Rudi-Rudij: Volldepp.
Strabanzer: Schon eher. Jetzt bleibt nur noch Stengl.
Rudi-Rudij: Exzellenz Stengl.
Strabanzer: Das Oberarschloch.
Rudi-Rudij: Eine Million.
Strabanzer: Zwei.
Im Bocca di Leone-Quartier am Frauenplatz 10. Ein langer Gang, an dem viele Zimmer liegen. Oft das Firmen-Wappen: Der Löwenzahn.
Strabanzer, am Telefon: Stengl! Alter Freund! Und Exzellenz! Verzeih, wenn ich dich wegen einer Bagatelle stör. Durch dümmliche Nachsichtigkeit, haarsträubende Gutmütigkeit und andere unverzeihliche Menschlichkeiten habe ich meinen Partner Patrick, du kennst ihn, dazu verführt, mich zu betrügen, hereinzulegen nach allen Regeln unserer Kunst. Und weil er ein Depp ist, hat er das Geld in Frankreich vertan. Ich steh da, kann nicht anfangen mit dem besten Film des neuen Jahrtausends, wegen lumpiger zwei Millionen. Und die werden sich so rentieren, daß ich nur einen hereinnehme, dem ein sattes Sümmchen zu gönnen ist. Also, bitte, empfiehl mir Würdige.
Strabanzer hört, was Stengl sagt.
Strabanzer: Ich hab’s gewußt, du, der Metternich des Finanzwesens, wirst es richten. An den unausbleiblichen Gewinnen dieses Films bist du mit zwei Prozent dabei. Genau. Du auch. Ich umarme dich. Servus.
Rudi-Rudij: Das reicht für heute.
Strabanzer: Sogar noch für morgen.
Rudi-Rudij: Jetzt brauchen wir nur noch einen Film.
Strabanzer: Immer noch ’nen Film und noch ’nen Film.
Rudi-Rudij: Die anderen tun so, als seien sie geil drauf, einen nach dem anderen zu drehen.
Strabanzer: Flaschen müssen filmen.
Rudi-Rudij: Wer bringt das Geld?
Strabanzer, hat es notiert: Karl von Kahn. Plus Nummer. Ruf an.
Rudi-Rudij: Du.
Strabanzer: Komm.
Sie knobeln. Strabanzer verliert.
Strabanzer: Das fängt gut an.
Rudi-Rudij: Als Verlierer bist du unschlagbar.
Strabanzer: Spiel mir Joni wird entdeckt vor, bitte!
Rudi-Rudij holt die Kassette, der kurze Film läuft.
II.
Es schneit in großen Flocken, die auf der Autoscheibe sofort vergehen und als Tränen verlaufen. Strabanzer kommt zu spät. Die Beerdigung ist schon im Gange. Er muß aber einen Platz haben, von dem aus er sieht, was passiert.
Der Pfarrer, liest gerade: Ich bin die Wahrheit und das Leben. Zum Vater kommt man nur durch mich. Amen.
Ein Freund: Liebe Ingrid, liebe Trauergemeinde. Bevor Benno sich erschossen hat, hat er aufgeschrieben: Und keine Reden am Sarg. Wir wissen, warum. Er war ein Feind der Phrase. Als Schauspieler genauso wie als Mensch. Wir respektieren seinen letzten Wunsch. Wir verharren in stummer Trauer. Musik.
Strabanzer hat die drei Witwen gesehen und in einigem Abstand die junge Frau, die deutlicher weint als die Witwen. Strabanzer drängt sich durch. Er kondoliert den Witwen. Und er ist nicht der einzige, der auch der jungen Frau kondoliert. Er gibt ihr die Hand.
Strabanzer: Kenn ich Sie?
Sie schüttelt den Kopf.
Strabanzer, mit einer Geste: Gehören Sie dazu?
Sie schüttelt den Kopf –
Strabanzer: Kommen Sie.
Er zieht sie mit sich hinaus zum Auto. Sie fahren, ohne zu sprechen, stadteinwärts. Daß sie nicht sprechen, wirkt pathetisch.
Im Café an der Leopoldstraße. Sie sind immer noch nicht im Gespräch.
Strabanzer: Sie sind Schauspielerin.
Joni: Schauspielschülerin.
Strabanzer: Wo?
Joni: Keller-Scheel.
Strabanzer: Klitsche.
Joni: Ja.
Sie sind wieder stumm.
Strabanzer: Haben Sie Benno Brauer gekannt?
Joni: Nein. Oliver Keller-Scheel hat gesagt, geh hin, da lernst du was.
Strabanzer: Auf Beerdigungen immer.
Pause.
Strabanzer: Benno hat in meinem ersten Film mitgespielt.
Joni: Sind Sie Regisseur?
Strabanzer: Ich habe alles probiert, um keine Filme drehen zu müssen. Holzspielzeug auf Bauernmärkten verkauft. Schließlich blieb nur noch Regisseur. Als niemand bemerkte, daß ich kein Regisseur bin, bin ich dabei geblieben. Zähneknirschend.
Sie sind wieder stumm. Aber er sieht, daß er den Ton getroffen hat, für den Joni empfänglich ist.
Strabanzer: Du hast toll geweint.
Joni: Ich weiß.
Strabanzer: Das freut mich.
Sie sind wieder stumm.
Joni: Die ist hübsch.
Strabanzer schaut fragend.
Joni: Die Fliege.
Strabanzer: Vorsicht, bitte. Das ist keine Fliege, sondern ein Schmetterling. Der Schmetterling der sexualreligiösen Gemeinschaft, deren Gründer und einziges Mitglied ich bin. Es handelt sich um den Einsamkeitsfalter der westlichen Welt.
Joni: Ich bin begeistert.
Strabanzer: Ich auch.
Strabanzer: Kennst du das Wort Literaturverfilmung?
Joni: Ja.
Strabanzer: Das Gegenteil ist Naturverfilmung. Ich werde deinen Mund verfilmen. Das ist eine Naturverfilmung. Einverstanden?
Joni: Klar.
Sie sind wieder auf der Leopoldstraße.
Strabanzer: Darf ich dich heimfahren?
Joni: Nein.
Sie gehen, ohne zu sprechen, bis zum Auto.
Joni: Ich habe noch eine Verabredung.
Strabanzer, schreit fast schmerzlich: Mit wem?
Joni, genauso: Mit dem Weltgeist.
Strabanzer: Gott sei Dank.
Strabanzer gibt ihr seine Karte.
Joni: Bocca di Leone.
Strabanzer: Zu deutsch Löwenzahn.
Joni: Du machst mich kühn.
Strabanzer: Das ist mein Job.
Joni: Ich verlasse die Konversation.
Strabanzer: Ich stelle die Sitzlehne senkrecht.
Joni: Meine Bescheidenheit ist eine Anmaßung.
Ich werde mich anpassen.
Ich werde nur willkommene Vorschläge machen. Ich werde allen Männern nach dem Mund reden.
Kein Mann wird von mir erfahren, was ich über ihn denke.
Wenn es mir gelingt, ein Rätsel zu werden, kann ich froh sein.
Ciao.
Sie geht.
Strabanzer: Grüß den Weltgeist von mir.
Sie bleibt stehen, nickt deutlich, dann geht sie.
III.
Strabanzer: Da machen wir weiter. Du schreibst ihr die Hauptrolle.
Rudi-Rudij: Wenn sie sie mir liefert.
Strabanzer: Sie wird. Zeig mir, bitte, noch schnell Strabanzer haut ab.
Rudi-Rudij legt die Kassette ein.
Rudi-Rudij: Diese Schwarzweiß-Masturbation mußt du allein anschauen. Ich habe zu arbeiten.
Strabanzer schaut sich sein Solo an. Den Text hat er selber gesprochen. Man sieht immer wieder, wie hingerissen er ist von dieser Solo-Nummer. Als Sprecher ist er hemmungslos pathetisch. Er kommentiert sich, als kommentiere er einen Weltstar, den er bei Höchstleistungen beobachtet und uneingeschränkt verehrt. Sein Pathos ist sich seiner selbst bewußt. Es ist also ein voll parodistisches Pathos. Aber kein denunziertes Pathos. Es genießt sich selbst. Es findet sich toll.
Strabanzer und Rudi-Rudij und Joni auf der Bühne eines Kinos. Vor der Leinwand. Auf der Leinwand steht in großer Schrift:
WER DIE LIEBE LIEBT
DEN WIRD DIE LIEBE LIEBEN.
Ein Film von Theodor Strabanzer.
Geschrieben von Rudi-Rudij.
Das Ende der Pressekonferenz. Strabanzer steht auf, nimmt Papiere an sich. Rudi-Rudij will nicht aufstehen. Offenbar beendet Strabanzer die Pressekonferenz überraschend schnell. Auch Joni schaut erstaunt.
Strabanzer: Sie sehen, meine Sympathisanten Joni Jetter und Rudi-Rudij wollen noch. Ich aber muß. Gehen. Hat mich gefreut, der Elite unserer Filmkritik ein paar Sätze zu sagen über mein geniales Machwerk WER DIE LIEBE LIEBT DEN WIRD DIE LIEBE LIEBEN. Auf Wiedersehen.
Strabanzer stopft die Papiere, die er an sich genommen hat, in eine Abfalltonne an der Leopoldstraße. Da sitzen Leute in Straßencafés und lesen die Zeitung. Strabanzer erlebt es als Schock. Er rennt. Immer wenn er wieder einen Zeitungsleser sieht, ändert er die Richtung. Jedesmal rennt er noch schneller. Und biegt ab, rennt in eine Seitenstraße hinein. Kein Café, keine Zeitungsleser. Er wird langsamer. Er ist entkommen. Man sieht jetzt, was er erzählt. Im großen Ton erzählt.