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Graves stolperte noch zwei Schritte weiter und blieb unweit des Ausgangs stehen, bevor er sich hastig umdrehte. »Helfen? Bist du wahnsinnig? Wie denn helfen! Renn, Mann!«

Als ob es dafür nicht längst zu spät wäre! Die beiden Ghoule waren allerhöchstens noch drei oder vier Schritte entfernt, und Mogens hatte schon mehr als einmal erlebt, wie unglaublich schnell diese scheinbar so schwerfälligen Geschöpfe sein konnten. Er konnte rennen und wie ein Feigling auf der Flucht sterben, oder das tun, was er vor neun Jahren hätte tun sollen, und sich seinem Schicksal stellen. Statt Graves zu folgen, drehte er sich wieder um und erwartete den Tod. Er hatte keine Angst. Er hat gesehen, was die Klauen dieser Monster anrichten konnten. Es würde schnell gehen.

Die beiden Ungetüme waren bis auf zwei oder drei Meter herangekommen, nun aber erstaunlicherweise stehen geblieben. Tiefe, drohende Knurrlaute drangen aus ihren Kehlen, und beide hatten die Zähne gefletscht und die Lefzen hochgezogen. Mogens spürte ihre Wut und Wildheit, aber da war auch noch mehr. Jedes einzelne dieser Geschöpfe war in der Lage, ihn in einer Sekunde in Stücke zu reißen, und dennoch spürte er etwas, das zwischen Respekt und Furcht schwankte. Da war etwas, was Graves gesagt hatte. Aasfresser. Sie waren Aasfresser, keine Beutejäger, und genau wie Geier oder Hyänen waren sie schreckliche Gegner, wenn sie zum Kampf gezwungen wurden, aber sie wichen ihm dennoch aus, so lange es nur ging.

Vorsichtig, unendlich langsam, um nicht durch eine unbedachte Bewegung doch noch einen Angriff zu provozieren, hob er die Arme und wich rückwärts gehend vor den beiden Ghoulen zurück. Eine der Bestien schnappte nach ihm, aber es war eine reine Drohgebärde; die zusammenschlagenden Kiefer kamen nicht einmal in seine Nähe. Unendlich behutsam machte er einen weiteren Schritt.

Hinter den beiden Ungeheuern bewegte sich ein Schatten, und Mogens hörte ein halblautes Stöhnen.

»Tom, um Gottes willen, bleib liegen!«, keuchte er. »Rühr dich nicht!«

Er sah nicht hin, um sich davon zu überzeugen, dass Tom seine Warnung beherzigte, sondern machte einen weiteren Schritt, und dann noch einen und noch einen, bis er neben Graves stand.

»Mogens, was...«, begann Graves.

»Still!«, unterbrach ihn Mogens hastig, aber in so erschrockenem Ton, dass Graves mitten im Satz verstummte. »Sie tun uns nichts! Sieh doch! Ich glaube, sie wollen nur ihren Kameraden befreien!«

Tatsächlich waren ihm die beiden Ghoule nicht weiter gefolgt, sondern näherten sich - noch immer misstrauisch schnüffelnd, knurrend und dann und wann drohend in seine und Graves' Richtung schnappend - dem Sarg, in dem der gefangene Leichenfresser lag. Mogens erschauerte, als er sah, mit welcher Leichtigkeit ihre Krallen die daumendicken Stricke des Netzes zerfetzten. Nur einen Moment später zerbrachen auch die eisernen Fesseln, die den Ghoul hielten, und die Kreatur richtete sich mit einem triumphierenden Heulen auf. Ihre wie spitze nadelscharfe Dolche gebogenen Fänge schnappten wütend in Mogens' Richtung. Übel riechender Geifer troff von ihren Lefzen, und in ihren Augen loderte die blanke Mordlust, aber auch sie machte keine Anstalten, sich auf ihn oder Graves zu stürzen.

Stattdessen gesellte es sich zu seinen beiden Kameraden, die sich schnüffelnd und knurrend dem Kasten mit Hyams' Leichnam näherten. Ein einziger, wütender Krallenhieb zerfetzte den Deckel aus fast fingerdickem Eichenholz, ein zweiter Hieb ließ die Metallbänder davonfliegen, mit denen er verstärkt war. Eines der Geschöpfe stieß ein triumphierendes Zischen aus, während es sich vorbeugte und den Leichnam der Archäologin in die Höhe riss.

Irgendwo hinter ihnen erscholl ein lautstarkes Scheppern und Klirren, und als Mogens erschrocken herumfuhr, sah er ein flackerndes gelbrotes Licht, das sich durch den Hieroglyphengang näherte.

»Ju - hu, Doktor Gra - haves! Professor?«, ertönte eine wohl bekannte, schrille Stimme. »Ich bin es, Betty Preussler!« Das Flackern der Kerze kam näher, und einen Augenblick später wurde auch die Besitzerin der Stimme sichtbar, die mit einem Tablett voller schepperndem Geschirr, einer dampfenden Kanne und der brennenden Kerze vor der Brust auf sie zu kam. »Ich dachte mir, wenn Sie schon nicht auf mich hören und die ganze Nacht durcharbeiten, dann bringe ich Ihnen wenigstens einen starken Kaffee.«

»Um Gottes willen«, keuchte Mogens. Dann spürte er die Bewegung hinter sich und schrie, so laut er konnte: »Miss Preussler! Laufen Sie weg! Retten Sie sich!«

Selbstverständlich lief Miss Preussler nicht weg, sondern machte im Gegenteil noch zwei weitere Schritte, bevor sie stehen blieb und verständnislos in seine Richtung blinzelte. »Aber Professor«, sagte sie. »Ich wollte Ihnen doch nur...«

Mogens hörte, wie Graves hinter ihm entsetzt aufschrie und sich zur Seite warf, dann traf ihn etwas mit solcher Wucht in die Seite, dass er gegen die Wand geschleudert wurde und benommen in die Knie brach. Eine rote Lohe aus reinem Schmerz explodierte vor seinen Augen, sodass er für einen Moment fast blind war. Aber er hörte Miss Preussler schreien, dann das Scheppern von Metall und das helle Splittern von zerbrechendem Porzellan, und dann noch einmal ihre Schreie, höher, spitzer diesmal, und von einem Entsetzen erfüllt, das selbst den Nebel aus Schmerz durchdrang, der sich über Mogens' Sinne gelegt hatte. Stöhnend wälzte er sich herum und zwang sich, die Augen zu öffnen.

Graves war auf der anderen Seite des Ausganges ebenfalls gegen die Wand geprallt und zu Boden gesunken. Er hatte die Knie an den Leib gezogen und die Unterarme schützend vors Gesicht gerissen. Einer der Ghoule stand drohend über ihn gebeugt da, knurrte und geiferte ihn an und schlug manchmal mit den Krallen in seine Richtung, ohne ihn indes auch nur zu berühren. Der zweite Ghoul hatte sich Hyams' Leichnam über die Schulter geworfen und entfernte sich humpelnd, und gerade in diesem Augenblick tauchte das dritte Ungeheuer aus dem Gang auf. Es hatte Miss Preussler mit beiden Armen gepackt und trug sie ohne die geringste Mühe, und zumindest war sie noch am Leben und bei Bewusstsein, denn sie kreischte aus Leibeskräften, schlug und trat wie besessen auf ihren Entführer ein und versuchte gar, ihm mit den Fingernägeln das Gesicht zu zerkratzen. Das Ungetüm zeigte sich davon jedoch nicht im Geringsten beeindruckt, sondern machte sich im Gegenteil nicht einmal die Mühe, ihre Attacken abzuwehren.

Beseelt vom Mut der Verzweiflung, sprang Mogens hoch und warf sich auf den Ghoul.

Es gelang ihm nicht, das Ungeheuer zu Boden zu werfen, oder es auch nur dazu zu bringen, sein hilflos strampelndes Opfer loszulassen. Der Ghoul reagierte mit einem unwilligen Knurren und einer blitzartigen Bewegung, die fast beiläufig aussah, Mogens aber mit der Wucht eines Hammerschlages traf und ihm die Luft aus den Lungen trieb. Messerscharfe Krallen schlitzten sein Hemd auf, und er hatte weniger Glück als Graves zuvor: Vier grausame, parallel verlaufende Linien aus gleißendem Schmerz rasten von seinem Oberschenkel bis fast unter seine Achsel hinauf, und Mogens sank erneut auf die Knie und fiel gleich darauf auf die Seite. Warmes Blut lief klebrig und schwer an seinem Körper herab, und der Schmerz wurde so schlimm, dass er darum flehte, das Bewusstsein zu verlieren.

Diese Gnade wurde ihm nicht gewährt. Mogens trieb eine Zeit lang auf dem schmalen Grat zwischen Wachsein und Ohnmacht dahin, aber schließlich kämpfte er sich mühsam wieder ins Bewusstsein zurück - absurd genug, denn zugleich wünschte er sich auch nichts mehr, als endlich von der grausamen Qual erlöst zu werden. Aber da war noch etwas, was er tun musste, etwas, das wichtiger war als seine Furcht, mehr wog als der grässliche Schmerz. Er stemmte sich hoch, stürzte prompt auf die verwundete Seite und wimmerte vor Schmerz, aber irgendetwas gab ihm die Kraft, die Pein niederzukämpfen und sich ein weiteres Mal in die Höhe zu arbeiten.