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»Es ist Ihnen wohl klar«, sagte sie mit lauter, harter Stimme, während eine große Gruppe von Zuschauern bedenkenlos lauschte, »daß es Ihnen in den letzten fünf Minuten gelungen ist, den Wert meines Pferdes um die Hälfte zu drücken und mich zu einer Närrin zu stempeln, weil ich ein Vermögen dafür bezahlt habe.«

Ich entschuldigte mich. Ich deutete an, daß ihr Pferd möglicherweise noch Zeit brauche.

»Zeit?« wiederholte sie zornig. »Wozu? Damit Sie endlich aufwachen? Sie tun ja gerade so, als läge der Fehler bei mir, nicht bei Ihnen. Sie sind von Anfang an falsch geritten. Sie hätten ganz anders vorgehen müssen ...«

Ihre Strafpredigt hörte nicht auf, und ich starrte den schönen Kopf ihres Vollblutpferdes an und gab innerlich zu, daß es wahrscheinlich viel besser war, als es den Anschein hatte.

Ein Mittwoch war der große Tag für einen zehnjährigen Schuljungen mit strahlenden braunen Augen und Verschwörergrinsen. Seine reiche, exzentrische Großmutter, die dahintergekommen war, daß es für Rennpferdbesitzer kein Mindestalter gab, hatte Hugo einen riesigen Fuchs geschenkt und hatte zufällig auch noch die Trainingskosten bezahlt.

Ich hatte mich mit Hugo angefreundet. Da er wußte, daß ich bei James Axminster sein Pferd fast jeden Morgen sah, schickte er mir ständig kleine Päckchen Würfelzucker, den er in seinem Internat vom Eßtisch stibitzt hatte, und ich schrieb Hugo regelmäßig, um ihm in allen Einzelheiten zu erzählen, wie sich sein Pferd machte.

An diesem Mittwoch hatte Hugo nicht nur einen Tag frei bekommen, um sein Pferd laufen zu sehen, er erschien auch mit drei Freunden. Die vier Buben standen mit mir und James im Paradezirkel, da Hugos Mutter zu den seltenen Frauen gehörte, die ihre Söhne das Rampenlicht allein genießen lassen. Als ich vom Wiegeraum aus hinüberging, hatte sie mich von ihrem Platz auf der Tribüne aus freundlich angelächelt.

Die vier kleinen Buben waren todernst und aufgeregt, und James und ich hatten sehr viel Spaß mit ihnen vor dem Rennen, weil wir sie wie Männer behandelten, was ihnen offenbar wohltat. Diesmal, versprach ich mir, diesmal werde ich gewinnen. Für Hugo. Ich muß einfach.

Aber der große Fuchs sprang an diesem Tag sehr ungeschickt. Fast hinter jedem Hindernis senkte er den Kopf. Einmal mußte ich mich, um nicht abgeworfen zu werden, mit nur einer Hand an seinem Hals entlangstrecken und mit der anderen die Zügel einfach fahrenlassen. Der freie, hochzuckende Arm half mir, im Sattel zu bleiben, aber die unter dem Namen >ein Taxi rufen< bekannte Geste konnte mir bei James keine Gutpunkte einbringen, der das oft als den Stil >schlechter, erschöpfter, ängstlicher oder untauglicher Amateure< qualifiziert hatte.

Hugos Gesicht war nervös gerötet, als ich abstieg, und seine drei Freunde scharrten verlegen mit den Füßen. Da er sie als Zeugen dabei hatte, konnte Hugo bei seinen übrigen Klassenkameraden die Katastrophe nicht vertuschen.

»Es tut mir sehr leid, Hugo«, sagte ich bedrückt und entschuldigte mich für alles - für mich, das Pferd, das Rennen und den Geiz des Schicksals.

Er zeigte einen Gleichmut, an dem sich viele ältere Leute ein Beispiel hätten nehmen können.

»War eben mal ein schlechter Tag«, sagte er freundlich. »Und außerdem muß einer ja Letzter sein! Das hat Daddy auch gesagt, als ich in Geschichte eine Fünf bekam.« Er sah den Fuchs verzeihend an und sagte zu mir: »Aber sonst ist er doch recht tüchtig, nicht wahr?«

»Ja«, antwortete ich. »Sehr tüchtig sogar.«

»Na ja«, sagte Hugo und sah seine Freunde tapfer an, »das wär’s. Dann können wir ja unseren Tee trinken.«

Mißerfolge von dieser Art kamen zu häufig vor, um keine Aufmerksamkeit zu erregen, aber im Laufe der Zeit fiel mir auf, daß sich die Einstellung der Leute zu mir änderte. Ein paar, wie Corin, ließen so etwas wie Verachtung erkennen. Andere wirkten verlegen, wieder andere sympathisierten mit mir, einige sahen mich mitleidig an. Überall sah man mir nach, und ich konnte die Klatschwelle, die hinter mir zusammenschlug, benahe spüren. Ich wußte nicht genau, was eigentlich geredet wurde, weshalb ich Tick-Tock fragte.

»Kümmer dich nicht darum«, sagte er. »Du brauchst nur ein-, zweimal zu gewinnen, dann bist du wieder der Held des Tages, und alles, was sie jetzt quatschen, ist vergessen. Du bist eben in einer Pechsträhne.«

Mehr brachte ich aus ihm nicht heraus. Eines Donnerstagabends rief James bei mir an und bat mich, zu ihm zu kommen. Ich ging im Dunkeln hin und fragte mich bedrückt, ob er, wie schon zwei andere Trainer an diesem Tag, eine Ausrede präsentieren würde, mit der er einen anderen Jockei auf seine Pferde setzen konnte. Ich nahm es ihm nicht übel. Die Besitzer waren ohne weiteres in der Lage, ihm einen Jockei auszureden, der so viel Pech hatte.

James rief mich in sein Büro, einen quadratischen Raum zwischen seinem Haus und den Stallungen. Die Wände waren mit Rennfotos, Bücherregalen, langen Reihen von Rennblusen auf Bügeln und Karteikästen ausgefüllt. Vor dem Fenster, das auf den Hof hinausging, stand ein großer Schreibtisch. Ferner gab es drei Lehnstühle mit verblaßten Überzügen, einen zerfaserten Orientteppich auf dem Boden und ein glimmendes Feuer im Kamin. Ich hatte im letzten Vierteljahr dort viele Stunden verbracht, gelaufene Rennen und zukünftige Pläne besprechend.

James erwartete mich und trat zur Seite, um mich eintreten zu lassen. Er machte die Tür zu und starrte mich angriffslustig an.

»Ich habe gehört, daß Sie den Nerv verloren haben«, begann er ohne Vorrede.

Es war sehr still im Zimmer. Das Feuer knisterte. Ein Pferd in der Stallung nebenan schlug mit dem Huf an die Boxwand. Ich sah James an und er mich. Ich antwortete nicht. Die Stille nahm zu. Ich wunderte mich nicht. Ich hätte mir ausrechnen können, was über mich gesprochen worden war, als Tick-Tock sich geweigert hatte, mir nähere Auskünfte zu geben.

»Niemand kann etwas dafür, wenn er die Nerven verliert«, sagte James. »Aber ein Trainer kann einen solchen Mann nicht brauchen.«

Ich sagte immer noch nichts. Er wartete ein paar Sekunden, dann fuhr er fort: »Die klassischen Symptome sind unübersehbar ... Sie sind fast immer als letzter hinter dem Feld hergeritten, haben ohne Grund das Tempo gedrosselt, sind nie schneller geworden als unbedingt nötig war und haben sogar mal ein Taxi gerufen. Ich nenne das allen Schwierigkeiten ausweichen.«

Ich dachte betroffen darüber nach.

»Vor ein paar Wochen«, sagte er, »hab’ ich Ihnen versprochen, daß ich nicht einfach einem Gerücht glauben werde, bevor ich mir selbst eine Meinung gebildet habe. Erinnern Sie sich?«

Ich nickte.

»Ich habe das Gerücht letzten Samstag gehört«, sagte er. »Ein paar Leute bekundeten mir ihr Mitgefühl, weil mein Jockei den Nerv verloren habe. Ich glaubte es nicht. Ich habe Sie seither genau beobachtet.«

Bedrückt wartete ich auf den entscheidenden Streich. In der letzten Woche war ich bei sieben Ritten fünfmal Letzter geworden.

Er ging zu einem Sessel vor dem Kamin und setzte sich. Gereizt sagte er: »Setzen Sie sich doch endlich hin, Rob. Stehen Sie nicht einfach da wie ein Taubstummer.«

Ich setzte mich und starrte ins Feuer.

»Ich habe erwartet, daß Sie es abstreiten«, sagte er müde. »Es stimmt also?«

»Nein«, sagte ich.

»Ist das alles, was Sie zu sagen haben? Es genügt nicht. Was ist mit Ihnen los? Sie sind mir eine Erklärung schuldig.«

Ich war ihm mehr schuldig.

»Ich kann’s nicht erklären«, murmelte ich verzweifelt. »Jedes Pferd, das ich in den letzten drei Wochen geritten habe, schien durch Schlammboden zu laufen. Es liegt an den Pferden. Ich habe mich nicht verändert ...«

Das klang unnütz und unglaubhaft, selbst ich empfand es so.

»Sie haben jedenfalls stark nachgelassen«, sagte er langsam.