Выбрать главу

Strabanzer haut ab. Immer nach einem Film haut Strabanzer ab. Nach einem Film wäscht er sich kaum noch. Rasieren kommt nicht mehr in Frage. Bald kann er die Leopoldstraße rauf- und runterstolpern, auch alte Bekannte kennen ihn nicht mehr. Das ist Genuß pur. Dieses Verkommendürfen. Ohne Verneinung sein. Das heißt, Zeitungen meiden. Zeitungen, das ist der Erdteil der Verneinung. Strabanzer geht in allen Straßen auf alle zu, zwischen allen durch, jeden und jede schaut er so lange wie möglich an, er wartet darauf, daß sich etwas gegen die Angeschauten rühre. Nichts. Es ist eine Harmonie mit allen. Er hat gegen keine und keinen etwas. Und weil er für alle ist, sind alle für ihn. Es ist ein buntes Gewimmel, durch das Strabanzer geht. Wie durch den Wald geht er durch die Menschenmenge. Gleich hinterm Karlstor steht ein Mann vor einer bis zur Winzigkeit geschrumpften Frau. Die hockt auf der Brunnenfassung. Der Mann überlegt, was er tun könne für dieses geschrumpfte Wesen.

Sie ruft: Schaug, daß waida kimmst, Depp, greisliger.

Der Mann lächelt und geht glücklich weiter.

Ein Dritter, der die beiden beobachtet hat, offenbar ein Wiener, ruft der Geschrumpften zu: Hoid dia Babbn.

Alle sind miteinander verbunden. Keinem kann etwas passieren. Zwei Herren werden durch Entgegenkommende für zwei Sekunden getrennt, müssen ihr Gespräch lauter führen. Kriegszeiten, ruft der eine fröhlich dem anderen zu, sind immer schon Hoch-Zeiten für die Weizenbörse gewesen.

Im Hirschgarten setzt sich Strabanzer zu den anderen. Kriegt sein Bier und sagt: Zum Essen brauch i net vui, bloß zum Trinken.

Hier gibt es nur Sätze, denen man zustimmt.

Do hot mir mai Muatta scho den Rücken gestärkt, wenn mai Vota gschumpfn hot. Zua Suppn hob i Wassa drunkn. Zua Suppn Wassa, hot der Vota gschrien. Wos is nochher, hot dia Muatta g’sagt, des wird er scho brauchn.

Alle klopfen ihren Beifall auf die dicke hölzerne Tischplatte.

A sovui Hund wia hait hot’s no nia gem.

Das sagt eine. Alle klopfen ihre Zustimmung auf den Tisch.

Wann’s noch mir gengat, miaßt’s no vui mehr Hund gem.

Noch mehr Zustimmung.

Einer übernimmt: Mehr Hund ois Lait.

Geklopfter Beifall.

Ieberhaupt mehr Viacher ois Menschn.

Das ist der Höhepunkt. Die Zustimmung donnert auf den Tisch.

Seng ma uns am Hasenbergl, sagt einer und geht.

Bleibt’s mir troi, sagt Strabanzer zu seinen Trinkgenossen. Dann bleib i nämlich eich a troi. Ja, Freinderl und Freinderlinnen, glaabt’s es oder glaabt’s es net, i bin amoi Schultes gwen in ara Stodt.

Alle rufen bravo.

Drauf hom s’ mi g’schasst, weil i g’sogt hob, a jeda, wo ins Rathaus kimmt, muaß a Flascherl Bier mitbringa. Ohne Bier kimmt koaner net zu mir. Des war’s dann.

Alle klopfen den Beifall auf den Tisch. Plötzlich entdeckt Strabanzer, daß einer der Penner eine Zeitung liest. Er geht auf den zu, will dem die Zeitung aus den Händen schlagen, kann aber nicht. Er haut ab. Rennt wieder, bis er irgendwo ist, wo keiner Zeitung liest. Er setzt sich auf die Stufen eines Springbrunnens und hält seinen Hut hin. Fällt eine Münze hinein, nickt er und murmelt: Vergelt’s Gott, aber schaut nicht auf. Dann fällt statt einer Münze eine violette Fliege in den Hut. Strabanzer greift sich an den Hals. Er trägt immer noch eine Fliege, aber jetzt trägt er sie am bloßen Hals. Strabanzer schaut auf. Rudi-Rudij nimmt ihn an der Hand und führt ihn zum Liebfrauenplatz 10. Führt ihn nicht wie einen Gefangenen, sondern wie ein Kind oder wie einen sehr alten Mann.

Strabanzer wird gebadet, gewaschen, rasiert. Während Rudi-Rudij das macht, sagt er Koran-Suren und Bibelpsalmen auf. Er leiert bewußt Texte, die sich nicht auf die augenblickliche Lage beziehen lassen. Sie dienen dazu, Strabanzers Interesse zu wecken. Das gelingt. Strabanzer hört zu, als höre er einer Erzählung zu, die ihm endlich die Welt erklärt. Er ist begeistert und ruft manchmal seine Begeisterung in Rudi-Rudijs Vortrag hinein. Er hat einfach nicht gewußt, daß es Texte gibt, die so toll sind, ohne daß sie einen auch nur im geringsten etwas angehen oder einem etwas bedeuten. Er ist inzwischen wieder perfekt gekleidet. Rudi-Rudij führt ihn ganz vor ins Kaminzimmer. Im Kamin ist aus Zeitungen eine Pyramide errichtet. Rudi-Rudij setzt Strabanzer auf seinen Platz an, dann zündet er die Zeitungen an. Beide schauen zu.

War’s schlimm, fragt Strabanzer.

Rudi-Rudij: Wenn wir nicht wären wie alle, könnten wir einpacken.

Du bist ein bißchen weniger wie alle, sagt Strabanzer.

Und du erst, sagt Rudi-Rudij.

Und Strabanzer: Frag mich, wie’s bei mir war.

Rudi-Rudij: Wie war’s bei dir?

Strabanzer nickt. Er sieht, daß die Zeitungen verbrannt sind. Er reckt sich und streckt sich, er produziert sich neu. Und lächelt selig. Sein Bärtchen beginnt zu leuchten.

IV.

Joni tritt in verschiedenen Kostümierungen auf. Strabanzer will sie bürgerlicher. Nicht anständiger. Aber feiner. Nicht so direkt verrucht, sondern feinverrucht, edelverrucht, verlogen verrucht. Rudi-Rudij sagt nichts, er macht sich Notizen. Endlich, als Joni im fast goldfarbenen, rüschenbesetzten, asymmetrischen, weit ausgeschnittenen Edelfetzen kommt, ist Strabanzer zufrieden.

V.

Strabanzer kehrt zurück vom ersten Abend mit dem Finanzier. Er ist munter, fast verschmitzt und nicht so laut, wie er ist, wenn er mit Leuten draußen umgehen muß. Kaum sitzt er, kommt Rudi-Rudij.

Strabanzer: Das will ich doch hoffen.

Rudi-Rudij: Ich höre.

Strabanzer: Das Marne-Wunder, wie es im Buche steht.

Rudi-Rudij: Nix verstehn.

Strabanzer: Ach du lieber Zarensohn. 1914, Frankreich schon verloren, die Hunnen überrennen la douce France, da karren die Frenchies mit allen Taxen von tout Paris ihre Garçons hinaus und gebieten dem deutschen Überfall Halt. An der Marne. Es war ein Wunder.

Rudi-Rudij: Und?

Strabanzer: Die Hunnen waren nicht würdig, daß sie eindringen durften in die Vierge Française.

Rudi-Rudij, ungeduldig: Und!?

Strabanzer: Und wir kriegen zwei Millionen, wenn du dem Finanzbaron ein paar kitzlige Seiten vollschreibst mit was er für einen Film halten kann.

Rudi-Rudij: Betrug ist unproduktiv.

Strabanzer: Unterschätz mich nicht so, Herzchen. Ein paar Seiten voll des züngelndsten Inhalts. Das ist ja erst das Marne-Wunder. Dein Rodrigo erlebt dort sofort, auf den ersten Blick mit seinem zur Fixierung tendierenden Linksauge, wie der Finanzbaron Joni sieht, sie entdeckt und sich in einer Millionstelsekunde durch und durch klar wird über die grausame Konsequenz dieser Entdeckung. Er sieht, was ihm passiert, was ihm passieren wird, sein grandios grauenhaftes, unvermeidbares Schicksal sieht er und kann schon nichts mehr machen. Er ist verloren. Und weiß es.

Rudi-Rudij: Soll er mir leidtun?

Strabanzer: Privatisierst du jetzt oder was? Das ist der Film. Herzchen, das ist das Warne-Munder.

Rudi-Rudij: Marne-Wunder.

Strabanzer: Richtig. Und heißt: Othello-Projekt.

Rudi-Rudij: Othello mag ich.

Strabanzer: Durch deinen Rodrigo ging der Blitz so schnell und total hindurch und durch den Geldbaron auch. Im Nu ist die Idee, ist der Film da, ist das Projekt geboren und heißt: Das Othello-Projekt. Im Nu redet dein Rodrigo vom Othello-Projekt wie von einem reifen Plan, fehlt bloß noch ein Sümmchen. Und ich jammere natürlich, wie scheiße ich das finde, einen Fickfilm nach dem anderen, und schwärme vom Tabubruch-Film, dem Ohne-Fick-Film der Zukunft, aber zuerst Das Othello-Projekt, das sich seines Erfolgs nicht wird erwehren können. Und der Finanzmogul war von deinem Rodrigo angetan, von Joni erobert, eröffnet wurde ihm: Theodor Strabanzer filmt immer hart am Leben entlang.