Graf Eulenburg vergaß im Erfolgsrausch dieser Soiree nicht, wem das zu danken sei, und sorgte beim Kaiser dafür, daß Friedrich Karl Kahn am Jahresende in den erblichen Adelsstand erhoben wurde. Natürlich mußte die Presse, die davon lebt, daß immer etwas fehlt, nachher bemerken, die Menzel-Ehrung sei ja gut gemeint gewesen, aber an der Tafel seien dann eben nicht Voltaire, La Mettrie, D’Argens und Algarotti höchst geistreich übereinander hergefallen, sondern eher brave Perückenträger hätten dem Herrscherpaar Komplimente geliefert, von denen sie hofften, sie seien den Allerhöchsten Ohren noch neu.
Von da an wurde der Vorfahr immer wieder ins Eulenburgsche Schloß Liebenberg bestellt, um abends die Jagdgäste des Kaisers und diesen selbst mit Eulenburgschen Liedern zu unterhalten. Auch ins Neue Palais und ins Marmorpalais wurde er bestellt und durfte, wenn Graf Eulenburg nicht im Lande war und Seine Majestät Sehnsucht empfand nach den Balladen oder nach den Rosenliedern seines Freundes, vortragen, und Seine Majestät hatte die Noten vor sich auf den Knien und blätterte um, wenn Umblättern fällig war. Friedrich Karl von Kahn, wie er jetzt hieß, glaubte, Seine Majestät genieße es, Noten lesen zu können.
Seiner Schwester schrieb er, die Melodien der Eulenburg-Lieder hätten mehr von Schumann als die Texte von Lenau und Heine. Eine Sehnsucht nahm der Vorfahr unerfüllt ins Grab: einmal vom Reisekaiser auf der kaiserlichen Yacht Hohenzollern mitgenommen zu werden ins Mittelmeer und auf Korfu im Achilleon vor dem Kaiser und seinen Gästen singen und spielen zu dürfen.
Das Ende der Hofkarriere unseres Großvaters entsprach nicht ihrem Beginn. Sie hatte ja vernünftig und hilfreich begonnen. Aber der Vorfahr hat offenbar nicht gelernt, wie man auf die Stimmungen des Kaisers zu reagieren hatte. Der Kammerdiener, Herr Quentz, durch den sowohl Graf Eulenburg wie auch der Hofmarschall Baron von Lyncker den Großvater jeweils orderten, hatte zu melden, daß der Kaiser sich überraschend für drei Tage nach Rominten begebe, aber Graf Eulenburg, der zur Zeit heiser sei, könne, selbst wenn er mit von der Partie wäre, abends für den Kaiser, falls der das wünsche, die beliebten Balladen nicht singen. Der Graf könne wahrscheinlich überhaupt nicht mit hinaus nach Rominten, da Seine Majestät nichts so wenig ertrage wie einen vielleicht erkälteten Menschen. Und illustrierte dem Großvater die kaiserliche Empfindlichkeit schnell mit ein paar am Hof kursierenden Geschichten, die wiederum der Vorfahr seiner wilhelmsüchtigen Schwester in Stuttgart genußvoll weitermeldete. Hören Seine Majestät von Ihrer Majestät, eine ihrer Hofdamen habe Halsweh, wird befohlen, daß diese Hofdame das Marmorpalais sofort zu verlassen habe, und von Ihrer Majestät zieht der Kaiser sich zurück, bis erwiesen ist, daß die Kaiserin von der Hofdame nicht angesteckt wurde. Den Hofmarschall von Liebenau fragt er, ob in Potsdam Diphtheritisfälle gemeldet seien. Und der: Nicht daß ich wüßte, Eure Majestät. Diese Antwort empört den Kaiser. Das heiße doch, daß es dem Hofmarschall an dem von ihm verlangbaren Kenntnisstand mangle oder daß Krankheitsfälle verheimlicht würden. Und befiehlt, daß alle Personen des Gefolges, welche Halsschmerzen haben, sofort ins Hospital gebracht werden müssen. Jeder Dienstbote ist informiert und verpflichtet, jede noch so kleine Krankheit in der Familie zu melden. Das gilt für den Generaladjutanten des Kaisers genauso wie für den letzten Küchenjungen. Oft genug hat man den Kaiser bei Empfängen plötzlich wegeilen sehen von einer Person, die dann höchst unglücklich zurückblieb und, gefragt, wovon zuletzt gesprochen wurde, antwortete: Von der Erkältung eines Onkels.
Der Großvater ließ seine Schwester wissen, daß er die Furcht des Kaisers vor Ansteckung insbesondere im Halsbereich nicht belächelnswert finde, er sei als Lehrer winters oft genug voller Angst, etwas von einem Schülerhalsweh einzufangen und dann mindestens eine Woche lang an einer eitrigen Mandelentzündung leiden zu müssen. Nur Immunitätsbarbaren könnten über eine solche Empfindlichkeit spotten. Wenn er die Macht hätte, würde er jeden, der hüstelt oder rotzt, sofort der Schule verweisen.
Graf Eulenburg fiel also als Balladensänger aus, der Großvater wurde bestellt. Für alle Fälle, hieß es.
Zu einem Jagdausflug lud der Kaiser immer mindestens zwei Dutzend Gäste, dazu gehörte ein Troß von sechzig oder achtzig Bedienten. Keine der Leidenschaften des Kaisers, das Uniformtragen ausgenommen, dürfte ihn intensiver beherrscht haben als die Leidenschaft, das Wild zu erlegen.
In Rominten sollte diesmal ein Elch zu sehen sein. Als dort alle die ihnen zugewiesenen Quartiere bezogen hatten, brachen die Gäste auf, um den Elch zu sehen. Der Vorfahr durfte mit. Immerhin war er jetzt Herr von Kahn und ein Künstler. Er stand dann am Waldrand in einer langen Reihe von Herren höheren Ranges, stand mehrere Stunden, die Lichtung, in der der Elch auftreten sollte, blieb leer, der Kaiser war enttäuscht. Also zurück ins Jagdhaus. Das lag nun jenseits der Rominte. Der Kaiser hatte dann plötzlich den Einfall zu befehlen, daß man nicht an der Rominte entlang bis zur Brücke gehe, über die man hergekommen war, er befahl, die Rominte zu durchwaten, und tat das selber allen voran. Es war schon Oktober. Es blieb nichts übrig als zu folgen. Drüben der zweite Befehclass="underline" Keiner geht auf sein Zimmer und kleidet sich um, alle erscheinen so, wie sie jetzt sind, sofort bei Tisch. Der Kaiser erlebte seine Jagdausflüge und das Abschießen der Hirsche und Hasen auch als Ersatz für Kriegerisches. Er ließ, was er tötete, zählen, wie der Feldherr die toten Soldaten des Feindes zählen läßt. Über fünfzigtausend Hirsche und Hasen sollen es gewesen sein. Einmal hat er dem durch die Treiber gestellten Wild, bevor er abdrückte, zugerufen, was sein großer Vorfahre bei Leuthen seinen Soldaten zugerufen hat: Hunde, wollt ihr ewig leben. Von seinen Jagdgästen erwartete er offenbar, daß sie die Jagdsituationen auch mit solchen Vorstellungen erlebten und bestanden.