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»Ich fürchte, das kann ich nicht zulassen«, sagte Graves ruhig.

»Und ich fürchte, Sie können mich nicht daran hindern«, antwortete Miss Preussler.

Mogens erlebte ein kleines Wunder: Graves' Gesicht verfinsterte sich erwartungsgemäß, und in seinen Augen glomm ganz genau jener Ausdruck auf, der schon vor einem Jahrzehnt seine Kommilitonen an der Universität stets dazu bewogen hatte, einen möglichst großen Bogen um ihn zu schlagen, und er konnte sehen, wie sich seine Kiefermuskeln so verspannten, dass er allen Ernstes damit rechnete, im nächsten Moment das abgebissene Ende seiner Zigarette zu Boden fallen zu sehen. Statt der erwarteten Explosion jedoch blieb Graves zwei oder drei Sekunden lang vollkommen still, dann sagte er ganz ruhig: »Miss Preussler, ich fürchte, Sie haben nicht ganz verstanden, worum es hier geht. Es könnte dort unten... ziemlich gefährlich werden. Um ehrlich zu sein - ich rechne sogar ernsthaft damit, dass wir in einen Kampf mit diesen Kreaturen verstrickt werden.«

»Und da wollen Sie eine arme, schutzlose alte Frau wie mich natürlich nicht in Gefahr bringen.« Miss Preusslers Stimme troff geradezu vor Hohn. »Ich denke, ich habe bewiesen, dass ich selbst auf mich aufpassen kann, Doktor Graves.«

Mogens genoss den Anblick von Graves' Gesicht in vollen Zügen.

»Unmöglich!«, sagte er. »Ich kann diese Verantwortung unmöglich übernehmen und...«

»Niemand verlangt von Ihnen, irgendeine Verantwortung für mich zu übernehmen«, sagte Miss Preussler. Ihre Stimme war plötzlich viel ruhiger, fast schon sanft, was für Mogens ein ganz unzweifelhaftes Zeichen darstellte, dass das Thema damit für sie erledigt war. »Ich werde Sie, Thomas und den Professor begleiten. Punktum.«

Graves begann fast verzweifelt mit den behandschuhten Händen zu ringen. »Miss Preussler, ich bitte Sie, nehmen Sie Vernunft an!«, flehte er. »Diese Kreaturen sind möglicherweise nicht einmal die größte Gefahr, auf die wir dort unten stoßen. Wir wären unter Umständen noch nicht einmal in der Lage, Sie zu beschützen!«

»Sie meinen, ich wäre nur eine Belastung für Sie«, sagte Miss Preussler. Sie schüttelte abermals den Kopf. »Aber auch was das angeht, kann ich Sie beruhigen, Doktor. Mit Gottes Hilfe bin ich diesen Unholden schon einmal entkommen, und ich kann mir nicht vorstellen, dass dies ohne Grund geschehen ist. Dort unten sind noch andere Menschen, die der Rettung bedürfen.«

»Und genau deshalb werden wir dort hinuntergehen, Miss Preussler!«, antwortete Graves in einem Tonfall, den er selbst für überzeugend und keinen Widerspruch duldend halten mochte, der in Mogens' Ohren jedoch schon fast verzweifelt klang. »Wir werden tun, was immer in unserer Macht steht, das versichere ich Ihnen, aber...«

»Ich komme mit«, unterbrach ihn Miss Preussler, und diesmal in einem Ton solcher Endgültigkeit, dass selbst Graves es nicht mehr wagte, ihr sofort zu widersprechen. »Es sei denn, Sie versuchen mich mit Gewalt daran zu hindern.«

Graves' Augen wurden schmal. »Führen Sie mich nicht in Versuchung, Miss Preussler«, sagte er leise.

»In diesem Fall allerdings«, fuhr Miss Preussler ungerührt fort, »müsste ich mich auf der Stelle auf den Weg in die Stadt machen, um Sheriff Wilson von meiner Entdeckung zu berichten.«

Es war bei der herrschenden Dunkelheit schlecht zu erkennen - aber Mogens glaubte regelrecht zu hören, wie auch noch das letzte bisschen Farbe aus Graves' Gesicht wich. »Das würden Sie nicht tun!«, keuchte er.

»Das müsste ich sogar«, korrigierte ihn Miss Preussler sanft. »Dort unten befinden sich Menschen in Lebensgefahr, Doktor Graves. Ich bin sogar verpflichtet, ihnen zu helfen. Und wenn ich das selbst nicht kann, so doch wenigstens die Behörden zu informieren.«

»Einen Fußmarsch in die Stadt?«, erwiderte Graves verächtlich und beging damit seinen allerletzten und schlimmsten Fehler, auf den es aber vermutlich schon gar nicht mehr ankam. »Sie wären allein bis Sonnenaufgang unterwegs, um das Büro des Sheriffs auch nur zu erreichen.«

Miss Preussler lächelte zuckersüß. »Aber ich bitte Sie, mein lieber Doktor«, sagte sie. »Bis zum Lager Ihrer geschätzten Kollegen ist es allerhöchstens eine Stunde, selbst für eine alte Frau, die nicht mehr so gut auf den Beinen ist. Ich bin sicher, dort wird man mir gewiss eine Fahrgelegenheit in die Stadt zur Verfügung stellen.«

Graves' Gesicht erstarrte endgültig zu Stein. »Das ist Erpressung, das wissen Sie.«

»Jetzt übertreib es nicht, Jonathan«, mischte sich Mogens ein. Er gab sich keine Mühe mehr, das schadenfrohe Grinsen von seinen Lippen zu verbannen. »So, wie ich die Sache sehe, nutzt Miss Preussler lediglich alle ihre Möglichkeiten.« Er grinste noch breiter. »Ein guter Bekannter hat mir vor nicht einmal langer Zeit erzählt, dass man die Regeln eben manchmal ändern muss, wenn man das Spiel sonst nicht gewinnen kann.«

Sowohl Miss Preussler als auch Tom blickten ihn einen Moment lang nur verständnislos an, aber der Ausdruck in Graves' Augen war nichts anderes als pure Mordlust. Er sog so heftig an seiner Zigarette, dass das Ende fast weiß aufleuchtete, schleuderte sie dann mit einer wütenden Bewegung zu Boden und hob den Fuß, um ihn sichtlich mit aller Kraft darauf niedersausen zu lassen. Stattdessen jedoch zog er plötzlich die Augenbrauen zusammen, machte einen fast komisch anmutenden halben Storchenschritt nach hinten und ließ sich noch aus der gleichen Bewegung heraus in die Hocke sinken.

»Was haben Sie?«, fragte Tom. Er klang alarmiert.

Graves antwortete nicht, sondern beugte sich in der Hocke weiter vor und machte eine Bewegung, wie um sich mit den Händen auf dem Boden abzustützen, schrak dann aber im letzten Moment aus irgendeinem Grund davor zurück. Trotz des schlechten Lichtes konnte Mogens erkennen, wie erschrocken der Ausdruck auf seinem Gesicht plötzlich war.

Auch er ließ sich in die Hocke sinken und sah dorthin, wo Graves' Zigarettenstummel zu Boden gefallen war. Er lag immer noch hellrot glühend da, und als Mogens sich weiter vorbeugte, stieg ihm ein scharfer Geruch in die Nase; fast wie der Gestank von verschmortem Fleisch. In der nächsten Sekunde korrigierte er sich in Gedanken. Nein - nicht fast. Das war der Gestank von schmorendem Fleisch, denn die Zigarette war nicht auf den schlammigen Boden gefallen, sondern hatte etwas Weißes, Lebendiges getroffen, das sich nun unter der grausamen Hitze wand und drehte, ohne dem tödlichen Feuer, das sich in sein Fleisch brannte, entkommen zu können.

»Großer Gott!«, stieß Miss Preussler hervor. »Was ist denn das?«

Graves antwortete noch immer nicht, bewegte sich aber in der Hocke einen halben Schritt zurück, und Mogens musste sich mit aller Kraft beherrschen, um nicht nur nicht dasselbe zu tun, sondern gleich in die Höhe zu springen und einen angeekelten Laut zu unterdrücken. Das Ding, auf das Graves' Zigarette gestürzt war, war eine Art Augen- und fühlerloser Schnecke, deutlich dicker, aber kaum größer als der Zigarettenstummel. Ihre Haut war nahezu durchsichtig, sodass man die winzigen, fremdartigen Organe darunter erkennen konnte, die in rasendem Takt pumpten und sich bewegten, um gegen die grausame Glut anzukämpfen, die sich immer weiter in ihr schmelzendes Fleisch fraß, und Mogens musste fast all seine Willenskraft aufbieten, um sich selbst davon zu überzeugen, dass das leise Zischen, das er hörte, das Geräusch des brennenden Fleisches war, und kein Schrei.

»Doktor Graves!«, keuchte Miss Preussler. »Ich flehe Sie an - erlösen Sie diese arme Kreatur!«

Graves starrte sie einen Moment lang einfach nur fassungslos an, und selbst Mogens war überrascht, doch keiner von ihnen kam dazu, Miss Preusslers Wunsch zu erfüllen, oder auch nur etwas darauf zu erwidern.

Auch Tom hatte sich auf die Knie niedergelassen und vorgebeugt, und er bewies erneut, dass er ein weitaus pragmatischerer Mensch war als Graves oder gar Mogens. Ganz zweifellos musste der Anblick für ihn ebenso ekelerregend sein wie für sie, was ihn aber nicht daran hinderte, ein Streichholz anzureißen und die Flamme an den Docht der kleine Karbidlampe zu halten, die er mitgebracht hatte. Das weiße Licht war Mogens' an die Dunkelheit gewöhnten Augen im allerersten Moment so unangenehm, dass er die Lider zusammenkniff und schützend die Hand vors Gesicht hielt.