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Während sich die Kamera auf Jenkinson richtete, sagte Corins Stimme: »Mich würde interessieren, was Sie für eine Meinung haben. Eines von den Pferden stammte von mir, wissen Sie. Es war eine blamable Sache. Finn wird für mich nicht mehr reiten, wahrscheinlich auch für keinen anderen Trainer mehr.«

Jenkinson meinte unsicher: »Ich glaube nicht, daß wir Namen nennen sollten«, und Maurice fuhr hastig dazwischen: »Nein, nein. Ich bin völlig Ihrer Meinung. Lieber nicht.« Aber es war schon passiert.

»Nun, ich bedanke mich vielmals, daß Sie uns heute abend Ihre Zeit gewidmet haben. Leider geht die Sendung schon wieder ihrem Ende zu ...« Geschickt fand er einen Übergang zur üblichen Vorschau und zu den Schlußsätzen, aber ich hörte nicht mehr hin. Er und Corin hatten meine kurze Laufbahn endgültig ruiniert, und das auf dem grellen kleinen Bildschirm mit ansehen zu müssen, hatte bei mir furchtbare Kopfschmerzen hervorgerufen.

Als sich die Gäste wieder zu unterhalten begannen, stand ich auf und ging ein wenig unsicher zur Tür. Die Rennsport-Anhänger leerten ihre Krüge, und als ich mich an ihnen vorbeizwängte, hörte ich, wie einer sagte: »Der hat aber schon arg übertrieben.«

»Gar nicht«, erwiderte ein anderer. »Finn hat mich am Dienstag zehn Pfund gekostet. Geschieht ihm recht, dem Dreckskerl -«

Ich taumelte auf die Straße hinaus, zog die kalte Luft ein und bemühte mich angestrengt, gerade zu stehen. Es hatte keinen Zweck, sich hinzusetzen und in der Gosse zu heulen, was mir sehr leichtgefallen wäre. Ich ging langsam zur dunklen, leeren Wohnung zurück und legte mich angezogen aufs Bett, ohne das Licht anzuknipsen.

Der Lichtschein der Straßenlaterne warf einen schwachen Schimmer in den kleinen Raum, und der Schatten des Fensterrahmens zeigte sich verzerrt an der Decke. Mein Schädel pulsierte. Ich erinnerte mich, schon einmal so dagelegen zu haben, an dem Tag, als Grant mich niedergeschlagen hatte. Ich entsann mich, ihn und Art bemitleidet zu haben. Das war so einfach gewesen. Ich stöhnte laut, und das Geräusch schockierte mich.

Von meinem Fenster bis zur Straße war ein weiter Weg - fünf Stockwerke. Ein langer, schneller Weg. Ich dachte darüber nach.

In der Wohnung unter uns gab es eine Uhr mit Glockenschlag, die sich jede Viertelstunde meldete, und in dem stillen Haus konnte ich sie deutlich hören. Es schlug zehn, elf, zwölf, eins, zwei.

Der Schatten des Fensters stand unverrückbar an der Decke. Ich sah zu ihm hinauf. Fünf Stockwerke. Aber so schlecht es auch sein mochte, ich konnte auch diesen Weg nicht gehen. Für mich war das kein Ausweg. Ich schloß die Augen und fiel endlich nach den langen, verzweifelten Stunden in einen erschöpften, unruhigen, von Träumen erfüllten Schlaf.

Ich erwachte zwei Stunden später und hörte die Uhr vier schlagen. Meine Kopfschmerzen waren verschwunden, und mein Verstand wirkte so klar und scharf wie der bestirnte Himmel draußen: frisch gesäubert und glänzend. Es war, als trete man aus einem dichten Nebel in den Sonnenschein. Wie Kühle nach dem Fieber. Als sei ich neu geboren.

Irgendwann zwischen Schlaf und Erwachen war ich wieder zu mir selbst gekommen, hatte die Sicherheit gefunden, daß ich der war, für den ich mich hielt, und nicht der, als den mich die anderen sahen.

Und daß es so war, dachte ich verwirrt, wußte ich. Also mußte es eine andere Erklärung für meine Schwierigkeiten geben. Ich brauchte sie nur zu finden. Verärgert dachte ich an die schreckliche Stimmung, mit der ich mich herumgequält hatte, und begann endlich, meinen Verstand zu benutzen.

Eine halbe Stunde später war mir klar geworden, daß auch mein Magen wach war und so beharrlich darauf bestand, gefüllt zu werden, daß ich mich nicht konzentrieren konnte. Ich stand auf und holte die glasierten Maronen aus der Küche, wo ich auch noch Käsegebäck in Dosen fand. Ich machte die Dosen auf, legte mich wieder hin, aß das

Käsegebäck und die Hälfte der Kastanien. Mein Magen beruhigte sich, wie ein Drache, der seine ihm zustehende Jungfrau verspeist hat, und draußen verblaßten die Sterne in der trüben Londoner Dämmerung.

Am Vormittag befolgte ich den Rat, den ich Grant gegeben hatte, und suchte einen Psychiater auf.

Kapitel 9

Ich kannte den Psychiater sehr gut, weil er mit meinem Vater befreundet war, und hoffte nur, daß er mich auch an einem Vormittag drannehmen würde, den er sonst immer fürs Golfspiel reserviert hatte. Um acht Uhr rief ich in der Wimpole Street an, wo er in einem großen Haus über seiner Praxis wohnte. Er erkundigte sich nach meinem Vater. Er schien es eilig zu haben.

»Kann ich bitte zu Ihnen kommen, Sir?«

»Jetzt? Nein. Am Samstag nicht. Golf«, erklärte er kurz angebunden.

»Bitte ... es dauert nicht lange.«

Es blieb kurze Zeit still.

»Dringend?«

»Ja.«

»Dann kommen Sie sofort. Ich muß um zehn in Wentworth sein.«

»Ich bin nicht rasiert ...«, sagte ich, als ich mich im Spiegel sah und feststellte, daß ich einem Landstreicher glich.

»Wollen Sie sich rasieren oder mit mir reden?« fragte er ungeduldig.

»Reden«, antwortete ich.

»Dann los«, sagte er und legte auf.

Ich nahm ein Taxi, und er öffnete die Tür, einen Toast mit Marmelade in der Hand. Der bekannte Mr. Claudius Mellit, dessen Patienten ihn gewöhnlich in gestreifter Hose und schwarzem Jackett sahen, trug vernünftigerweise, da

er ja zum Golfspielen wollte, eine wasserdichte Hose und einen weichen Norwegerpullover. Er sah mich durchdringend an und wies mit dem Daumen nach hinten.

»Oben.«

Ich folgte ihm ins obere Stockwerk. Unterwegs beendete er sein Frühstück. Wir betraten sein Speisezimmer, wo er mich an den ovalen Mahagonitisch bat und mir eine Tasse Kaffee hinstellte. »Also«, sagte er, mir gegenüber Platz nehmend.

»Nehmen Sie einmal an ...«, begann ich und verstummte. Jetzt schien es auf einmal nicht mehr so einfach zu sein. Was ich um fünf Uhr früh für eindeutig und selbstverständlich gehalten hatte, war jetzt vom Zweifel angekränkelt. Die frühen Morgenstunden hatten mir etwas gezeigt, woran ich glaubte, aber im grellen Licht des Tages konnte es nicht anders als lächerlich klingen.

»Hören Sie zu«, sagte er. »Wenn Sie wirklich Hilfe brauchen, ist meine Golfspielerei völlig unwichtig. Als ich am Telefon sagte, daß ich es eilig hätte, wußte ich nicht, in welchem Zustand Sie sind ... und wenn Sie es mir nicht übelnehmen, Ihr Anzug sieht aus, als hätten Sie darin geschlafen.«

»Ja, allerdings«, bekannte ich überrascht.

»Na, dann beruhigen Sie sich und erzählen Sie mir alles.« Er grinste, ein großer Bär von einem Mann, fünfzig Jahre alt und sehr klug.

»Es tut mir leid, daß ich so unrasiert und ungepflegt aussehe«, begann ich.

»Und hohläugig und bleichwangig«, murmelte er lächelnd.

»Aber ich fühle mich nicht so schlecht, wie ich wahrscheinlich aussehe. Jetzt nicht mehr. Ich möchte Sie nicht vom Golfspiel abhalten, wenn Sie mir nur sagen .«

»Ja?«

»Angenommen, ich hätte eine Schwester, die eine so gute Musikerin wäre, wie Mutter und Vater, und ich, der einzige in der ganzen Familie, dem ihr Talent fehlt - Sie wissen es ja selbst - und ich wäre der Meinung, daß sie mich verachten, weil ich es nicht besitze, was, glauben Sie, würde ich tun?«

»Sie verachten Sie nicht«, protestierte er.

»Nein ... aber wenn sie’s täten, gäbe es dann eine Möglichkeit, sie - und mich - davon zu überzeugen, daß ich einen sehr guten Grund hatte, kein Musiker zu werden?«

»O ja«, überlegte er sofort. »Dann würde ich genau das von Ihnen erwarten, was Sie getan haben. Daß Sie etwas finden, wofür Sie sich interessieren, um sich fanatisch damit abzugeben, bis Sie auf Ihrem Gebiet das erreichen, was Ihre Familie auf einem anderen geschafft hat.«