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Strabanzer: Einverstanden?

Joni: Doch. Sehr schön. Oder?

Sie schaut zu Arthur hin.

Arthur: Schatz, mich mußt du nicht fragen — ich finde leider alles gut, was du gut findest.

Joni küßt ihn noch schnell.

Strabanzer: Das drehen wir morgen. Danke.

Rudi-Rudij, im Hinausgehen, gewissermassen triumphierend Strabanzer ins Ohr: Die hast du verloren.

Strabanzer, mit parodistisch erhobenem Zeigefinger und in einem ebensolchen Ton, der zu diesem Text nicht passt: Armut ist eine Blume mit empfindlichen Blättern.

Joni und Arthur haben den Spruch noch mitgekriegt.

Arthur: Daß unser Film dieses Motto hat, macht mich einfach glücklich. Dich nicht auch, Joni?

Joni: Was dich glücklich macht, sollte mich überglücklich machen.

Strabanzer und Rudi-Rudij haben das gehört.

Rudi-Rudij: Prima!

Jetzt würden alle den Vorführraum verlassen. Aber Joni ruft.

Joni: Einen Augenblick, wenn ich bitten darf.

Sie geht auf die Bühne, stellt sich vor die Leinwand, breitet die Arme aus, als wären es Flügel. Weil es keine sind, läßt sie sie fallen.

Joni: Ich habe auch noch einen Text.

Sie hebt wieder die Arme, läßt sie wieder fallen. Dann spricht sie:

Mädchenpsalm. Frauenpsalm. Psalm.

Ich habe keinen, ihn anzusingen,

und ich mach mir auch keinen.

Ihr habt mich gelehrt, euch als Verschiedene zu sehen.

Mir zeigt ihr euch als eins.

Mich nicht zu kennen habt ihr mich gelehrt.

Die Autos werden besser, die Menschen nicht.

Ich wäre gern euer Paradebeispiel für Gelungenes,

erfände gern Farbvulkane aus Musik.

Zu singen ist alles, zu sein mit Wörtern,

für was es nicht gibt.

Strabanzer rennt zu Joni hinauf, umarmt sie und läßt sie nicht so schnell los. Sie sind, vor der Leinwand, ein Paar-Denkmal.

Rudi-Rudij: Moment!

Strabanzer: Das drehen wir. Das ist gekauft. Wir fliegen auf die Alpspitze. Dann sagt sie das. In die Welt. Und kein Mensch hört’s.

Rudi-Rudij, höhnisch: Auf der Alpspitze, klar.

Strabanzer: Also, auf dem Stachus. Und keiner hört’s. Komm, Kind.

Sie verlassen den Vorführraum, Joni zwischen Strabanzer und Arthur Dreist, Dreist zieht sie zu sich, sie geht mehr mit Dreist als mit Strabanzer. Strabanzer kriegt unversehens eine Art Haltung. Wird durch Alleinsein heroisch. Sein linkes Auge bleibt stehen. Starr.

VORLÄUFIGES FILM-ENDE.

Am Leben entlang, dachte Karl. Dir kann nichts passieren, dachte er, solange du dir nichts anmerken läßt. Wenn man dir etwas anmerkt, setzt die Teilnahme ein. Die ist ein Verstärker von allem. Auch der Demütigung. Ein Mensch ist, solange er allein ist, nicht zu demütigen. Gedemütigt wird er vor anderen. Das ist der Sinn der Demütigung. Zum Glück hast du keinen Freund.

9

Karl von Kahn hat noch versucht, Helen auf dem Hausapparat zu erreichen. Er wollte ihr sagen, daß er auf seinem Sofa übernachte.

Am nächsten Morgen war unübersehbar: Helen war von ihrem Kongreß nicht nach Hause gekommen. Auf dem Tisch lag ein Kuvert, DIN A4, an ihn adressiert. In Helens großen Buchstaben. Er rannte aber doch schnell hinauf ins Schlafzimmer. Unberührt. Helens Brief wollte er jetzt nicht lesen. Ihre Briefe waren immer umständliche Mitteilungen. Immer länger als nötig. Ihm fiel ein, was er geträumt hatte. Zum Glück konnte Helen jetzt nicht diesen Traum aus ihm herausfragen. Er hatte mit der Freundin eines Freundes schlafen müssen. Er tat das eifrig, stolz darauf, daß das so problemlos ablief. Dann wischte sie, die noch unter ihm lag, ihrem zuschauenden Freund schnell übers Gesicht, eine Art spielerischer Ohrfeige. Er glaubte, sie wolle ihrem Freund ihre Verachtung ausdrücken, weil der das, was ihr gerade geschehen war, nicht so gut gekonnt hätte. Aber sie sagte zu ihrem Freund: Jetzt zeig ihm dein Tagwerk. Gern, sagte der und trat dem jetzt schutzlos auf dem Rücken Liegenden mit aller Wucht in den Bauch. Daran war Karl erwacht. Atemnot.

So einen Traum muß man nicht übersetzen. Der ganze Traum kam ihm vor wie eine geballte Faust. Als stehe der Traum noch bevor. Er ging ins Freie. Ging draußen hin und her. Wahrscheinlich würde Helen gleich heimkommen. Sollte er das Frühstück organisieren, daß sie, wenn sie kam, sich nur noch hinsetzen mußte? Wahrscheinlich hatte sie schon gestern, bevor sie zum Kongreß fuhr, gewußt, daß sie im Kongreß-Hotel übernachten werde. Das hatte sie ihm sicher in ermüdender Umständlichkeit geschrieben. Sie erklärte immer jede Unwichtigkeit so ausführlich, daß man mitten in diesen Nichtigkeitsentfaltungen wie von der plötzlich spürbaren Wirkung einer Schlaftablette überfallen wurde. Der Grund dieser anstrengenden Ausführlichkeit: Sie ertrug es nicht, mißverstanden zu werden. Im Vorbeigehen nahm er noch die Post mit hinein. Ein Brief von Arthur Dreist. Den mußte er allerdings sofort lesen. Und las:

Sehr geehrter Herr von Kahn,

unverlangt, aber aus einer Art unvermeidlicher Teilnahme an allem, was um mich herum passiert, schreibe ich Ihnen diesen Brief. Die Fakten kennen Sie. Aber wenn die Fakten ein härteres Gesicht haben, als ihnen zukommt, dann darf unsereiner sich einmischen und dem Ganzen zum richtigeren Ausdruck verhelfen. Berufsethos, sozusagen. Deshalb also muß ich, glaube ich, mitteilen, daß Sie keinerlei negative Stimmung aufkommen lassen dürfen, wenn Sie an Joni denken. Es ist nichts passiert, was vorwurfswürdig wäre. Das Leben selbst hat geurteilt, also die Natur, und daß das, über alle Ansichtssachen hinaus, unsere höchste Instanz ist, wissen wir. Egal, ob wir es in jedem Augenblick gelten lassen können oder nicht. Es nicht gelten zu lassen führt nur zu Lug und Trug, Täuschung und Enttäuschung. Ein schlichter, aber bei aller Schlichtheit unwiderlegbarer Beleg: Joni hat, bevor sie mir gestattete, sie zu lieben, noch nie einen Orgasmus erlebt. Es war immer alles Schauspielerei gewesen. Und sie ist durch und durch eine vorzügliche Schauspielerin. Zu erleben, wie sie ist, wenn sie nicht mehr spielt, war etwas jenseits des Mitteilbaren. Und als Naturereignis unanzweifelbar. Das ist, bitte, nicht das Verdienst dessen, der das jetzt erleben durfte. Es ist das ungeheure Glück dessen, bei dem es endlich fällig war. Wir wollen das nicht aufdröseln. Ihnen sei nur gesagt: Sie versäumen nichts. Joni war nicht Ihre Frau. Jetzt ist sie meine.

Mit freundlichen Grüßen, auch von Joni, die diesen Brief sehr billigt,

Ihr

Arthur Dreist

Eine Zeit lang saß Karl reglos, dann griff er doch nach Helens Brief. Hatte er jetzt ein Bedürfnis nach ihrer gegenstandsarmen Ausführlichkeit?