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Er verscheuchte den Gedanken und gab Tom mit einer Geste zu verstehen, dass er weiterfahren solle. Als sie den Grat erreichten, hatten sie die Dämmerung wieder ein Stück weit hinter sich gelassen, aber sie kroch unerbittlich hinter ihnen her und würde sie vermutlich eingeholt haben, bevor sie die Stadt erreichten. Mogens hätte sich die Grabungsstätte, von der Tom gesprochen hatte, gerne noch bei Tageslicht angesehen, sagte sich aber selbst, dass sie es vermutlich nicht mehr schaffen würden.

Tom schob den Ganghebel knirschend vor, und der Wagen setzte sich in Bewegung. Kurz bevor sie den Berggrat verließen, drehte Mogens noch einmal den Kopf und sah nach Westen zurück. Das Meer war fast vollkommen verschwunden. Selbst von hier oben aus sah er nur noch einen kaum fingerbreiten, grell kupferfarbenen Streifen vor dem bereits dunkler werdenden Horizont. Aber er verspürte ein sonderbares Gefühl der Erleichterung, dass er sich im ersten Moment selbst nicht erklären konnte. Obwohl der rationale Teil seines Denkens sich noch immer weigerte, diesen unheimlichen Gefühlen irgendeine Bedeutung zuzumessen, spukten in seinem Kopf weiter Bilder von bizarren Kreaturen, die tief am Meeresgrund lebten und aus gierigen Augen in die endlose Schwärze über sich starrten, die ihre Welt seit Anbeginn der Zeiten einhüllte.

Es musste an Graves liegen, entschied er. Während der letzten vier Tage war nicht eine Stunde vergangen, in der er nicht mindestens einmal über ihr bizarres Wiedersehen in Thompson nachgedacht hatte. Mittlerweile hatte er etliches von dem revidiert, was er über Graves und die unheimliche Veränderung, die mit ihm vonstatten gegangen war, gedacht hatte. Sicherlich war Jonathan Graves niemals ein angenehmer Mensch gewesen, nicht einmal damals, während jener Zeit, als Mogens noch glaubte, in ihm, wenn schon keinen Freund, so doch zumindest einen Kommilitonen zu haben, der sich an die Regeln studentischer Kameradschaft hielt. Aber ihm seine Menschlichkeit abzusprechen war des Guten nun doch etwas zu viel.

Seine Nerven hatten ihm einen Streich gespielt, und das war nach allem Vorgefallenen auch nicht weiter verwunderlich. Mogens gab sich selbst für diesen allerersten Moment intellektueller Verwirrung Dispens, rief sich zugleich aber in Gedanken zur Ordnung. Er würde Graves nicht gestatten, Macht über seine Gefühle und damit letzten Endes über sein Denken zu erlangen.

Was nichts daran änderte, dass er hörbar erleichtert aufatmete, als der Wagen die Böschung hinabzurumpeln begann und der Ozean damit außer Sicht geriet.

Tom, der den Laut gehört hatte, deutete ihn falsch und sagte: »Das Schlimmste ist gleich vorbei, keine Angst.«

Mogens schluckte die Antwort herunter, die ihm auf der Zunge lag. Mochte Tom ruhig glauben, dass ihm die Fahrt durch das unwegsame Gelände zu schaffen machte; vielleicht trug dies ja dazu bei, die Distanz zwischen ihnen etwas kleiner werden zu lassen. Mogens war durchaus realistisch genug, sich von Toms lockerer Art nicht täuschen zu lassen; hinter seiner bewusst zur Schau gestellten Selbstsicherheit verbarg sich das genaue Gegenteil. Mogens waren die Zwischentöne in seiner Stimme nicht entgangen. Hinter dem Respekt, mit dem er über Graves sprach, verbarg sich ein Gutteil Furcht, und hinter der scheinbaren Lockerheit, die er ihm gegenüber an den Tag legte, nichts anderes als Respekt. Mogens war unzähligen Toms begegnet, in seinen Jahren an der Universität von Thompson. Junge Leute, die sich alle Mühe gaben, selbstsicher, ja, zuweilen nassforsch aufzutreten, innerlich aber vor Furcht zitterten, wenn sie auch nur den Schatten eines Professors sahen. Zweifellos hatte Tom die Gelegenheit begrüßt, der Monotonie seiner täglichen Arbeit für ein paar Stunden zu entfliehen und mit dem Wagen in die Stadt zu fahren, aber ebenso zweifellos hatte er dem Zusammentreffen mit einem leibhaftigen Professor mit klopfendem Herzen entgegengeblickt. Viel mehr noch als die angehenden Studenten, die Jahr für Jahr in ewig gleichen Anzügen, mit denselben, ewig gleichen abgewetzten Koffern, denselben ewig gleichen Scherzen - und immer der gleichen, nur unzulänglich verhohlenen Furcht in den Augen - vor ihm erschienen, musste Mogens' bloße Anwesenheit ihm schon fast körperliches Unbehagen bereiten. Für seine angehenden Studenten war er zweifellos eine Respektsperson - auch wenn nur zu viele von ihnen sich Mühe gaben, ihn dies nicht spüren zu lassen -, dennoch aber jemand, dessen Status sie eines Tages erlangen konnten - zumindest einige von ihnen. Einem einfachen Jungen vom Lande hingegen, der nicht einmal sein genaues Alter kannte und mit einiger Wahrscheinlichkeit auch des Lesens und Schreibens nicht mächtig war, musste er wie ein Bote aus einer Welt erscheinen, die unendlich weit von der seinen entfernt war und die er niemals erreichen konnte. Mogens fragte sich, wie viel Kraft es Tom gekostet haben musste, während der ganzen Fahrt so ruhig zu bleiben und nicht buchstäblich vor Furcht mit den Zähnen zu klappern. Hinsichtlich seiner Überzeugung, in Graves' Nähe jeden potenziellen Verbündeten bitter nötig zu haben, tat er vielleicht gut daran, Toms Vertrauen zu erringen.

»Du fährst ausgezeichnet, Tom«, versicherte er. »Ich fürchte, ich muss gestehen, dass ich selbst diese grässliche Straße nicht annähend so souverän bewältigt hätte, wenn überhaupt.«

Tom sah ihn zweifelnd an. »Sie wollen mir schmeicheln, Professor.«

»Keineswegs.« Mogens schüttelte bekräftigend den Kopf. »Ich war nie ein sonderlich guter Autofahrer, fürchte ich. Ich komme aus einer kleinen Stadt. Es lohnt sich nicht, dort ein Automobil zu besitzen. Ich bin nicht einmal sicher, ob ich es noch kann.«

»Was?«, fragte Tom.

»Auto fahren«, antwortete Mogens.

»Das ist jetzt ein Scherz«, sagte Tom. »So etwas verlernt man doch nicht.«

Tatsache war, dass Mogens es niemals gelernt hatte, aber so weit, dies Tom gegenüber zuzugeben, wollte er nun doch nicht gehen. »Vermutlich nicht«, sagte er deshalb. »Dennoch fehlt mir eindeutig die Übung.«

»Verstehe«, sagte Tom. »Sie haben sicher Wichtigeres zu tun.«

»Auch das«, seufzte Mogens. Er bedauerte es schon, überhaupt mit dem Thema angefangen zu haben. Dennoch erschien ihm alles besser, als sich weiter mit jenen unheimlichen Gedanken und Empfindungen auseinander zu setzen, die der Anblick des Ozeans in ihm wachriefen. Schon, um Tom keine Gelegenheit zu einer weiteren diesbezüglichen Frage zu geben, drehte er sich demonstrativ wieder ganz in seinem Sitz nach vorne und ließ seinen Blick über den kleinen Ort schweifen, der bisher um keinen Deut näher gekommen zu sein schien, obgleich sicherlich eine Minute vergangen sein musste, seit Tom losgefahren war. Er wirkte auch um keinen Deut weniger trostlos. Mogens gestand sich ein, dass er bisher nicht einen einzigen Gedanken an sein neues Zuhause verschwendet hatte; schon, weil er felsenfest davon überzeugt gewesen war, dass einfach jeder Ort auf der Welt besser sein musste als Thompson. Aber mittlerweile war er nicht mehr ganz so überzeugt davon, tatsächlich einen guten Tausch gemacht zu haben. Wenn es einen Ort auf der Welt gab, der es an Trostlosigkeit mit Thompson aufnehmen konnte, dann war es dieser hier.

Mogens verscheuchte auch diesen Gedanken. Er wusste nichts über diese Stadt; nicht einmal ihren Namen. Auf den wortwörtlich allerersten Blick ein - noch dazu so harsches - Urteil über sie zu fällen, hieß ihr bitter Unrecht zu tun. Und Mogens hatte in seinem Leben zu viel Unrecht am eigenen Leib erfahren, um nun ins gleiche Horn zu stoßen; nicht einmal einem abstrakten Gebilde wie einer Stadt gegenüber.

Dann gewahrte er etwas, das seine Aufmerksamkeit erregte: Ein gutes Stück die Straße entlang, bestimmt fünf, sechs Meilen jenseits der Stadtgrenze - so es denn eine solche gab -, sah er eine Ansammlung kleiner, symmetrischer weißer Flecke; vermutlich Zelte.

»Ist das das Lager?«, fragte er.

Tom schüttelte den Kopf. Mogens' Frage schien ihn aus irgendeinem Grund zu amüsieren. »Nein. Das sind die anderen. Die Maulwürfe - jedenfalls nennt Doktor Graves sie so.«