Er sagte: Schrecklich.
Sie sah ihn intensiv an und sagte: Genau. Und lächelte schon wieder.
Zum Wohl, sagte Joni, die Herren erwiderten.
Es wurden dann drei Flaschen Rioja. Karl von Kahn gestattete nicht, daß Strabanzer bezahle. Der wehrte sich nicht lange.
Karl sagte: Immer bezahlt der Ältere.
Schon wieder ein Spruch, sagte Strabanzer. Ganz unphilosophistisch ist der auch nicht.
Vielleicht bezahlt immer der Ältere, aber der Jüngere zahlt immer drauf, sagte Joni.
Das Leben ist zu kurz für Kalauer, sagte Strabanzer.
Karl sagte: Das Leben ist überhaupt zu kurz.
Und Strabanzer: A la vejez viruelas.
Joni faßte zusammen: Wir bedanken uns für die Einladung.
Shit, sagte Strabanzer. Können Sie mir sagen, warum wir statt Scheiße jetzt shit sagen.
Karl von Kahn sagte, im Deutschen sei uns alles zu nah. Das tut doch weh, sagte er, wenn alles so nah ist. Ich bin für Distanz. Das sagte er nur noch zu Joni hin.
Sie sah ihn an, ihr linker Mundwinkel zuckte, dann brachte sie wieder Ruhe ins Mundwerk, sah aber Karl an, als staune sie. Oder war es nur Neugier? Nein, sie staunte. Ein bißchen.
Wo wirst du sein, wenn es schneit, dachte er.
Und schaute weg, bevor sie wegschauen konnte. Mein Gott, diese Sorte Blickgeplänkel gehört zum Vergehendsten schlechthin. Nichts wirkt weniger nach, von nichts bleibt weniger als von dieser Sorte Blickgeplänkel.
Und Strabanzer wieder: Jetzt reicht’s. Karl stand auf und sagte: Gut gesagt.
Er behielt Jonis Hand nicht zu lang in seiner Hand und zeigte ein Lächeln, das er konnte. Es hieß, daß alles bestens sei. Joni lächelte jetzt so nachsichtig wie eine Buddhabüste. Karl versprach Herrn Strabanzer, er werde sich melden, sobald er sich über eine Beteiligung im klaren sei.
Ach, stimmt ja, sagte Strabanzer, wir wollten etwas finanzieren, was war das wieder? Hahaha.
Theodor Strabanzer wollte Karl in den leichten Sommermantel helfen. Der lehnte ab.
Darauf Theodor Strabanzer tönend laut: Klar, Sie wollen nicht für einen alten Mann gehalten werden, schon gar nicht, wenn unsere Ruhrgebieterin dabei ist.
Karl war froh, daß sie ihm nicht angeboten hatten, ihn im Auto mitzunehmen. Er brauchte jetzt die durch Wiesen und Wälder gleitende S-Bahn-Einsamkeit.
Helen gegenüber blieb nichts anderes übrig, als noch einmal Ereweins Tod auszubeuten. Er muß jetzt allein sein. Am liebsten wäre er nirgends gewesen. Dazu braucht man Geld. Geld absolut. Nicht diese oder jene Summe. Diese oder jene Summe kann sich immer wieder als zu gering erweisen. Gegen Joni Jetter gab es nichts als Geld. Alles Geld der Welt. Beziehungsweise Geld überhaupt. So radebrechte er sich unter den auf ihn niederschauenden Astaugen vorwärts.
Auf der Suche nach einer Empfindung, bei der er bleiben konnte, stieß er auf Strabanzers Haltung ihm gegenüber, auf diese unausgesprochene, aber in jedem Wort, in jeder Geste, in jedem Ton spürbare Überheblichkeit gegenüber dem Älteren. Warum hatte er sich das gefallen lassen? Warum konnte er diesem Strabanzer nichts übelnehmen? Nicht einmal diese andauernd spürbare Überheblichkeit. In jeder Nuance wird ausgedrückt, daß von dir nicht wirklich etwas erwartet werden kann. Mildernde Umstände. Das kennst du. Von früher. Genauso hast du dich Älteren gegenüber benommen.
Strabanzer war nicht anders als alle anderen. Dem war das so wenig bewußt wie allen anderen, die einen Älteren immer behandeln, als müßten sie dem etwas nachsehen. Wenn Joni Jetter nicht dagewesen wäre, wenn sie nicht durch Blicke, Gesten und noch mal Blicke, überhaupt durch demonstrative Anwesenheit ihm deutlich gemacht hätte, daß sie ihn bemerkt habe, dann hätte er wohl nicht so lange dort ausgehalten. Aber weil sie da war und so da war, war jede Sekunde hell, voll, wenn nicht gar toll.
2
Am nächsten Vormittag, noch vor zehn Uhr, verband Frau Lenneweit. Es war Joni Jetter.
Joni sagte: Ich möchte deine Eier lecken.
Da er nie wußte, ob Frau Lenneweit aus geschäftlichem Eifer, um über alles auf dem laufenden zu sein, mithörte, sagte er: Ich bitte, mich auf dem Handy anzurufen.
Joni sagte: Flasche. Rief aber sofort auf dem Handy an und sagte: Ich möchte deine Eier lecken.
Karl wußte auch jetzt noch nicht, was er dazu sagen sollte. Also sagte er: Da mir dergleichen selten, wahrscheinlich noch nie angeboten wurde, frage ich, was auf solche Angebote gewöhnlich geantwortet wird.
Und Joni: Da ich das noch nie angeboten habe, weiß ich nicht, wie gewöhnlich auf ein solches Angebot geantwortet wird.
Karl sagte: Eins zu eins. Da es sich also um Neuland für uns beide handelt, sollten wir einander die Hände reichen und von jetzt an jeden Schritt gemeinsam tun. Keiner führt.
Einspruch, sagte sie, ich will verführt werden.
Das trifft sich ausgezeichnet, sagte Karl, ich verführe fürs Leben gern. Am liebsten mich selbst.
Oje, sagte Joni. Schon wieder so einer.
Und Karclass="underline" Man kann sich’s ja aussuchen.
Joni sagte, die Unterschiede seien am Anfang größer als am Ende.
Ja, sagte Karl, dem Leben fällt nichts Neues ein.
Du bist doch was Neues, sagte sie, für mich. Wenn es nicht meinen Vater gegeben hätte, würde ich sagen, du seist ein Solitär.
So neu wie Sie für mich, sagte Karl, kann ich für Sie nicht sein. Das ist sicher, Frau Joni Jetter.
Darüber reden wir, sagte sie und sprach, daß er nicht antworten konnte, gleich weiter: Wenn du jetzt sagst, du müssest deinen Terminkalender befragen, dann lassen wir’s. Also paß auf, was du jetzt sagst.
Karl sagte: Ich kann, wenn es um Joni Jetter geht, immer.
Heute abend, halb neun, im Kronprinz Ludwig, in der Kronprinzen-Stube.
Bis dann, liebe Joni Jetter.
Ciao, Herr von Kahn.
Karl saß eine Zeit lang reglos. Er sah zum Fenster hinaus. Es regnete. Die Vereinsbank-Fassade gegenüber hatte Glanz durch Nässe.
Shit statt Scheiße, im Deutschen alles zu nah, ich bin für Distanz, Joni schaute ihn an, das war der Berührungsmoment gewesen. Der ist kein bißchen vergangen. Wie sie ihn angeschaut hatte! Wenn er wissen will, warum er Joni Jetter liebt, dann holt er diesen Augenblick zurück. Daß dieser Augenblick auffällig war, wurde durch Strabanzers Jetztreicht’s-Reaktion bewiesen. Sein genervtestes Jetzt-reicht’s des ganzen Abends. Karl hätte diesen Augenblick gefeiert, auch wenn sie jetzt nicht so direkt angerufen hätte. Amadeus Stengl würde sagen: So ein Anruf, das ist der Hammer. Konnte Karl diese Sprache noch lernen? Eine Fremdsprache, ohne Zweifel. Und schön wie jede Fremdsprache.
Jetzt erlebte Joni Jetter in seinen Gedanken eine Vergegenwärtigung, der er nichts entgegenzusetzen hatte. Eine Anwesenheitssteigerung! Wehr dich gegen die Lächerlichkeit der Wörter, aber sag dir, daß nur die Wörter lächerlich sind. Traumfrau. Was Frauen in seinen Träumen für ihn tun! Und keine dieser Frauen kennt er. Jedesmal wenn er aus einem solchen Traum aufwacht, lebt er zuerst in der Einbildung, die Frau gebe es. Diese Einbildung wirkt sich auf sein Benehmen Frauen gegenüber aus. Er erwartet bei jeder Frau, auf die er aufmerksam wird, daß sie eine der Erträumten sei. Dann möchte er am liebsten jeder der Frauen die Gelegenheit geben, so zu ihm zu sein, wie sie im Traum zu ihm war. Da diese Frauen in seinen Träumen nie viel anhaben, bleiben zur Identifizierung nur das Gesicht und die Haare. Und gerade da sind die Traumfrauen eher allgemein als genau. Genau sind sie in dem, was sie tun. Aber an das, was sie in den Träumen für ihn tun, wagt er sie in der Wirklichkeit am wenigsten zu erinnern. Hatte je eine Frau, die ihm begegnete, eine Traumqualität wie Joni Jetter?
Er fischte aus der Kofferkammer die feinste Tasche. Produziert in Mailand, gekauft in Kopenhagen, seit über zwanzig Jahren im Gebrauch.