Elmar zwingt sich, am Geländer stehenzubleiben. Er hält sich fest.
Ina: Elvis ist ein Indianer. Nicht per Abstammung. Geistig. Psychisch. Er hat zwei Jahre unter den Navajos gelebt. Eine Rothaut ohne Farbe.
Elmar: Wie oft?
Ina: Was?
Elmar: Schläft er mit dir?
Ina: So gut wie nie.
Elmar: So gut wie nie!! Fabelhaft. Was heißt das pro Woche?
Ina: Es war immer nur möglich, wenn seine Frau auswärts war. Oder wenn wir, er und ich, auswärts waren. Er hätte das nicht gekonnt, mit mir schlafen, dann heim. Sie hätte ihm angesehen, wo er herkommt.
Elmar: Hochsensibel. Erschütternd moralisch. Hinreißend tragisch. Gratuliere. Ich bestelle dir, wenn du in Berlin übernachten willst, ein Zimmer. Auf einer anderen Etage.
Ina: Frag doch, wie es war mit ihm.
Elmar: Ach nein.
Ina: Es war nichts. Ich habe fingiert und fingiert.
Elmar: Schauspielerin.
Ina: So ist es. Aber ich habe ihn geliebt. Wegen seiner Stimmungsumschwünge. Plötzlich keine Wolken mehr, grellste Sonne, und gleich wieder die schwärzeste Verhangenheit.
Elmar: Dann der rettende Coitus.
Ina: Er hat sich die zärtlichste Mühe gegeben. Eine volle Stunde Vorbereitung. Mit dem Finger.
Elmar: Ein Gitarrist!
Da sie merkt, daß das ein Weg zurück ist zu Elmar, fährt sie fort.
Ina: Da er zwar lange, aber sehr dünne Finger hat, habe ich ihm empfohlen, zwei zu nehmen.
Elmar schlägt ihr ins Gesicht. Reißt sie an sich und weint.
Ina schaut auf die Uhr.
Ina: In vier Minuten kommt Mrs. Fay.
Elmar: Willst du dabeisein?
Ina schüttelt den Kopf. Sie gehen rasch hinein. Ina legt sich in den zweiteiligen Sessel im Schlafzimmer. Er zieht seine Jacke an.
Elmar: Bis gleich.
XI.
Elmar kommt zurück von seiner Besprechung, Ina ist eingeschlafen, das Buch, ein Taschenbuch, in dem sie gelesen hat, ist ihr aus den Händen gerutscht und liegt auf ihren nackten Schenkeln. Elmar nimmt es vorsichtig auf und sieht, es ist ein Buch von C. S. Lewis, Der Ritt nach Narnia. Das begeistert ihn. Der fünfte Band der Narnia-Chroniken. Seine Mutter hat ihm alle sieben Bände vorgelesen. Er hat das, auch als er selber schon lesen konnte, von ihr verlangt. Er möchte Inas Vorleser sein.
Er kniet sich neben sie, küßt sie ein bißchen, streichelt sie, streichelt sie so, daß sie erwacht. Es folgt ein frommer Kuß. Er holt schnell eine Flasche Bier und zwei Gläser aus der Minibar, setzt sich auf das Fußteil des Liegesessels und stößt mit ihr an.
Ina: Und?
Er nickt.
Ina: Gut?
Elmar: Sehr.
Ina: Sag doch.
Elmar: Rein geschäftlich. Mrs. Fay ist keine Navajo, spielt nicht Gitarre, hat keine langen Finger …
Ina, gequält: Ich sage dir nie mehr etwas.
Elmar: Mrs. Fay, seit zwanzig Jahren Kundin, jedes Jahr mit wenigstens zwei Millionen Dollar dabei, verliebt in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, will jetzt einen Kirchner, den sie geerbt hat, aber nicht liebt, er ist ihr, sagt sie, zu teigig, den will sie einem Museum in Boston schenken. Wie und von wem soll sie den Kirchner-Wert feststellen lassen, wenn sie doch den Schenkwert von der Steuer absetzen kann?
Ina: Und? Was soll sie tun?
Elmar: Ganz einfach. Sie muß das Bild einem New Yorker Auktionator geben, ein Kollege von mir bietet mit, überbietet jeden anderen, kriegt fünftausend dafür, treibt den Preis auf siebzehn oder neunzehn Millionen, kriegt den Zuschlag, Mrs. Fay behält das Bild, schenkt es her und setzt, nach Abzug der Spesen, mindestens fünfzehn Millionen von der Steuer ab.
Ina: Und du?
Elmar: Bei mir kauft sie dieses Jahr statt eines Renoir zwei Renoir. Die Femme au col de dentelle und Quai Malaquais. Sie ist, darf ich sagen, Wachs in meinen Händen.
Ina springt auf und führt ihn hinaus auf die Dachterrasse. Draußen zündet sie sich eine Zigarette an. Sie will sich an ihn schmiegen, das erinnert ihn an den Streit. Er kann jetzt nicht mehr herumrennen, aber er kann von ihr keine Zärtlichkeit mehr ertragen. Er schiebt sie weg. Er erträgt keine Berührung mehr. Er starrt in die Friedrichstraße hinunter. Sie lehnt sich so vorsichtig an ihn, daß er es kaum bemerken muß. Das läßt er zu.
XII.
Elmar in seinem Zimmer über dem Geschäft in der Brienner Straße. Er wählt. Besetzt. Er wählt, bis der Angerufene sich meldet.
Kraile: Hier Elvis Kraile.
Elmar weiß nicht, was er sagen soll.
Kraile: Hallo! Hallo! Was soll das denn, anrufen und sich dann nicht melden. Sind Sie wahnsinnig. Brüllt: Sie tun mir leid!
Er legt auf. Elmar wählt noch einmal, Kraile meldet sich, Elmar murmelt, brummt völlig unartikuliert. Kraile wird nervös.
Kraile: Wenn Sie noch einmal anrufen, schneide ich mit und übergeb es der Polizei. Legt auf.
Elmar setzt sich an den Computer, sucht eine nicht alltägliche Type und schreibt hastig. Druckt aus, fünf Seiten, legt sie in eine Mappe. Dann zieht er seine älteste Jacke an und eine ebenso alte Mütze. Sein Schweizer Armeemesser muß auch mit. So in die Stadt. Im Bahnhof weiß er ein Geschäft, in dem es das Schweizer Messer gibt. Vier Stück kauft er. Nuschelt was von vier Söhnen. Jetzt braucht er einen Russen. Er spricht mehrere an, die begreifen nicht, was er will. Endlich ein Russe, der kapiert. Für jeden Brief, den der Russe ihm auf Band spricht, kriegt er einhundert Euro. Elmar hat eine Bank im Hofgarten gefunden, um die herum am späten Nachmittag nicht zuviel los ist. Der Russe liest die Briefe, schaut dann Elmar halb kritisch, halb belustigt an. Er will zuerst das Geld.
Elmar: In Deutschland zuerst die Arbeit, dann das Geld.
Der Russe: Gutt.
Elmar hat sein kleines Sony eingeschaltet, der Russe liest mit dem erwünschten Akzent, mit den erwünschten Sprachschwierigkeiten und mit dem erwünschten Männlichkeits-Ton.
Der Russe, liest: Herr Museumspädagoge Spiegelvögler. Ich kann deutsch nicht schreiben. Schick ich Ihnen hier das Armeemesser von der Schweiz. Mit diesem werden Sie erstochen. Von hinten. Tut also nicht weh. Ich mach von hinten, weil Zweikampf liegt mir nicht. Auf dem Parkplatz. Sie machen Autotür auf, ich stoß zu. Den Stoß kann ich …
Elmar: Moment. So geht das nicht. Sie lesen das ja wie den Wetterbericht. Sie müssen drohen. Verstehen Sie, drohen, bedrohen, Angst machen. Der Herr muß blaß werden, zittern, gar nicht mehr schnaufen können vor Angst. Ich zeig es Ihnen.
Er nimmt den Brief und liest, daß es drohend klinge. Es ist Laientheater, aber in seiner Übertriebenheit doch beeindruckend. Vor allem die Pausen, das Atemholen, das grimmige Weitermachen, das Nichtanderskönnen, der Ernst.
Elmar: Verstanden?!
Der Russe nickt. Elmar läßt das Band zurücklaufen. Der Russe liest den Text jetzt auch so. Imitiert den Drohton, mit seiner dafür geeigneteren Stimme geht es weiter.
Der Russe: Schauen Sie um, vor Sie Autotür öffnen, nichts zu sehen. Aber vor Sie sitzen, hab ich schon gestochen. Sie wissen, warum. Frauengeschichte. Wieviel Studentinnen haben Sie so behandelt. Sie wissen es. Mir geht um eine, die ich sehr liebe. Stich passiert, wenn Tage kürzer und früher Nacht. Noch dazu: Wenn ich Sie hingerichtet, ich kann auch nicht mehr leben dann, klar. Ich töte noch die Frau, dann mich. Nur daß Sie wissen, ich mache Ernst. Schluß.
Elmar: Nicht schlecht. Die erste Bezahlung, bitte schön. Jetzt, der zweite Brief. Lesen Sie mal.
Der Russe liest leise. Elmar wechselt das Band.
Der Russe, liest ins Mikro: An die Frau Museumspädagoge. Ihr Mann jetzt bald wird er gefunden an seinem Auto erstochen. Nicht klagen. Gerechtigkeit. Zu viele Studentinnen hat er auf die Couch gelegt und verlangt, die Beine breit, wenn Sie waren außer Haus. In die Bluse gegriffen. Mädchen glauben, eine Ehre und ein Vorteil, wenn der Pädagoge sie will. Haben alles gemacht, was er befohlen hat. Immer mit Spiegel. Und möchte ewig so weitermachen. Aber jetzt ist Schluß. Ein Stich, und Schluß. Muß sein. Grüßt ergebenst der Hinrichter.