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Karl zog sie an sich, drehte ihr Gesicht nach oben und sagte: Dieser Regen ist nur für uns bestimmt.

Ein seidenweicher Regen aus dünnsten Fäden, ein Sprühregen eigentlich, in dem keine Tropfen vorkamen. Eine überirdische Erfrischung. Joni erlebte es genauso wie er.

Daß es dich geben muß, habe ich immer gehofft, sagte er. Wenn es dich nicht gäbe, wäre alles sinnlos gewesen. Weil es dich gibt, ist jetzt alles voller Sinn. Sogar Geschlechtsverkehr, das Unwort aller Unwörter, wird durch dich sinnvoll. Es gibt nichts als Geschlechtsverkehr. Alles andere ist Umweg, Ablenkung, Täuscherei, Betrug. Beim Geschlechtsverkehr mit dir erfahre ich, warum ich da bin.

Irgendwann sagte Joni: Halt. Sie sagte es zweisilbig. Dann stellte sie sich vor ihn hin und sagte: Du bist durchgeknallt.

Und du?

Ich bin die, die einen Durchgeknallten hat.

Er nahm ihre Hand und zog sie mit sich, zog sie nach rechts vom Weg weg. Sie waren gerade über eine kleine Brücke gegangen, die über einen Bach führte, der in den größeren Kienbach wollte. Es ging steil hinab. Karl war voraus, fing Joni auf und zog sie unter die Brücke. Sie wehrte sich nicht. Aber auch wenn sie sich gewehrt hätte, er hätte nicht nachgeben können. Sie war eingeschlafen. Mit ihm im Bett, dann eingeschlafen. Das mußte er ihr heimzahlen. Ihn beherrschte eine fröhliche Wut. Komm, Schuhe ausziehen, alles ausziehen, nicht überlegen, glaub deinem Mann, solche namenlosen Bäche, die genau wissen, wohin, wirken Wunder. Bis über die Knie ging ihnen das Wasser. Er stellte sich hinter sie, zärtelte an ihr herum, wichtig war, daß sie ihn dabei nicht sah, nur spürte. Dann riß er sie spielerisch an sich und stellte sie so hin, wie es sich gehörte. Sie streckte sich ihm so entgegen, daß es keine Kunst war. Die Innenwände noch passabel vom Vormittag. Ihn begeisterte es, Joni nahm’s spielerisch, zuerst summte sie, dann sang sie sogar. Und er verstand, was sie sang.

Under the boardwalk out of the sun

Under the boardwalk we’ll be having some fun

Under the boardwalk people walking above

Under the boardwalk we’ll be making love

Under the boardwalk …

Es wurde deutlich genug, daß das ihr Beitrag zur Szene war. Mochten Leute über ihnen die Brücke überqueren, sie waren unerreichbar für den Rest der Welt.

Droben auf dem Weg erreichte ihn wieder alles. Er fing wieder an. Ob sie nicht begreife, daß er wissen müsse, von welchen Männern sie unter welchen Umständen die Geschlechtsteile in ihren Mund, in ihren doch unbestreitbar ungeheuren Mund genommen habe.

Für sie kein Thema, sagte sie.

Bitte, sagte er, es gehe nicht um Eifersucht, sondern um Aufklärung.

Im weitesten Sinne, sagte sie und lachte.

Er habe gelesen, bei de Sade stehe, männliches Sperma schmecke wie Eßkastanien.

Das finde ich nicht, sagte sie spontan. Lachte dann, weil sie merkte, daß sie gesagt hatte, was sie nicht hatte sagen wollen.

Das ist mein Testtext, sagte er, um seinerseits eine leichte Tonart anzubieten. Stamme alles aus dem Feuilleton.

Und sie: Daß er das Feuilleton lese, wundere sie.

Wer war es, sagte er.

Sie: Wer war was?

Von dem du’s getrunken hast, sagte er.

Getrunken, sagte sie und machte aus dem Wort einen kreischenden Unlaut.

Geschluckt, sagte er.

Sie sagte: Schluß.

Karl sagte: Den zeige ich an.

Joni sagte: Wen jetzt schon wieder?

Den Museumspädagogen in Duisburg, sagte Karl. Er hat dich, als er dich in der Sprechstunde zur Tür brachte, am Oberarm berührt. Das ist sexual harassment. Was hast du angehabt?

Weiß sie nicht mehr.

In welcher Jahreszeit?

Ende Sommersemester.

Also leicht bekleidet. Hat er beim Blusenärmel hineingelangt? Er stellte sich vor sie hin, legte ihr seine Hände auf die Schultern. Ich muß es wissen, sagte er.

Was, sagte sie.

Und er: Alles.

Ham wir noch nicht gehabt, sagte sie.

Und er: Was?

Sie: Du solltest eine Auswahl bestellen. Sagen wir: Die dreizehn besten Ficks. Wär das ein Angebot? Weißt du, alles, das könnte sich hinziehen.

Und er: Du nimmst mich nicht ernst. Dann: Ich bin zwei Zentimeter kleiner als Fürst Bertram.

Hab ich registriert, sagte sie.

Sein Handy meldete sich. Es war ihm jetzt doch lieber, daß es nicht Helen war, sondern Daniela. Sie sagte: Wieder die ganze Nacht nicht geschlafen, weil du mich nicht genug liebst.

Es tut mir leid, sagte er.

Mehr, sagte sie, bitte, viel mehr.

Ich wollte sagen, es tut mir leid, daß ich jetzt nicht sprechen kann. Also, bis später. Und beendete die Verbindung.

Joni sagte: Tut mir auch leid. Meinetwegen hättest du sagen können, was du willst. Lügen, Wahrheit, ist doch alles dasselbe.

Alter Vogel singt nicht mehr, sagte er.

Schaut nur noch durchs Nadelöhr, sagte sie.

Soll da durch als ein Kamel, sagte er.

Samt seiner aufgeblasnen Seel, sagte sie.

Beide lachten.

Jetzt wollte Karl wenigstens wissen, wie der Museumspädagoge, der auch kein Künstler ist, den sorgfältigen Beischlaf gemacht hat, der weiter führte als bei jedem anderen.

Aber nicht bis zum springenden Punkt, sagte sie.

Aber fast, sagte er.

Aber eben nicht ganz, sagte sie.

Aber was hat er getan, womit hat er sich das verdient: sorgfältiger Beischlaf.

Minimum eine Stunde Vorbereitung, sagte sie.

Frikadellen und Mumm extra dry, sagte Karl.

Wenn man liebt, wird aus Mumm Dom Pérignon.

Den bring ich um, sagte Karl. Dann den Pseudo-Dostojewskij. Aber dann auch den Schaum-Schwamm-Moschus-Lavendel-Fürsten. Warum, bitte, hat sie den Museumspädagogen so geliebt?

Das ist ein Thema, sagte sie. Seine Stimme, ihre Ungeschütztheit gegen alles Akustische, seine neugierigen Hände.

Neugierige Hände, was ist jetzt das schon wieder, sagte er.

Und sie: Du nix verstehn.

Karl sagte, er werde jeden dieser Herren in ein Gespräch ziehen. Als Finanzdienstleister. Er habe ein paar Offerten-Nummern drauf, deren Betörungspotenz unwiderstehlich sei. Zwanzig Prozent Gewinn, steuerfrei, bei abgefedertem Risiko. Schiffsbeteiligungen von bequemster Sicherheit. Jedem dieser Herren werde er sagen, daß die Geldkunst eine jüngere Schwester der Theaterkunst sei. Geld macht noch beliebter als Theater. Er werde den Herren Angebote machen, die für ihn selber riskanter seien als für diese Herren. Aber da er die betören wolle, sei ihm das das Risiko wert. Und wenn die betört seien, werde er ihnen ins Private folgen, so lange folgen, so gezielt reden mit denen, daß Joni vorkommen müsse. Dann werde er die zum Reden bringen. Den Mundentdecker, den Erniedriger, den Heuler, den Schaum-Schwamm-Moschus-Lavendel-Fürsten.

Und dann, sagte Joni.

Dann werde er sich als Joni-Bewunderer zu erkennen geben.

Das wirst du nicht, sagte sie.

Dann werde er einen nach dem anderen umbringen. Entweder erledige er das selber oder lasse es von einem der dafür in München jederzeit abrufbaren Russen besorgen.

Und Joni: Jetzt noch dein Motiv, bitte.

Er liebe Joni, sagte er, und ertrage es nicht, daß da Herren herumliefen, die behaupten könnten, von Joni geliebt worden zu sein. Bis zum Exzeß. Mit jedem wollte sie’s für immer.

Nur mit vieren, sagte Joni.

Um diese vier gehe es, sagte Karl, daß die weiterlebten, peinige ihn. Joni hätte jeden dieser vier Herren geheiratet. Für immer. Joni sei eine Liebende, für die die Liebe sofort zum Schicksal werde. Ein Mann, der das nicht spüre, der aus Joni eine Affäre mache, der habe sein Leben verwirkt.

Lustig, sagte Joni, klingt wie Marquis Posa.