich stellen möchte, und Sie können sich Ihre Antworten überlegen. Okay?«

»Ja«, sagte ich, »in Ordnung.«

»Gut. Also nächsten Freitag. Die Sendung beginnt um neun. Wenn Sie bis um halb acht im Studio sein würden, dann haben wir Zeit, um auszuleuchten und zu schminken; vielleicht trinken wir auch ein Schlückchen vorher. Hier ist eine Karte, auf der Sie sehen können, wie man hinkommt.«

Er gab mir die Karte. Auf der einen Seite stand in Großbuchstaben >Universal Television^ auf der anderen befand sich eine Karte von Willesden.

»Übrigens bekommen Sie natürlich Honorar und Ihre Spesen.« Er lächelte liebenswürdig, um mir zu zeigen, daß er wußte, wie angenehm mir das war.

»Danke.« Ich lächelte ihn an. Ich würde da sein.

Er sprach noch ein paar Worte mit Corin und schlenderte davon. Ich sah Corin an und sah auf seinem Gesicht denselben Ausdruck, wie er so oft auf den Gesichtern von entfernten Bekannten meiner Eltern zu sehen war. Das eingebildete, schmeichlerische Lächeln, das gleichsam sagte: »Ich bin mit einer Berühmtheit bekannt, ich schlauer Bursche.« Ich hätte es eindrucksvoller gefunden, wenn er, wie die meisten anderen Trainer, die Bekanntschaft mit dem berühmten Kemp-Lore für selbstverständlich gehalten hätte.

»Ich kenne Maurice recht gut«, sagte Corin befriedigt. »Er hat mich um Rat gefragt, ob Sie als sein - äh - erfolgloser Jockei brauchbar wären, und ich hab’ ihm zugeredet.«

»Danke«, sagte ich, weil er das erwartete.

»Ja, ein großartiger Bursche, dieser Maurice. Stammt aus einer guten Familie, wissen Sie. Sein Vater hat das National gewonnen - Amateur natürlich -, und seine Schwester ist die beste Jagdreiterin seit vielen Jahren. Nur schade, daß er fast überhaupt nicht reitet. Er macht nicht einmal bei Fuchsjagden mit. Er bekommt furchtbares Asthma, wissen Sie, wenn er mit Pferden zusammen ist. Das bedrückt ihn sehr. Trotzdem, er wäre vielleicht nie zum Fernsehen gegangen, wenn er Rennreiter sein könnte. Es hat also doch alles seine guten Seiten.«

»Das kann man sagen«, meinte ich. Ich trug immer noch Seidenbluse und Breeches, und es begann kühl zu werden.

Ich brachte das Gespräch wieder auf das Pferd, mit dem ich eben letzter gewesen war, hörte mir ein paar schlaue Bemerkungen an und ging schließlich in den Wiegeraum zurück, um mich umzuziehen.

Die Jockeis für das letzte Rennen waren schon unterwegs, aber ein paar andere standen halb angezogen herum, unterhielten sich und schlüpften in ihre Hosen. Als ich durch den Raum ging, sah ich Grant Oldfield bei meinen Sachen stehen und einen Zettel in der Hand halten. Verärgert stellte ich fest, daß es die Liste der Pferde war, die mir James Axminster gegeben hatte. Grant hatte meine Taschen durchsucht.

Ich kam nicht zum Protestieren. Ohne ein Wort zu sagen, ohne mich zu warnen, holte Grant aus und schlug mir die Faust ins Gesicht.

Kapitel 4

Die Menge Blut, die ich daraufhin produzierte, hätte einer ganzen Reihe von Blutspendern wohl angestanden. Es floß über meine blaßgrüne Seidenbluse und machte große, unregelmäßige Flecken auf die weißen Breeches. Große Tropfen fielen auf die Bank und den Boden. Ich verschmierte mir die Hände, als ich versuchte, mir den Mund abzuwischen.

»Legt ihn doch um Gottes willen auf den Rücken«, sagte einer der Burschen. Sein Rat war eigentlich unnötig, weil ich schon lag, halb auf dem Boden, halb auf der Bank. Der eine Schlag hatte mich, da ich nicht ganz fest auf den Beinen gestanden hatte, wie einen Baum gefällt.