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Es war kalt geworden, und die frühe Dämmerung verdunkelte alle Farben zu Schwarz und Grau. Ich kauerte neben Grant nieder. Er war halbwegs bei Bewußtsein, atmete schwer und stöhnte. Mit dem Mund an seinem Ohr sagte ich leichthin: »Grant, warum hat Axminster Sie hinausgeworfen?«

Er murmelte etwas vor sich hin, was ich nicht verstehen konnte. Ich wiederholte die Frage. Er schwieg. Ich seufzte und stand auf. Es war nur ein Versuch gewesen.

Dann sagte er deutlich: »Er hat behauptet, ich hätte die Nachricht weitergegeben.«

»Welche Nachricht?«

»Die Nachricht weitergegeben«, sagte er jetzt schon undeutlicher.

Ich bückte mich und fragte ihn wieder: »Welche Nachricht?«

Seine Lippen bewegten sich zwar, aber er sagte nichts mehr.

Ich entschied, daß ich trotz allem nicht einfach wegfahren und ihn hier in der Kälte liegenlassen konnte. Ich holte die Werkzeugtasche wieder heraus und brachte das Reserverad an. Dann pumpte ich den Reifen auf, kurbelte den Wagenheber herunter und warf ihn zusammen mit dem Werkzeug und dem platten Reifen in den Kofferraum.

Grant war immer noch nicht ganz bei sich. Ich wußte, daß ich ihn nicht so hart getroffen hatte, um einen derartigen Zustand hervorzurufen, und stellte mir vor, daß sein gestörter Verstand vielleicht diesen Ausweg benützte, um der Realität auszuweichen. Ich bückte mich, schüttelte ihn und rief seinen Namen. Er schlug die Augen auf. Für den Bruchteil einer Sekunde schien es, als lächle mich der alte Grant aus ihnen an, dann fluteten Groll und Bitterkeit in sie zurück, als er sich erinnerte, was geschehen war. Ich half ihm, sich aufzusetzen, und lehnte ihn an seinen Wagen. Er sah völlig erschöpft aus.

»O Gott«, sagte er, »o Gott.« Es klang wirklich wie ein Gebet und kam aus einem Mund, der sonst nur zu fluchen pflegte.

»Wenn Sie einen Psychiater aufsuchen würden, könnte man Ihnen vielleicht helfen«, meinte ich ruhig.

Er erwiderte nichts, wehrte sich aber auch nicht, als ich ihm in den Mini-Cooper half. Er war nicht in der Lage, sein Fahrzeug zu steuern, und es gab hier auch keinen, der sich um ihn kümmern konnte. Ich fragte ihn, wo er wohnte, und er sagte es mir. Sein Wagen war jetzt hier sicher, und ich sagte ihm, daß er ihn am nächsten Tag abholen könne. Er erwiderte nichts.

Zum Glück wohnte er nur fünfzig Kilometer entfernt, und ich hielt nach seiner Anweisung an einem Zweifamilienhaus am Rand einer kleinen Stadt. Die Fenster waren dunkel.

»Ist Ihre Frau nicht da?« fragte ich.

»Sie hat mich verlassen«, sagte er geistesabwesend. Dann biß er die Zähne zusammen und sagte: »Kümmern Sie sich um Ihren eigenen Dreck.« Er riß die Tür auf, stieg aus und knallte sie zu. Er brüllte: »Lassen Sie mich in Ruhe mit Ihrer Säuselei und scheren Sie sich zum Teufel. Ich brauche Ihre Hilfe nicht, Sie -« Er schien in den früheren Gemütszustand verfallen zu sein, was bedauerlich war, aber da es keinen Zweck hatte, mir seine Beschimpfungen anzuhören, fuhr ich davon. Ich kam aber nur einen Kilometer weit, bevor ich erkannte, daß man ihn in einem leeren Haus nicht allein lassen durfte.

Ich befand mich mitten in der kleinen Stadt, deren hellerleuchtete Läden gerade dabei waren, die Türen zu schließen. Ich hielt und fragte eine ältere Frau mit Einkaufstasche nach einem Arzt. Sie zeigte mir den Weg zu einem großen Haus in einer stillen Seitenstraße, wo ich parkte, ausstieg und läutete.

Ein hübsches Mädchen erschien und sagte: »Sprechstunde um sechs«, und begann die Tür zu schließen.

»Wenn der Arzt da ist, möchte ich ihn bitte sprechen«, begann ich hastig. »Ich kann nicht bis zur Sprechstunde warten.«

»Na, meinetwegen«, sagte sie und verschwand. Irgendwo im Haus lärmten Kinder. Nach kurzer Zeit erschien ein junger, dicklicher, vernünftig aussehender Mann, der ein Stück Schokoladekuchen in der Hand hatte und das resignierte, fragende Gesicht eines Arztes machte, der während seiner Freizeit gestört wird.

»Sind Sie zufällig Grant Oldfields Arzt?« fragte ich. Wenn er es nicht war, konnte er mir wenigstens sagen, wo ich hingehen sollte.

Aber er sagte sofort: »Ja, das bin ich. Ist er wieder gestürzt?«

»Nicht direkt«, erwiderte ich, »aber könnten Sie bitte kommen und ihn sich ansehen?«

»Jetzt gleich?«

»Ja, bitte«, bat ich. »Er ... äh ... hat beim Rennen das Bewußtsein verloren.«

»Eine Sekunde«, sagte er und verschwand im Haus. Bald danach erschien er mit seiner Arzttasche und einem neuen Stück Kuchen. »Können Sie mich hinfahren? Wegen der paar Meter lohnt es sich nicht, meinen Wagen aus der Garage zu holen.«

Wir gingen zu meinem Mini-Cooper hinaus und saßen kaum, als er auf das zertrümmerte Heckfenster zu sprechen kam. Kein Wunder, da der Dezemberwind ganz schön kalt hereinwehte. Ich erzählte ihm, daß Grant den Schaden angerichtet hatte, und erklärte ihm, warum ich ihn nach Hause hatte bringen müssen. Er hörte stumm zu, während er an seinem Kuchen kaute. Dann sagte er: »Warum ist er auf Sie losgegangen?«

»Er scheint anzunehmen, daß es ihn meinetwegen die Stellung gekostet hat.«

»Und stimmt das?«

»Nein«, sagte ich. »Er hat sie schon vor Monaten verloren, als ich sie noch gar nicht hatte.«

»Sie sind also auch Jockei?« fragte er, mich neugierig anstarrend. Ich nickte und nannte meinen Namen. Er stellte sich als Dr. Parnell vor. Ich ließ den Wagen an und fuhr die paar hundert Meter zurück zu Grants Haus. Alles war dunkel.

»Ich hab’ ihn vor noch nicht ganz zehn Minuten hier abgesetzt«, sagte ich, als wir den Weg zur Eingangstür entlangschritten. Der kleine Garten war ungepflegt und verwildert; im Licht der Straßenlampe zeigten sich undeutlich verfaulendes Laub und vom Gras überwucherte

Blumenbeete. Wir läuteten. Die Klingel schrillte im Haus, aber nichts rührte sich. Wir läuteten wieder. Der Arzt schluckte das letzte Stückchen Kuchen hinunter und leckte sich die Finger ab.

Im dunklen Teil des Gartens raschelte etwas. Der Arzt nahm aus der Brusttasche eine kleine Lampe, mit der er sonst Augen und Hals untersuchte und ließ den winzigen Lichtstrahl an der Ligusterhecke entlangwandern. Zuerst sahen wir ein paar armselige Rosensträucher, vom unge-mähten Gras des vergangenen Sommers erstickt.

In der Ecke, wo die Hecke zwischen diesem und dem Nachbargarten mit der Hecke an der Straße zusammentraf, richtete sich das Lichtpünktchen auf die zusammengekauerte Gestalt eines Mannes.

Wir gingen zu ihm hinüber. Er saß auf dem Boden, halb unter der Hecke, die Knie angezogen, den Kopf auf die verschränkten Arme gestützt.

»Na, kommen Sie schon«, sagte der Arzt burschikos und zog ihn hoch. Er kramte in Grants Taschen, fand einen Schlüsselbund und gab ihn mir. Ich lief zum Haus, sperrte die Eingangstür auf und knipste das Licht im Korridor an. Der Arzt führte Grant in das erste Zimmer, das offenbar als Speisezimmer diente. Auf allen Möbeln lag eine dicke Staubschicht.

Grant sank auf einen Stuhl und legte den Kopf auf den schmutzigen Tisch. Der Arzt untersuchte ihn, fühlte den Puls, schob das Augenlid hoch und fuhr mit beiden Händen über das Genick und den Hinterkopf. Grant bewegte sich unruhig, als Parnells Finger die Stelle berührten, wo mein Schlag gesessen hatte, und er sagte mürrisch: »Geht doch weg, geht endlich weg.«

Parnell trat einen Schritt zurück und kratzte sich hinterm Ohr.

»Eigentlich alles in Ordnung, soweit ich das beurteilen kann, abgesehen von einem steifen Hals, den er ein paar Tage haben wird. Wir schaffen ihn wohl besser ins Bett, und ich geb’ ihm ein Beruhigungsmittel. Morgen sorge ich dafür, daß er bei jemandem vorspricht, der ihm aus den Schwierigkeiten heraushelfen kann. Sie rufen mich im Lauf des Abends wohl am besten an, wenn sein Zustand sich verändert.«

»Ich?« sagte ich. »Ich bleib’ doch nicht den ganzen Abend hier!«

»So, das glauben Sie?« sagte er fröhlich und sah mich lächelnd an. »Wer denn sonst? Die ganze Nacht auch noch, wenn’s Ihnen nichts ausmacht. Sie haben ihn schließlich niedergeschlagen!«