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In der Karl-Theodor-Stube, rief der andere.

Daß der Immerlaute im Kronprinz Ludwig die Stuben kannte und sogar den Wandspruch der Karl-Theodor-Stube aufsagen konnte, milderte die Abneigung, die sich gebildet hatte, als dessen Suada ihm ins Ohr geprasselt war. Daß einer alles, was er sagt, immer gleich laut sagt, ist interessant. Und wieder eine Amadeus-Stengl-Empfehlung! Mit wem war der eigentlich nicht befreundet! Netzwerk!

Helen war den ganzen Nachmittag in Klausur. So nannte sie es, wenn der Erfolg davon abhing, daß sie ihre Klienten oder Patienten keine Sekunde lang aus den Augen ließ. Heute war es ein Paar, das keines mehr war. Die Anwälte hatten die Scheidung unterschriftsfertig gemacht, Helen behauptete, diese Scheidung wäre ein grotesker Irrtum, dieses Paar sei noch ein Paar. Das wollte sie dem Paar, das keines mehr sein wollte, erklären, beweisen. Helen kämpfte wieder einmal um eine Ehe, als hinge das Schicksal der ganzen Welt davon ab, daß diese Ehe weiter bestehe. Helen, die glücklich Geschiedene und verheiratet mit einem genauso glücklich Geschiedenen, sagte, jede Ehe, die länger als zehn Jahre gedauert habe, sei zu retten.

Er teilte ihr auf der Mobilbox mit, daß er zwei Verabredungen in Herrsching habe. Bei Benedikt Loibl. Es werde sicher nicht spät. Essen werde er bei Benedikt, der wieder ein benediktinisches Schlamassel angerichtet habe, aber als Koch mache er mehr gut, als er geschäftlich vermasseln könne. Bis später, mein Liebes, sagte er und hauchte noch eine Art Kuß nach.

Dann noch Daniela. Da benutzte er kaltblütig den schlimmen Tod seines Bruders. Es war eine Sauerei, Ereweins Tod so zu benutzen. Ach ja, laß bloß keine Gelegenheit aus, dir Vorwürfe zu machen. Wie sagte Diego spät in der Nacht: Genauigkeit darf schon sein. Erewein ist doch anwesend.

Auch wenn er nicht an den Bruder dachte, sah er sich jetzt in einer Distanz zu allem, was er tat, und diese Distanz mußte durch Ereweins Tod entstanden sein. Als sei er durch Ereweins Tod ein anderer geworden. Zwar immer noch der, der er gewesen war, aber als der weiter weg von allem. Er konnte sich Ereweins Sätze nicht zu eigen machen, aber er verstand sie. Er mußte Ereweins Sätze aufnehmen in seine Empfindungen. Das war keine ganz neue Erfahrung: In ihm stritt sich, was sich widersprach, nicht. Einträchtig bestanden in ihm die Gegensätze. Und verlangten keine Schlichtung. Er sah sich als ein Parlament, in dem er dafür zu sorgen hatte, daß nichts zur Regierung wurde. Was in dir Herr werden will, kommt von außen. Karls Lieblingsillusion war doch: Unabhängigkeit.

In der S 6 nach Herrsching beschäftigte sich Karl von Kahn mit der Akte Loibl. Benedikt Loibl, immerhin einer der sieben Ersten. Karl von Kahn noch bei der Hypo, aber schon gekündigt, stieß im Gang, an dem sein Büro lag, mit einem offenbar Betrunkenen zusammen. Der entschuldigte sich nicht, sondern faßte Karl an beiden Schultern, er brauchte Halt. Umbringen sollt ich den da drin, und zeigte auf die Tür von Karls Kollegen, und was tu ich, mich bring ich um, und zwar gleich. Nix für ungut, Herr Nachbar. Aber er hielt sich immer noch fest an Karls Schultern. Siebenhunderttausend, sagte er und fing an zu weinen.

Das war der Anfang. Karl nahm ihn mit nach Hause. Ihm lag damals an Kenntnissen, die gegen die Hypo verwendbar sein konnten.

Ein Hotelpächter also hatte mit aufgenommenem Geld Aktien gekauft, hatte die Aktien bei der Bank als Sicherheit für das aufgenommene Geld hinterlegt, dann sanken die Kurse, die Aktien waren keine Sicherheit mehr, also mußte dem Kunden zum Verkauf geraten werden, das war Alltag, dem Hypo-Kollegen war nichts vorzuwerfen. Das hatte zu einem Verlust von siebenhunderttausend Mark geführt. Zweihundertachtzigtausend waren ihm geblieben. Als er alles erzählt hatte, sagte er: Danke fürs Zuhören. Dann stand er auf und sagte: Heißen tu ich Benedikt Loibl. Und ich glaub, ich muß endlich erwachsen werden.

Karl von Kahn bot sich an, ihm dabei behilflich zu sein. Benedikt Loibl war seit sieben Jahren Pächter des Hotels Engelhof, hatte in sieben Jahren für den Besitzer mehr als eine Million Pacht erarbeitet und kam sich jetzt erschöpft und ausgenützt vor. Er will, solange er noch ein bißchen Kraft hat, etwas Eigenes. Er will wieder kochen. Er darf sich für einen geborenen Koch halten. Aber der Engelhof-Besitzer läßt ihn nur aus dem Vertrag, der noch vier Jahre geht, wenn er einen Nachfolger bringt. Einen solventen. Zwei Nachfolger hat Benedikt Loibl schon präsentiert. Einer wurde abgelehnt, weil er schon zweiundsechzig war und bisher nur Altersheime geführt hatte, der zweite, weil er ein Ausländer war, Rumäne. Schon bis Benedikt Loibl beim Besitzer einen Termin kriegt, dauert das jedesmal drei bis vier Wochen. In Pasing hat er ein Haus, das kann er nicht verkaufen, weil die sechzehn Zimmer an Studenten vermietet sind. Die gehen nicht raus. Wenn Benedikt Loibl dort erscheint, brüllen sie aus den Fenstern im Chor: Kapitalistenschwein. Er soll ruhig Räumungsklage anstrengen, er wird verlieren, ihr Anwalt Christian Ude gewinnt jeden Prozeß. Und als Loibl den Prozeß endlich doch gewinnt, macht der Studentenanwalt geltend, die Studenten stünden im Examen, wüßten nicht, wohin, also könnten sie nicht vor Semesterende ausziehen. Aber er hat in Herrsching am Hang auf einem großen Grundstück ein verfallenes Haus gesehen, das wäre der Platz für ein Hotel mit Restaurant. Schönbichlstraße. Seeblick! Wie das jetzt finanzieren?

Also hatte Karl von Kahn mit dem Besitzer des Hotels Engelhof verhandelt, hatte einen Immobilienkollegen aufgetrieben, der das Haus in Pasing auf Termin Semesterende verkaufte, und hatte mit dem, was er von Loibls Konten noch zusammenkratzen und an Sicherheiten noch dingfest machen konnte, ein Yen-Darlehen von 46 Millionen aufgenommen, hatte das in Mark getauscht, dafür einen Sparkassenbrief gekauft, zahlte für das Yen-Darlehen 2,3 Prozent Zins, kassierte für den Sparkassenbrief 5,2 Prozent und kündigte das Darlehen, als der Yen deutlich fiel und weiter zu fallen versprach, auf ein halbes Jahr im voraus, die Rückzahlung war dann, weil der Yen immer noch weiter fiel, 20 Prozent billiger als der ursprüngliche Erwerb. Dann gab es noch die Verwertung einer nicht unabenteuerlichen Beteiligung an einem van Gogh-Bild. Fünfzigtausend hatte sich ein Gast bei Benedikt Loibl geliehen, hatte für ein halbes Jahr zehn Prozent Zins zugesagt. Mit einem Prozent war Loibl damit an einem van Gogh beteiligt, der für sechs Millionen einen Käufer suchte. Fünfzig Mitbesitzer. Bisher war das Geld der Interessenten kein gutes Geld gewesen. Ein Prozent, das wären sechzigtausend. Plus zehn Prozent Zins. Aber es tat sich nichts. Das Bild im Banksafe. Mit Diegos Hilfe gelang es Karl von Kahn, einen zu finden, der Herrn Loibls Anteil übernahm. Plus siebzehntausend inzwischen fällig gewordener Zinsen. Möglich war das nur, weil Karl von Kahn Graf Lambsdorff als Garanten für die Bonität des van Gogh-Geschäfts nennen konnte.

Benedikt Loibl kaufte in Herrsching und baute. Das Hotel Kronprinz Ludwig samt den Kronprinz-Stuben gedieh. Nach drei Jahren hatte sich Benedikt Loibl im Gault Millaut fünfzehn Punkte erkocht. Er war kein Geschmacksopportunist. Er selber sagte, er sei ein Schmeichler. Er schmeichle aber, sagte er, nicht den Gästen, sondern den Gewürzen, den Gemüsen, den Filets und den Soßen und überlasse es den Speisen, seinen Gästen zu schmeicheln.

Bevor er das Restaurant in den Kronprinz-Stuben eröffnete, hospitierte er noch vier Monate in Baiersbronn bei seinen Vorbildern, den großen Meistern Harald Wohlfahrt und Jörg Sackmann. Und die Betriebsferien im November nutzte er jedes Jahr zu einer Baiersbronner Inspiration. Baiersbronn nannte er den Vatikan der Kochkunst.

Seine Ammersee-Fischsuppe hat er schon im Bayerischen Fernsehen kochen und austeilen dürfen.

Karl von Kahn hatte inzwischen begonnen, für Loibl wieder ein Depot zusammenzubauen, das aber noch keine hunderttausend erreicht hatte. Eine sehr defensive Mischung. Loibl gehörte auch deshalb zu Karls Lieblingskunden, weil bei ihm alles vorkam, was Karl als Finanzdienstleister können wollte.