Als ich zum Wiegeraum zurückging, bedauerte ich nur, mich nicht auf meinen Instinkt verlassen und den Ritt für ihn abgelehnt zu haben.
Als die Rennveranstaltung zu Ende war, hatte sich meine Verwunderung über Shantytowns Versagen in eine vage Unsicherheit verwandelt, denn keines der beiden anderen Pferde, die ich an diesem Nachmittag ritt, leistete auch nur annähernd, was man erwartete. Auf beide war stark gewettet worden, und beide wurden beinahe letzte. Obwohl ihre
Besitzer sich nicht so flegelhaft aufführten wie Ballerton, sah man ihnen die Enttäuschung an. Tags darauf, immer noch auf der Rennbahn Dunstable, ging es mit den Fehlschlägen weiter. Ich war für drei Pferde gemeldet, alle drei versagten. Ich bemühte mich den ganzen deprimierenden Nachmittag hindurch, einem Pferdebesitzer nach dem anderen zu erklären, daß es mir nicht gelungen sei, ihre Pferde zu schnellerer Gangart zu bewegen. Das vierte Pferd erwies sich als so müde, daß ich auf halben Weg aufgeben mußte. Selbst an seinen besten Tagen sprang das Tier nur zögernd, aber bei diesem Rennen zeigte es sich so lustlos, daß wir nach einer Weile um ein ganzes Hindernis hinter dem Feld zurückblieben. Es war hoffnungslos. Als ich die Zügel anzog, verfiel das Pferd binnen weniger Schritte von einem widerstrebenden Galopp in langsames Dahintrotten, ein sicheres Anzeichen für Erschöpfung, Da es einem Farmer gehörte, dessen Erfahrung noch gering war, nahm ich an, daß man es tags zuvor überanstrengt hatte, aber der Farmer behauptete das Gegenteil.
Pechsträhnen sind beim Pferdesport häufiger als Erfolgsserien, und die Tatsache, daß sechs meiner Pferde hintereinander weit weniger geleistet hatten, als man von ihnen erwarten durfte, hätte ohne John Ballerton wenig Aufmerksamkeit erregt.
Nach dem fünften Rennen zog ich mich um und verließ den Wiegeraum, vor dem er mit einer kleinen Gruppe von Bekannten stand. Alle Gesichter wandten sich mir mit den verstohlenen, abschätzenden Blicken zu, die beweisen, daß man das Thema des Gesprächs war, und Ballerton sagte etwas Heftiges, wovon ich nur >Schande< verstand.
Da Jockeis an beleidigende Äußerungen ebenso gewohnt sind wie Politiker, ließ ich mir nicht anmerken, daß ich etwas gehört hatte, und ging gelassen zur Tribüne, um mir das letzte Rennen anzusehen, aber ich fragte mich, wie lange Ballerton mir Shantytowns Versagen anrechnen würde, und welche Wirkung seine Beschwerden auf die Anzahl der Pferde haben mochten, die man mir anbot. Er war nicht der Mann, seinen Groll für sich zu behalten; und als Mitglied des National Hunt Committee war sein Einfluß keineswegs gering.
Auf der Tribüne kam Maurice Kemp-Lore zu mir herüber. Wir hatten uns auf Rennbahnen schon öfter getroffen und kamen recht gut miteinander aus, aber trotz seines Charmes, oder vielleicht gerade, weil er manchmal zu freundlich wirkte, hatte ich das Gefühl, daß seine Freundschaft nur in die rein berufliche Kategorie fiel, also zu den möglicherweise nützlichen Bekanntschaften zu zählen war. Ich glaubte nicht daran, daß er mich als Privatmann mochte.
Er lächelte strahlend und brachte seinen Charme voll zur Geltung. Seine schlanke Gestalt strotzte von Gesundheit und Selbstvertrauen, und seinen blauen Augen gelang das beinahe Unmögliche, an einem grauen Januarnachmittag hell zu glitzern. Automatisch lächelte ich auch. Man konnte einfach nicht anders. Sein Erfolg beruhte nicht zuletzt darauf, daß er bei jedem Gesprächspartner ein spontanes Gefühl des absoluten Wohlbefindens hervorzurufen vermochte, und es gab niemand, der seine Gesellschaft nicht schätzte, selbst wenn man, wie ich, davon ausging, daß es ihm in erster Linie darauf ankam, Material für seine Sendungen zu sammeln.
»So ein Pech, Rob«, sagte er freundlich. »Meine Empfehlung bei John Ballerton hat Ihnen ja nicht gerade Glück gebracht.«
»Das kann man wohl sagen«, meinte ich. »Aber trotzdem vielen Dank.«
Die blauen Augen glitzerten. »Gern geschehen«, sagte er. Ich hörte deutlich ein leises, hohes Pfeifen, als er einatmete. Es war das erstemal, daß ich ihn bei einem Asthmaanfall sah. Er tat mir irgendwie leid.
Die Pferde für das sechste Rennen trabten vorbei auf dem Weg zum Startplatz.
»Hat sich James für den Winter-Cup schon entschieden?« fragte er beiläufig, den Blick auf die Pferde gerichtet. Ich lächelte. Aber er ist ja im Dienst, dachte ich mir, und was ist schon dabei, wenn du ihm Bescheid sagst?
»Template startet, wenn alles klappt«, sagte ich.
»Und Sie reiten ihn?«
»Ja.«
»Wie geht es Pip?« fragte er mit rasselndem Atem.
»Sein Bein heilt recht gut, aber er ist noch im Gips«, antwortete ich. »Er wird nächste Woche abgenommen, soviel ich weiß, und vielleicht kann er in Cheltenham schon wieder reiten, aber für den Winter-Cup scheidet er natürlich aus.«
Das Rennen, von dem die Rede war, sollte Mitte Februar in Ascot stattfinden, als eine Art Vorbereitung drei Wochen vor dem Cheltenham Gold Cup. Es lag noch fast einen Monat vor uns, an jenem Tag in Dunstable, und ich freute mich ganz besonders darauf, weil ich dann voraussichtlich das letztemal auf Template reiten würde. Pip wollte auf jeden Fall beim Gold Cup dabeisein, was ich sehr gut verstehen konnte.
»Welche Chance geben Sie Template im Winter-Cup?« fragte Maurice, das Rennen durchs Fernglas beobachtend.
»Oh, ich hoffe, daß er gewinnt«, sagte ich ruhig. »Sie können mich zitieren.«
»Das werd’ ich wahrscheinlich tun«, meinte er lächelnd. Wir verfolgten gemeinsam das Rennen, und seine Anwe-
senheit wirkte so wohltuend auf mich, daß ich Dunstable in recht guter Stimmung verließ, ohne weiter an die schlechten Ergebnisse der letzten beiden Tage zu denken.
Kapitel 8
Es war eine trügerische Sicherheit. Meine Glückssträhne war endgültig zu Ende, und Dunstable erwies sich nur als Beginn des Pechstrudels. Im Laufe der nächsten beiden Wochen ritt ich siebzehn Pferde; fünfzehn davon landeten abgeschlagen auf den hinteren Plätzen, und nur zweimal konnte man das als gerechtes Ergebnis bezeichnen.
Ich konnte es einfach nicht begreifen. Soviel ich sah, ritt ich genausogut wie vorher, und es war höchst erstaunlich, daß meine Pferde alle zur gleichen Zeit nicht in Form waren. Ich begann mir Sorgen zu machen, was mir nicht gut tat, weil ich geradezu spüren konnte, wie mein Selbstvertrauen von Tag zu Tag mehr dahinschwand.
Da war eine graue Stute, die ich besonders gern ritt, weil sie äußerst schnell reagierte. Sie schien oft vor mir zu wissen, was ich vorhatte, bevor ich ihr Zeichen gab, als habe sie die Situation ebenso klar erkannt wie ich und unabhängig von mir ihre Entscheidung getroffen. Sie war geduldig und zahm und sprang phantastisch. Ich mochte auch ihren Besitzer, einen kleinen, lustigen Farmer mit krassem Norfolkakzent, und als wir sie vor dem Rennen im Paradezirkel beobachteten, bekundete er Sympathie für mein Mißgeschick und meinte: »Macht nichts. Bei der Stute klappt es. Sie läßt Sie nicht im Stich. Da brauchen Sie gar keine Sorgen zu haben.«
Ich ging lächelnd ins Rennen, weil ich ebenfalls glaubte, mir könne mit diesem Pferd gar nichts passieren. Aber sie war wie umgewandelt. Dieselbe Farbe, dieselbe Größe, derselbe hübsche Kopf - aber keine Energie. Es war, als steuere man einen Wagen mit vier platten Reifen.
Der lustige Farmer wirkte weit weniger lustig, als ich sie zurückbrachte.
»Sie ist noch nie Letzte geworden«, sagte er anklagend.
Wir sahen sie uns genau an, konnten aber nichts finden. Sie atmete nicht einmal schwer.
»Ich kann ja ihr Herz untersuchen lassen«, meinte der Farmer zweifelnd. »Wissen Sie ganz genau, daß Sie alles richtig gemacht haben?«
»Ja«, antwortete ich, »aber sie war heute einfach nicht in Stimmung.«
Der Farmer schüttelte betrübt und verwirrt den Kopf.
Eines meiner Pferde gehörte einer großen Frau mit scharfen Zügen, die sehr viel vom Rennsport verstand und mit Pfuschern kein Mitleid hatte. Sie fiel über mich her, nachdem ich ihren sündteuren neuen Wallach nur wenige Meter vor dem Ziel auf den vorletzten Platz hatte zurückfallen lassen.