»In Wirklichkeit ist es umgekehrt«, erklärte ich fröhlich. »Sie ziehen es vor, mich geheimzuhalten. Ein Jockei in der Familie ist für sie eine Schande, wissen Sie. Sie lassen sich nicht gerne daran erinnern.«
»Trotzdem«, sagte er nachdenklich. »Das erklärt vieles, worüber ich mich bei Ihnen gewundert habe. Woher Sie das Selbstvertrauen haben . und warum Sie so wenig von sich selber sprechen.«
Ich sagte lächelnd: »Ich wäre sehr froh, James, wenn Sie meine Familie im Wiegeraum nicht erwähnen würden, aus Gefälligkeit meinen Eltern gegenüber.«
Er versprach mir, sich zurückzuhalten, und hielt sein Wort, aber von diesem Augenblick an verstanden wir uns noch besser als zuvor. Als er daher die angeblichen Beanstandungen bei Peter Cloony, Danny Hicks und Tick-Tock aufzählte, sagte ich mit einiger Zuversicht: »Sie scheinen da allerhand Gerüchte aufgeschnappt zu haben. Wissen Sie wirklich, ob das alles stimmt?« »Ob es stimmt?« wiederholte er überrascht. »Na, Peter Cloony hat doch vor ein paar Wochen eindeutig zwei Rennen verpaßt, weil er sich verspätet hatte, das steht fest.«
Ich erzählte ihm von Peters Pech, zweimal durch ein seine Straße blockierendes Fahrzeug aufgehalten worden zu sein.
»Soviel ich weiß, hat er sich seither nicht mehr verspätet«, meinte ich. »Die Behauptung, daß er unpünktlich ist, scheint sich nur auf diese beiden Gelegenheiten zu stützen.«
»Ich habe ein paarmal gehört, daß man sich auf ihn nicht verlassen kann«, meinte James hartnäckig.
»Von wem?« fragte ich neugierig.
»Oh, ich weiß nicht. Von Corin Kellar beispielsweise, und natürlich von Johnson, der ihn für sich arbeiten läßt. Auch von Ballerton, obwohl ich mich im allgemeinen nicht auf das verlasse, was er mir erzählt. Es ist einfach allgemein bekannt.«
»Und wie steht’s bei Danny Hicks?« fragte ich. Danny war ein unverwüstlicher Cockney, klein und schmächtig, aber von geradezu wilder Tapferkeit.
»Er wettet zuviel«, sagte James entschieden.
»Wer behauptet das?« wollte ich wissen. Mir war bekannt, daß Danny gegen die Regeln verstieß, indem er auf Pferde wettete, aber nach dem zu schließen, was er im Umkleideraum zu sagen pflegte, riskierte er nie mehr als fünf oder zehn Pfund, so daß kein Trainer Grund hatte, ihn schief anzusehen.
»Wer das behauptet? Ich ... äh ... Corin«, sagte er lahm.
»Corin hat mir das übrigens ein paarmal gesagt. Er setzte ihn deswegen nie ein.«
»Und Tick-Tock?« drängte ich. »Wer behauptet, daß sich Ingersoll nicht immer Mühe gibt?«
Er gab mir nicht sofort Antwort. Nach einer Weile sagte er: »Warum soll ich nicht glauben, was mir Corin erzählt? Er hat ja nichts davon. Er ist ein ausgezeichneter Trainer, hängt aber wie wir alle von guten Jockeis ab. Er würde nie auf Leute wie Cloony oder Hicks verzichten, wenn er nicht einen guten Grund dazu hätte.«
Ich überlegte kurze Zeit, dann meinte ich: »Ich weiß, daß mich das eigentlich nichts angeht, aber macht es Ihnen etwas aus, mir zu sagen, warum Sie Grant Oldfield gefeuert haben? Er erzählte mir, daß es etwas mit einer Nachricht zu tun habe, aber mehr brachte ich aus ihm nicht heraus.« Ich verzichtete darauf, ihm auseinanderzusetzen, in welchem Zustand ich Grant damals gefunden hatte.
»Eine Nachricht? O ja, er hat die Nachricht weitergegeben, das ging natürlich nicht.«
Ich sah ihn verständnislos an. Axminster brauste bei Gelblicht über eine Kreuzung und sah mich von der Seite an. »Na ja, Sie wissen schon, er hat weitergegeben, was er wußte«, sagte er ungeduldig. »Wenn wir einen Favoriten einsetzen, verständigte er häufig einen berufsmäßigen Wetter. Dem Besitzer des Pferdes wurden keine günstigen Gewinnchancen angeboten, weil der Professional vor ihm da war und ihm alles verdarb. Drei meiner Auftraggeber waren sehr wütend - es macht ihnen keinen Spaß, Drei-zu-Eins-Wetten nehmen zu müssen, wenn sie mit sechs oder sieben zu eins gerechnet hatten. Grant mußte Schluß machen. Sehr bedauerlich, er war außerordentlich tüchtig.«
»Wie sind Sie dahinter gekommen, daß Grant geplaudert hat?«
»Maurice Kemp-Lore erfuhr es, als er eine seiner Sendungen vorbereitete. Er wollte die Hintergründe von professionellen Wetten aufzeigen, soviel ich weiß, und kam Grant mehr oder weniger zufällig auf die Schliche. Er hat sich beinahe entschuldigt bei mir und meinte, es sei doch klüger, Grant nicht in alles einzuweihen. Aber man kann nicht ordentlich mit einem Jockei arbeiten, wenn man ihm etwas vorenthält, das geht einfach nicht.«
»Was hatte Grant zu sagen, als Sie ihn hinauswarfen?« fragte ich.
»Er stritt rundweg alles ab. Aber das war natürlich zu erwarten. Kein Jockei wird zugeben, daß er Informationen weitergibt, wenn er weiterhin beschäftigt sein will.«
»Haben Sie mit dem bewußten Wetter gesprochen?« fragte ich.
»Ja, allerdings«, sagte er. »Ich wollte es zuerst nämlich nicht glauben. Aber Zweifel waren nicht möglich. Ich mußte ihm ein bißchen zusetzen, weil er ja auch nicht in bestem Licht erschien, aber Lubbock, der Professional, gab zu, daß Grant ihn per Telefon verständigt habe und er ihm, seit er für mich ritt, laufend Beträge habe zukommen lassen.«
Das schien ziemlich eindeutig zu sein, aber ich hatte irgendwie das Gefühl, daß da noch etwas dahintersteckte.
Ich wechselte das Thema. »Um auf Art zurückzukommen«, sagte ich, »warum hatte er eigentlich dauernd Streit mit Corin?«
»Ich weiß nicht recht«, meinte James nachdenklich. »Ich habe Corin ein paarmal sagen hören, daß Art sich nicht an seine Anweisungen gehalten hätte. Vielleicht lag es daran.« Er überholte zwei Lastwagen und sah mich wieder an. »Worauf wollen Sie hinaus?«
»Manchmal sieht es so aus, als sei da nicht alles in Ordnung«, meinte ich. »Zu viele Jockeis werden durch Gerüchte belastet. Sie haben selbst gesagt, daß alles verhext zu sein scheint.«
»Aber doch nicht im Ernst«, wandte er ein. »Sie haben zuviel Phantasie. Und wenn wir schon von Gerüchten reden, welches Gerücht hat Art dazu gebracht, sich umzubringen, oder Pip, sich das Bein zu brechen, oder Grant, Informationen zu verkaufen? Gerüchte sind doch schließlich auch nicht dafür verantwortlich, daß Cloony unpünktlich ist.«
»Danny Hicks wettet nicht sehr viel«, sagte ich unsicher, »und Ingersoll reitet so ehrlich wie irgendein anderer.«
»Über Hicks wissen Sie nicht genau Bescheid«, setzte er mir auseinander, »und Ingersoll ist letzte Woche gerügt worden, weil er sein Pferd hat zurückfallen lassen. Es gehörte John Ballerton, und er war sehr aufgebracht. Das hat er mir selbst gesagt.«
Ich seufzte. Tick-Tocks Version lautet, daß Corin ihn gebeten habe, das Pferd nicht zu überanstrengen, weil es noch nicht völlig fit sei. Er habe deshalb beschlossen, nicht allzuviel Druck darunterzusetzen, nur um auf dem dritten Platz zu landen. Er hätte es für besser gehalten, die Energie des Pferdes für einen späteren Sieg zu schonen, meinte er, was der Ansicht vieler Jockeis und Trainer entsprach, aber die Pferdebesitzer und Zuschauer, die auf das Pferd gesetzt hatten, mochten da anderer Meinung sein. Nach der Untersuchung hatte Corin, Wetterfahne, die er war, Tick-Tock deswegen ausgeschimpft.
»Kann sein, daß ich mich gründlich irre«, sagte ich langsam, »ich hoffe es jedenfalls, aber .«
»Aber?« wiederholte er, als ich eine Pause machte.
»Aber wenn Sie einmal Gerüchte über mich hören, denken Sie dann vielleicht daran, was ich glaube ... und prüfen Sie gründlich nach, ob das auch alles stimmt, bevor Sie dran glauben!«
»Na gut«, meinte er großzügig. »Ich halte es ja für Unsinn, aber bitte, ich bin einverstanden.« Er schwieg eine
Weile, dann sagte er mit ungeduldigem Kopf schütteln: »Niemand hat etwas zu gewinnen, wenn er versucht, Jok-keis fertigzumachen. Das ist Unsinn. Völlig sinnlos.«
»Ich weiß«, sagte ich. »Sinnlos.«
Wir wechselten das Thema.