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Es wurde ein grotesker Geschlechtsverkehr, weil Karl seinen Ernst nicht auf Helen übertragen konnte. Sie lispelte nicht, und das Vergißmeinnichtblaßblau ihrer Augen gewann nicht die leuchtende Wegwartenbläue. So blieb er bis zum Schluß ernst, heftig und allein. Um Helen das spüren zu lassen, bedankte er sich, als alles vorbei war.

Helen sagte: So eine schöne Überraschung.

Das so war vielleicht doch ein bißchen gelispelt. Hoffte Karl. Nein, Helen hatte mitgemacht wie eine Sprechstundenhilfe. Unerweckt ist geblieben der Herzenshauptsatz Ich will ein Kind von dir. Und ohne den ist immer nichts.

4

Daß Karl von Kahn gleich von Joni träumte, war schon erstaunlich. Der Traum hätte ja Seelenfiguren mobilisieren können, die längst in ihm heimisch waren, hätte sie mit Jonifrequenzen und — stimmungen aktuell aufplustern können, aber nein, Joni trat gleich in der ersten Nacht persönlich auf. Sie absolvierte ihren Auftritt sitzend. An einem Tisch saß sie rechts neben Karl. Links neben ihm saß Diego. Der spricht an Karls Gesicht vorbei heftig zu Joni hinüber. Und beleidigt sie. Joni reagiert so: Sie reißt ihren Kaugummi in der Mitte auseinander und schiebt Diego die Hälfte davon in den Mund. An Karl vorbei streckt sie ihre Hand bis zu Diegos Mund. Der schnappt richtig nach der Kaugummihälfte. Und hat sofort auch eine Kaugummihälfte in der Hand und schiebt die an Karls Gesicht vorbei ihr in den nur zu bereitwillig geöffneten Mund. Karl muß es hilflos geschehen lassen. Er will aufspringen, abhauen, aber da bemerkt er, daß er an seinen Stuhl gefesselt ist.

Das Frühstück wurde wie immer eröffnet mit Wielands Trunk. An diesem Morgen spürte Karl, daß er den Trunk ablehnen müßte. Daß er ihm trotzdem schmeckte, nahm er sich übel. Zur Zeit fragten Helen und Karl einander öfter nach ihren Träumen. Helen war eingeladen, im September auf einem Kongreß über das Thema Der Traum in der Paartherapie ein Referat zu halten, also war sie zur Zeit besonders daran interessiert, die Träume ihres Mannes zu erfahren.

Nein, sagte er auf die Routinefrage, er könne sich nicht erinnern, in der letzten Nacht irgend etwas geträumt zu haben.

Schlamper, sagte Helen, man träumt immer etwas, man muß nur rechtzeitig aufpassen, daß der Traum nicht versinkt.

Rechtzeitig, sagte Karl, wann ist das?

Wenn der Traum aufzuhören beginnt, sagte Helen. Die Traumenergie läßt nach, das spürt man auch im Traum. Was geträumt werden mußte, ist geträumt. Wenn man zum Beispiel eine peinliche oder schmerzliche Erfahrung macht im Traum, wenn es, das erlebt man doch heftig, ungut enden will, enden muß, wenn man dieses ungute Ende kommen sieht, man kann nicht fliehen, ist ins Desaster gebannt, dann ist der Moment gekommen, wo man sich bewußt werden muß, daß das ein Traum ist, und sei es ein böser. Ein Traum hört immer dann auf, wenn er seine schlimmste oder seine schönste Stelle erreicht hat. Und je böser die Träume, desto deutlicher prägen sie sich ein.

Um auch etwas beizusteuern, sagte er, daß Gundi neuerdings ihre Gäste nach ihren Träumen frage und sogar eigene Träume ziemlich kraß anbiete. Vielleicht sollte sich Helen da bedienen.

Träume im Fernsehen, sagte Helen, das sei absurd. Das ist, wie wenn du einen unentwickelten Film der grellen Sonne aussetzt. Träume müssen wie Filme in der Dunkelkammer entwickelt werden. Sie werde beim Traum-Kongreß im Herbst vorschlagen, im nächsten Jahr das Thema Träume, wie erzählt man sie zu behandeln. Ihr Referatthema wäre dann, wie Bettina Brentano und Achim von Arnim einander in Briefen ihre Träume erzählen …

Karl mußte jetzt wirklich gehen. Helen war beleidigt. Er versuchte, glimpflich davonzukommen.

Heute bräuchte ich dich so, sagte sie.

Heute abend, sagte er. Ich komme früh, nein, früher, nein, am frühesten.

Zu Frau Lenneweit konnte er sagen, seine Frau habe ihn heute nicht gehen lassen wollen.

Recht hat sie, sagte Frau Lenneweit.

Die Puma-Charts lagen auf seinem Tisch. Im Mai hatte Severin Seethaler für die 1,2 Millionen von Diego Puma-Aktien für ihn gekauft. Aus Sentimentalität. Puma hatte seine Schläger gekauft, Karl wollte wieder bei seinen Schlägern sein. Inzwischen hatte sich Mayfair, die Verwaltung der Tchibo-Geschwister, mit 17 Prozent bei Puma hineingekauft, und Puma selber war immer noch mit Aktienrückkauf beschäftigt. Bis 2011 sollen eigene Aktien für 200 oder 300 Millionen zurückgekauft werden. Weil Puma so im Steigen war und weil er bei steigenden Kursen kaufte, wie er bergauf beschleunigte, hatte er im Mai nicht nur für die 1,2 Millionen von Diego Puma gekauft, sondern noch achthunderttausend dazugelegt. Daß Amei Varnbühler-Bülow-Wachtel damals den Verkauf ihrer Puma-Werte so temperamentvoll abgelehnt hatte, kann eine Rolle gespielt haben. Er empfing von seinen Kunden soviel Botschaften wie sie von ihm. Jetzt hatte er auf dem Tisch das Puma-52-Wochen-Hoch: 238,80, das Tief: 171,50. Tageskurs: 217,00 Er würde ordern: Verkauf bei 220. Nein, bitte nicht! Bei 225. Gekauft für 193. Das hieß ein 32Plus pro Aktie, ist gleich sechzehn Komma soundsoviel Prozent! Und um die 10 000 Stücke hatte er gekauft. Also ein Plus von 320 000. Also würde ihn sein Zwei-Millionen-Einsatz beim Film nur 1,68 Millionen kosten. Herr Seethaler würde ein solches Quantum ohnehin nicht auf einmal auf den Markt werfen, sondern Stück für Stück einstellen.

Bis Strabanzer das Geld braucht, wird es dasein.

Sollte Karl wirklich so tun, als wolle er das Drehbuch lesen, bevor er einstieg? Nein. Er wollte das Drehbuch allenfalls lesen, weil Strabanzer als seine Ästhetik angekündigt hatte: Am Leben entlang. Da durfte man gespannt sein. Theodor Strabanzer war kein Luftikus, kein Hochstapler, schon gar kein Betrüger. Erstaunlich genug, daß er Strabanzer aushielt, obwohl der doch offensichtlich Jonis Liebhaber war. Gegen Strabanzer mußte er nichts unternehmen. Noch nicht. Joni hatte bis jetzt noch keine Strabanzerschen Bettgesten geliefert. Karl konnte sich mit Strabanzer nichts vorstellen, was ihn so gepeinigt hätte wie der Meister des sorgfältigen Beischlafs, wie der Kußpädagoge und Erniedrigungsspezialist Pseudo-Dostojewskij und der Schaum-Schwamm-Moschus-Lavendel-Fürst. Den pausbäckigen Dreier-Propagandisten nicht zu vergessen. Vielleicht hat so eine Troika stattgefunden, und Joni hat es nicht gestehen können. Zu dritt, das konnte er sich nur als eine Service-Groteske vorstellen. Besser gar nicht. Zu Strabanzer mußte Joni noch Material liefern, damit eine Art Vorstellbarkeit möglich wurde. Karl würde gegen Strabanzer vorerst nichts unternehmen. Strabanzer war ein Leidensvirtuose, basta.

Über das Tagesgeschäft hinausgehende Entscheidungen hatte Karl von Kahn immer von seinem Gefühl abhängig gemacht. Dieser Strabanzer war durch Verletzungen geworden, wie er jetzt war. An diesem Tiroler-Katalanen kam Karl einiges verwandt vor. Je bedrohlicher der Horizont sich näherte, um so heftiger blühte die Illusion, unbesiegbar zu sein. Und von dieser Illusion konnte man zehren. Von ihr lebte man. Sie ist die Kraftquelle schlechthin. Außer ihr ist nichts …

Er rief Joni an. Per Handy. Er wollte nichts wissen, nicht stören, nicht einmal hören, ob sie gut gelandet sei in Berlin, er wollte nur sagen: Ich liebe dich. Sie sollte, da sie sicher in einer beruflichen Situation eingeklemmt war, nichts sagen. Er rief einfach an.

Sie sagte: Jaa.

Er meldete sich, sagte seinen Satz und daß er nichts wolle als diesen Satz sagen.

Sie sagte: Du wirst immer anrufen, wenn es am wenigsten paßt.